Zsofia Ban

Weiter atmen

Erzählungen
Cover: Weiter atmen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518429099
Gebunden, 173 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Terezia Mora. Franz Reichelt steht 1912, in seinen selbstgebauten Fallschirm gewandet, auf dem Eiffelturm und zögert, sein Atem wölkt sich in der Kälte, in den alten Schwarzweißaufnahmen "pulsieren Chemie und Kratzspuren wie dichter Schneefall". Robika, der ein Siebtklässler wäre, wenn er eine Vorstellung von der Zeit hätte und in die Schule ginge, hat eine Obsession: Jede Woche sucht er sich im Laden von Mama Roza sieben weiße Seifen aus. Als der Laden einmal geschlossen ist, fährt Robikas Mutter mit ihrem untröstlichen Kind auf dem Fahrrad in die Stadt. Auf dem Rückweg haben sie einen Unfall, Robika muss geröntgt werden, eine Seife fest in jeder Hand. Aber alles ist gut, und er darf: Weiter atmen! Ob sie von einer syrischen Flüchtlingsfamilie erzählt, die an der ungarischen Grenze strandet, von Rimbaud und denen, die ihn erforschen, von Liebenden, Kranken und Kindern, von Paris, Rio de Janeiro oder Ungarn - Zsófia Bán erschafft mit wenigen Sätzen, Filmschnitten Figuren, Bilder, innere Landschaften.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11.2020

Franz Reichelt ist der Erfinder eines Fallschirm-Prototyps, der 1912 dabei gefilmt wurde, wie er sich mit seiner fehlerhaften Erfindung vom Eiffelturm in den Tod stürzte, erinnert Rezensent Tilman Spreckelsen. Es ist kein Zufall, dass dieser Erzählband sowohl ein Foto des Mannes enthält, als auch in einer Geschichte von ihm erzählt, so der Kritiker: Autorin Zsófia Bán zeigt die Figuren in Kippmomenten, die in dem auf der Brüstung zögernd schwankenden Reichelt ideal symbolisiert sind, lobt er. Da auch ihre Sprache unzuverlässig schillert, lässt sie auch den Leser im besten Sinne kippeln, lobt Spreckelsen.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.08.2020

Jörg Plath bewundert, wie die weitgereiste Zsofia Ban das Disparate zusammenfügt und auf anregende Weise auf Gemeinsamkeiten hinweist, Flüchtlinge und Kinderlose, Zirkusartisten und Sülze, Frösche und Menschen. Brüche in Beziehungen und Lebensläufen kann die Autorin laut Plath hervorragend erzählerisch fassen. Weniger gut gefallen dem Rezensenten diejenigen Texte im Band, in denen Ban allzu deutlich und eindeutig wird oder auch ihre politischen Überzeugungen an den Leser zu bringen versucht. Terezia Moras Übersetzung beschreibt Plath als "kraftvoll federnd".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.07.2020

Rezensentin Meike Feßmann empfiehlt Zsofia Bans Erzählungen wegen ihrer realistischen, zugleich surrealen, sich gekonnt der Montage bedienenden Erzählweise, für ihre Trockenheit, ihren Witz und ihre Sinnlichkeit. Dass der biografische Hintergrund der Autorin, die als Tochter von Holocaust-Überlebenden in Brasilien und Ungarn aufwuchs, in den Texten eine Rolle spielt, meint Feßmann erkennen zu können, etwa daran, dass die Geschichten zwischen Bedrohung und Rettung "balancieren" und die Themen Antisemitismus und Xenophobie im Hintergrund vernehmbar sind. Terezia Moras Übersetzung scheint Feßmann "durchlässig" genug für all diese Elemente.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.07.2020

Rezensentin Judith von Sternburg ist bewegt, beeindruckt und immer wieder überrascht von Zsófia Báns eindringlichen Erzählungen. Diese Überraschung kann sich nur deswegen in jeder der Geschichten einlösen, weil Báns Erzählungen selbst so verschieden sind und daher kein Überraschungsmoment je zum Effekt verkommt. Die Zusammenstellung scheint zunächst "disparat", und ist doch logisch und vollkommen, wenn man genauer hinsieht. Und genauer hinsehen, das sollte der Leser unbedingt, fordert von Sternburg. Hier wird experimentiert und gespielt, und zwar mit Sprache, mit Erwartungen, mit Gefühlen und vor allem mit (vermeintlichen) Gegensätzen, so die Rezensentin. Dabei wirkt dieses Spiel auf sie niemals beliebig. Die Autorin scheint stets sehr genau zu wissen, was sie tut und dabei immer gerade den richtigen Abstand zum Erzählten zu haben, um volle Kontrolle zu bewahren - über sich als Autorin und über die Reaktionen der Leser. "Weiter atmen" sei das Werk einer Virtuosin - und zwar sowohl im Umgang mit Sprache als auch mit Emotionen. Was für ein Glück, freut sich die begeisterte Rezensentin, dass diese Virtuosin von einer ebenbürtigen Sprachkünstlerin übersetzt wurde.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 26.06.2020

Rezensent Jörg Plath trifft auf Frösche, Menschen und Sülze in diesem Erzählband von Zsofia Ban. Ob ein alter Ungar zu seiner Jugendliebe nach Rio reist, eine Hure sich vor zwei an Brustkrebs erkrankten Frauen über ihre neuen Brüste freut oder eine Frau sich mit ihrem Aquarium vor der Außenwelt verschanzt - stets gelinge es Ban, Gegensätze mit einem kurzen Knall zu verbinden, staunt der Kritiker. Wenige nicht ganz so gelungene Geschichten verzeiht der Rezensent angesichts der Klugheit, "Schärfe" und der "emotionalen wie rationalen Intimität" der Erzählungen gern.