Wolfgang Benz (Hg.)

Überleben im Dritten Reich

Juden im Untergrund und ihre Helfer
Cover: Überleben im Dritten Reich
C.H. Beck Verlag, München 2003
ISBN 9783406510298
Gebunden, 349 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Dieses Buch schildert anhand von individuellen Schicksalen die Bedingungen des Überlebens von Juden zur Zeit des "Dritten Reiches". Wer waren die Menschen, die sich dem Deportationsbefehl widersetzten? Und wer leistete ihnen Hilfe? Die Geschichten in diesem Band bieten einen unmittelbaren Einblick in den dramatischen Alltag der Verfolgten und ihrer Helfer, die mit Erfindungsreichtum und unter großem Risiko handelten - ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.10.2004

Recht angetan zeigt sich Daniel Koerfer von diesem Band. Wie er berichtet, stehen in den 20 Beiträgen nicht die bekannten spektakulären Rettungsaktion in ganz Europa im Mittelpunkt, sondern die bislang "unbesungenen Helden". Deren Wirken habe das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin seit 1997 in seiner Datenbank über die "Rettung von Juden im NS-Deutschland" in rund 2.500 Fallstudien dokumentiert. Der Band schildere solche individuellen Rettungs- und Hilfsaktionen im deutschen Reich, vor allem in Berlin, wo sich 1941 noch 73.000 Juden aufhielten. Ausführlich berichtet Koerfer von den Schwierigkeiten und Gefahren, denen die in den Untergrund geflüchteten Juden sowie ihre Helfer und Retter ausgesetzt waren. Er hebt hervor, dass gerade der "lakonische Grundtenor" der Aufzeichnungen einen Eindruck von der Dramatik der Rettungsaktionen vermittelt. Koerfers Resümee: "Tatsächlich erwuchs vor allem den vielen, die nicht geholfen hatten, aus dem Wirken der Retter ein fundamentales Problem - hatte deren Engagement doch bewiesen, dass man etwas tun konnte gegen den NS-Terror und ihn nicht passiv hinzunehmen brauchte."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.03.2004

Beeindruckt zeigt sich der ces. zeichnende Rezensent von diesem von Wolfgang Benz herausgegebenen Band, der sich mit einer "stillen, oft übersehenen Form des Widerstands" gegen die Nazidiktatur befasst. So gab es immerhin einige tausend Deutsche, die im "Dritten Reich" Juden versteckten und dabei ihr Leben riskierten. Ihre Beweggründe und das Schicksal ihrer Schutzbefohlenen werden im vorliegenden Werk geschildert. Der Rezensent sieht in ihrem Engagement ein Beispiel dafür, "dass es im Alltag Alternativen zu Gleichgültigkeit und Anpassung gab". Lobend hebt er hervor, dass der Band die historischen Zusammenhänge anhand von Einzelbiografien nachvollziehbar macht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2003

Mehr als 10.000 Juden in Deutschland - allein in Berlin etwa 5.000 - wiedersetzten sich dem Deportationsbefehl der Nazis und tauchten unter. "U-Boote" wurden sie im Volksmund genannt, so Hans-Jürgen Döscher in seiner Besprechung des von Wolfgang Benz herausgegebenen Buches zum "Überleben im Dritten Reich". 1.500 von ihnen sollen durch die Solidarität der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung überlebt haben. Doch die Motive und das Ausmaß des solidarischen Handelns würden sich einer systematisch-quantitativen Betrachtung entziehen, stimmt der Rezensent dem Herausgeber zu. Folgerichtig dokumentierten die Einzelbeiträge des Sammelbandes "auf eindrucksvolle Weise den dramatischen Alltag der Verfolgten und ihrer couragierten Helfer", lobt Döscher die historische Erinnerung an all diejenigen, die trotz drakonischer Strafandrohung, trotz Lebensmittelknappheit, jüdischer "Greifer" und Denunziationen ihren Mitmenschen halfen, der geplanten Ermordung zu entgehen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.12.2003

Thomas Kreuder bespricht in einer Doppelrezension Bücher über den Widerstand gegen das NS-Regime durch Juden und Nichtjuden. Das von Wolfgang Benz herausgegebene Buch "Überleben im Dritten Reich" kann zeigen, dass es in der Hilfe, die Juden während des Nationalsozialismus durch Nichtjuden zuteil wurde, kein "bestimmtes Muster" weder bei den Helfenden noch bei deren Motiven gab, betont der Rezensent. Gemessen an der Zahl der ermordeten Juden nehme sich die Anzahl der geretteten Juden vergleichsweise gering aus, meint Kreuder. Aber auch er stimmt mit den Autoren der einzelnen Beiträge überein, dass jede einzelne Rettung zählt. Kreuder würdigt den Band dafür, dass er die einzelnen Personen, die sich dem NS-Regime entgegenstellten, "dem Vergessen" entreißt. Erhellend findet er auch, dass das Buch die "vermeintlichen Helfer", denen es lediglich um den eigenen Vorteil ging, von den wahren Helfern zu trennen weiß.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.09.2003

Warum, fragt sich Klaus Harpprecht, haben die Deutschen nach dem Krieg nicht diejenigen unter sich geehrt, die während des Dritten Reiches solidarisch blieben mit ihren jüdischen Mitbürgern, sie versteckten und dabei beträchtliche Risiken eingingen? Warum das lange "betretene Schweigen"? War es die Beschämung der meisten über ihre eigenen Versäumnisse? Jedenfalls zeige die von Wolfgang Benz herausgegebene Studie, in der 19 Einzeluntersuchungen zu einer Gesamtdarstellung des (Über)lebens von Juden im Untergrund zusammengefügt sind, dass die Illegalen mehr Helfer hatten als bisher angenommen - eine verschwindende Minderheit noch immer, aber doch eine erhebliche Anzahl von Menschen, die für Menschlichkeit einstanden. Dabei stelle sich Benz von Anfang an "jeder verklärenden Heroisierung" entgegen; vielmehr gehe es darum, den beschwerlichen Alltag des Überlebens bewusst zu machen. Die verschiedenen Berichte belegen für Harpprecht, dass es weder ein bestimmtes Helferprofil noch einheitliche Motive gab, und gerade die "komplexe Realität jener Elendsjahre", als auch berüchtigtste Judenhasser manchmal ihre Opfer warnten, löse Beklemmung aus. "Ein Blick ins Inferno" sei dieses Buch, das den Nachgeborenen den "Zugang zur schrecklichen Wirklichkeit jener Jahre" öffnen könne, aber auch ein "Buch der Ermutigung".