William Gaddis

JR

Roman. Neuübersetzung
Cover: JR
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2010
ISBN 9783421044914
Gebunden, 1040 Seiten, 29,99 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay und Klaus Modick. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay und Klaus Modick. JR ist ein kleiner elfjähriger Junge, dem ständig die Schnürsenkel an seinen zerschlissenen Turnschuhen reißen, der nie ein Taschentuch zur Hand hat und von seiner Mutter vernachlässigt wird. Keiner ahnt, dass er den Amerikanischen Traum beim Wort nimmt und - inspiriert vom Sozialkundeunterricht - vom Schultelefon aus seine erste Aktie ersteht. Nach und nach erwirbt er Anteile an Bergwerken, Papierfabriken und Verlagen, und bald versetzt das Finanzimperium des Schuljungen selbst die Big Players der Wirtschaftswelt in Erstaunen. Doch plötzlich bricht die JR Corporation bei einer Aktienbaisse zusammen, und nicht einmal JR kann den freien Fall ins Nichts am Ende verhindern... Eine bitterböse Satire auf die Welt des Big Business.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.01.2011

William Gaddis spaltet die Kritik in begeisterte Verehrer und solche, die nicht notwendig Verächter sind, seine Bücher - und "JR" ganz besonders - jedoch für im Prinzip unlesbar halten. Letztere Fraktion erwählt sich dann gern, so der Rezensent Frank Hertweck, den nicht zuletzt dank klarer Erzählerpräsenz viel zugänglicheren Jonathan Franzen zum positiven Gegenbild. Hertweck macht da ausdrücklich nicht mit. Ja, im Vergleich zu Franzens "heißer" sei dies "kalte" Literatur, die auf Distanz und Analyse setzt und niemandem sicheren Halt gibt. Aber welch ein ästhetischer Gewinn sich damit verbinde! In diesem, dem umfangreichsten Roman des Autors, wird die Wirtschaftswelt als Wahn sozusagen vollständig dargestellt. Ein Elfjähriger wird zum Tycoon und alle machen, weil sie nichts verpassen wollen, die längste Zeit mit. Erzählt ist das fast ausschließlich in Dialogen und wenig anderes lässt sich dem ganzen in seiner Komplexität und Vollständigkeit der Systembeschreibung an die Seite stellen, preist Hertweck, als das Werk Niklas Luhmanns.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.10.2010

Eine Wiederentdeckung, die es in sich hat, erblickt Julian Weber in William Gaddis' 1975 erschienenem Wirtschaftskrisenroman "JR", der jetzt in einer überarbeiteten Übersetzung vorliegt. Er lässt keinen Zweifel: Das monumentale Werk ist keine leichte Lektüre, verzichtet Gaddis doch auf einen auktorialen Erzähler, auf Kapitel und Absätze, um das Geschehen fast ausschließlich über Dialoge zu entwickeln, deren Bedeutung der Leser selber einordnen muss. Gleichwohl hält er den sperrigen Roman, in dessen Zentrum ein elfjähriger Schüler steht, der nach einem Klassenausflug an die Wall Street selber in das Aktiengeschäft einsteigt und den Markt ordentlich aufmischt, der Mühen der Lektüre wert. Denn Gaddis enthüllt in seinen Augen das "intensive Chaos des Kapitalismus": Geld als einzig verlässliche Größe, Börsenzockerei, kaputte Familienverhältnisse, vergiftete Arbeitsatmosphären, der Einzelne permanent unter Druck und am Rande der Erschöpfung. Webers Fazit: höchst aktuell.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.09.2010

1975 ist "JR" zuerst erschienen. Nun wurde er von Marcus Ingendaay und Klaus Modick neu übersetzt. Angela Schader widmet dem stimmenreichen Opus in der NZZ eine ganze Seite. Und es ist ein richtig dicker Roman. Und es kann in den "Dialogen (und Mono-, Tria-, Tetraloge)" schon mal recht unübersichtlich werden. Die Mithilfe des Lesers ist dabei von Nöten, warnt die Rezensentin. Sie selbst hat es offensichtlich gerne getan, hat Figuren, die im Stimmengewirr nicht immer auseinandergehalten werden, anhand von Sprachduktus und Einzelheiten wiedererkannt und hat sich fasziniert versenkt in diese Kakofonie über die Wirren des modernen Wirtschaftslebens, die - so versichert sie - vom Autor in Wirklichkeit auf höchst raffinierte Weise geordnet wurde. Der von Thomas Pynchon entwickelte Begriff der "Entropie" spielt hier eine Rolle, worunter eine chaotische Durchdringung der Substanzen zu verstehen ist - hier sind es die Substanzen "Kunst" und "Schule" (denn der Protagonist ist elf Jahre alt), die vom alles durchdringenden Kapital durchschossen werden. Der Übersetzung widmet Schader den letzten Absatz ihrer Kritik - sie basiert auf der Erstübersetzung Ingendaays und Modicks aus dem Jahr 1996, leistet aber Feinschliff und Revisionabeit. Uns sie ist sogar leichter zu lesen als das Original. Also dann: auf ins Leseabenteuer.
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