Harper Lee

Gehe hin, stelle einen Wächter

Roman
Cover: Gehe hin, stelle einen Wächter
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2015
ISBN 9783421047199
Gebunden, 320 Seiten, 19,99 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Harper Lee hat bisher nur einen Roman veröffentlicht, doch dieser hat der US-amerikanischen Schriftstellerin Weltruhm eingebracht: "Wer die Nachtigall stört", erschienen 1960 und ein Jahr später mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet, ist mit 40 Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen eines der meistgelesenen Bücher weltweit. Mit "Gehe hin, stelle einen Wächter" - zeitlich vor "Wer die Nachtigall stört" entstanden - erscheint nun das Erstlingswerk. Das Manuskript wurde nie veröffentlicht und galt als verschollen - bis es eine Freundin der inzwischen 89-jährigen Autorin im September 2014 fand. In "Gehe hin, stelle einen Wächter" treffen wir die geliebten Charaktere aus "Wer die Nachtigall stört" wieder, 20 Jahre später: Eine inzwischen erwachsene Jean Louise Finch, "Scout", kehrt zurück nach Maycomb und sieht sich in der kleinen Stadt in Alabama, die sie so geprägt hat, mit gesellschaftspolitischen Problemen konfrontiert, die nicht zuletzt auch ihr Verhältnis zu ihrem Vater Atticus infrage stellen. Ein Roman über die turbulenten Ereignisse im Amerika der 1950er-Jahre, der zugleich ein faszinierend neues Licht auf den Klassiker wirft.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.07.2015

Harper Lees nach vielen Jahrzehnten erstmals veröffentlichter, ursprünglich vor "Wen die Nachtigall stört" geschriebener Roman, der jedoch einige Zeit nach diesem Klassiker angesiedelt ist, stellt in den Augen von Rezensentin Sylvia Prahl eine wertvolle Ergänzung dar. Nicht nur, weil Lees bisheriger Ruf als One-Hit-Wonder Lügen gestraft wird, sondern auch, weil die Figur des Atticus Finch, bislang ein Identifikationsangebot für das anständige weiße Amerika, um eine kontroverse, aber auch komplexere Facette erweitert wird: So erlebe man Finch hier nicht mehr als braven Idealisten, sondern als rassistischen Opportunisten, was ihn für die Kritikerin gleich viel glaubwürdiger macht. Doch auch abseits davon berichtet Prahl von einem mitreißenden Lektüreerlebnis: War die "Nachtigall" noch durch die Erzählperspektive eines Kindes gemildert, positioniere sich dieser Roman sehr eindeutig, wenn er den Prozess der Emanzipation einer Tochter von ihrem Vater schildert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.07.2015

Es stimmt, Harper Lees Manuskript für ihr klassisch gewordenes Werk "Wer die Nachtigall stört", das jetzt unter dem Titel "Gehe hin, stelle einen Wächter" erschienen ist, ist ein vollkommen anderes Buch, berichtet Angela Schader. Und die frühere Fassung schockiert, warnt die Rezensentin: Jean Louise Finch ist zwar nach wie vor die Erzählerin, aber sie ist kein Kind mehr, sondern eine ausgewachsene Frau, die nach Jahren wieder in die amerikanischen Südstaaten zurückkehrt, wo sie Atticus, den sie als liebevollen Vater in Erinnerung hat, als "Anwalt einer unmenschlichen Irrlehre" auffindet, fasst Schader zusammen. Gerade die moralische Lichtgestalt des späteren Buches verwendet sich gegen Schwarze und für die alten Gepflogenheiten der Südstaaten, staunt die Rezensentin. Die Figuren wirken in der früheren Fassung komplexer, die Erzählweise experimenteller, es regt zum Nachdenken an, ein Klassiker aber hätte aus ihm schwerlich werden können, vermutet Schader.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.07.2015

Die Umstände, unter denen Harper Lees ursprüngliches Manuskript für "To Kill a Mickingbrid" aufgetaucht ist, mögen noch ungeklärt sein, das Buch "Gehe hin, stelle einen Wächter" gibt es schon zu lesen und es lohnt sich, findet Fritz Göttler. Das zentrale Motiv des Buches ist die Konfrontation zwischen Jean Louise Finch, die Heimaturlaub in den ehemaligen Südstaaten macht und ihren Vater als Rassist erlebt, der einem Treffen des Ku-Klux-Klans beiwohnt, vor Gericht über Afroamerikaner herzieht und sich gegen politische Einmischung des Nordens wehrt, fasst der Rezensent zusammen. Die ehemals enge Beziehung zu ihrem Vater nötigt Jean Louise dazu, sich mit ihm auseinanderzusetzen, um irgendwie nachvollziehen zu können, wie er so denken und handeln kann, erklärt Göttler, der beeindruckt davon ist, wie aktuell die Behandlung des Themas in diesem Buch wirkt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.07.2015

Felicitas von Lovenberg stellt den naheliegenden Vergleich an zwischen Harper Lees nun erstmals veröffentlichten ersten Roman und ihrem zweiten Buch, dem Weltbestseller "To Kill a Mockingbird". Dass das Debüt der Autorin tatsächlich sämtlichen hohen Erwartungen entspricht, steht für Lovenberg nach der Lektüre fest. Die Aktualität des Themas, u. a. geht es um Rassenkonflikte in Alabama, ist dabei nur ein Moment. Auschschlaggebend sind für die Rezensentin die kraftvolle, anschauliche und warme Sprache, die Klarheit der Gedanken dahinter sowie die zur Identifikation einladenden Figuren. Dass der Text quasi als Fortsetzung von Lees furiosem Debüt gelesen werden kann, die mit der um 20 Jahre gealterten Scout aus dem ersten Buch eine gereifte Hauptfigur präsentiert, steigert für Lovenberg den Reiz. Harper Lee ist kein One-Hit-Wonder, freut sich die Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.07.2015

Sylvia Staude findet, dass Harper Lee mit der Erstveröffentlichung ihres Debütromans kein Dienst erwiesen wurde. An Lees zweiten Roman "To Kill a Mockingbird" reicht das Buch nicht heran, es plätschert dahin und langweilt mitunter sehr, findet Staude. Irritiert zeigt sich die Rezensentin zudem vom Sinnenswandel einer der schon im zweiten Text vorkommenden Hauptfiguren, Atticus Finch, zum Rassisten. Auch wenn das Buch nicht blamabel ist, meint Staude, im Vergleich mit dem Vorgänger muss es verlieren.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 15.07.2015

Wieland Freund macht der lange als verschollen gegoltene, dann wiedergefundene und nun endlich veröffentlichte Debütroman von Harper Lee schwer zu schaffen. Zeitlich vor "Wer die Nachtigall stört" entstanden, aber inhaltlich zwanzig Jahre später angesiedelt, stellt "Gehe hin, stelle einen Wächter" den Rezensenten vor das Problem, dass ihm zwar das Personal aus der verehrten "Nachtigall" bekannt ist, sich aber einige Charakatere und Konstellationen bedenklich verändert haben. Dass etwa der wackere Bürgerrechtsanwalt Atticus Finch hier als konservativer Südstaatler mit rassistischer Gesinnung auftritt, bringt Freund zum Grübeln, ob sich dieser strahlende Held im Laufe der zwischen den Romanen liegenden Zeit zum Reaktionär gewandelt hat, oder ob die Autorin den Reaktionär für die "Nachtigall" zur "Kunstfigur eines idealen weißen Mittelschichtlers" umheroisiert hat.