Wilhelm Genazino

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Cover: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446202696
Gebunden, 160 Seiten, 15,90 EUR

Klappentext

Mit einem ironischen Blick auf die sechziger Jahre beschreibt Genazino den Weg eines jungen Mannes: Ein Träumer, der immer an dasselbe denkt: ans Lesen und Schreiben. Und daran, endlich erwachsen zu werden und die drei Dinge zu haben, die es dazu braucht: eine Frau, eine Wohnung und einen eigenen, selbst geschriebenen Roman. Vorerst führt er jedoch ein Doppelleben zwischen Lokalblatt und Lieferscheinen ...

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.04.2003

Wilhelm Genazino habe sich die typische Frage des deutschen Bildungsromans zu Herzen genommen, schreibt Gustav Seibt, die da laute: Was will oder soll der Junge mal werden? Genazinos Variante eines Bildungsromans komme auf ganz frische leichte Weise daher, freut sich Seibt, sozusagen "im Bonsai-Format", was für ihn zur Epoche des Rosen züchtenden Kanzlers Adenauer passt, in der das Buch spielt. Allein das von Genazino enttrödelte und entmuffte Zeitflair der Wirtschaftswunderswelt ersetze die Lektüre ganzer Geschichtsbücher, schwärmt Seibt weiter. Im Mittelpunkt steht ein Siebzehnjähriger, der neben seiner Lehre als Speditionskaufmann auch eine Karriere als Lokalreporter beginnt und sich, wie das im Bildungsromanen so ist, irgendwann entscheiden muss: in diesem Fall "fürs wahre Leben und die wahre Kunst", jubiliert der Rezensent über diese harmonische Wendung. Das Besondere von Genazinos Büchern finde sich im übrigen auch in diesem wieder, beruhigt Seibt die Gemüter: seine Beobachtungsgabe, sein Humor, die Liebe zum Detail, und das alles nach der abgewandelten bürgerlichen Maxime, was ein Mann im Leben zu tun habe: ein Haus bauen, eine Familie gründen - und einen schönen Roman schreiben.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 01.04.2003

Wilhelm Genazinos Helden haben schon immer den "Wunsch nach souveräner Zeitverschwendung" geäußert, berichtet Anne Kraume. Insofern sei die hier zitierte Formulierung aus Genazinos neuestem Roman keine Überraschung. Was diesen Roman von den vorhergehenden unterscheidet, ist das Alter des Protagonisten. Der Neue, mit Namen Weigand, ist gerade mal siebzehn Jahre alt und vom Gymnasium geflogen. Er nimmt eine Art Doppelleben auf: tagsüber arbeitet er als Lehrling in einer Spedition, abends schreibt er kleine Artikel für die Lokalzeitung. Angesiedelt ist die Geschichte in der Adenauerzeit, berichtet Kraume, die Genazino mit melancholischer Komik Revue passieren ließe. Erfreulicherweise betrachte der Erzähler nicht nur die eigene Person mit jener leisen Ironie, sondern auch seine Umgebung. Die distanzierte Haltung sei es denn aber auch, die dem jugendlichen Erzähler am Ende aufstoße und ihn sich gegen eine Karriere als Zeitungsredakteur entscheiden lasse. Sehr souverän, findet Anne Kraume.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.03.2003

Ein "lichtes Buch" ist dieser Roman für den Rezensenten Roman Bucheli. In der "Geschichtsstille" der 60er Jahre, so Bucheli, fängt Wilhelm Genazinos Geschichte an, an einem "Nullpunkt", der den Blick von der Vergangenheit abgewandt hat und die Rückkehr zur Normalität sucht, in einer Art "Weltferne". Sein Ich-Erzähler wird vom Gymnasium verwiesen und fängt eine kaufmännische Lehre an, von deren erdrückender Realität ihn nur das Schreiben erlösen kann. Und so ergibt sich ein Doppelleben als Speditionskaufmann und Reporter. Doch sowohl im Literatenmilieu, das er kennenlernt und durchschaut, als auch im Journalistendasein schmerzt ihn das "taxierende Beobachten" und "herablassende Berichten", das er zunehmend als ein "Außenstehen" empfindet. "Was geschieht mit dem Leben, wenn es Schrift wird, und was mit der Existenz, die sich der Literatur verschrieben hat?", so lautet für Bucheli die sich stellende Frage. Und die Antwort, die der junge Erzähler gebe, wenn auch "sehr vorläufig", laute "die Demut gegenüber den Erscheinungen des Lebens und das Verschwenderische als Voraussetzung aller Kunst". In diesem jungen Erzähler meint Bucheli den jungen Genazino zu sehen, wie er lernt, der Wirklichkeit zu lauschen, um daraus ein "wunderbares" Buch zu machen wie dieses.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2003

Martin Lüdke hat sich tief in die Sätze von Genazinos neuem Roman vertieft und gebannt verfolgt, wie Beschreibungen allein durch ihre Präzision zur Reflexion werden und wie alles sich dann zu einer Geschichte formt: Genazino sei ein Beobachter "mit einem seismographischen Gespür noch für die geringsten Erschütterungen", "ein genuiner Erzähler", bei dem "selbst das Bedeutungsschwere wieder ganz leicht und schwebend erscheint". In diesem Roman habe er auch einen Teil der eigenen Biographie zu Literatur gemacht: Um einen 18-Jährigen "im stickigen Klima einer restaurativen Epoche, der Adenauer-Jahre" geht es, der als Journalist arbeitet und sich aus der Umklammerung dieser Verhältnisse löst. Dazu, schreibt Lüdke, gehören nicht nur Freundin und Familie, sondern auch die "Sprachlosigkeit seiner Welt", die "zunächst erlebt und erlitten, dann beschrieben und schließlich überwunden" wird; der "Fluchtpunkt" kann nur die Literatur sein; der junge Mann erhebt sich über die Teilnahme an den Dingen und wird zum Betrachter, zum Dichter - wie Genazino.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.03.2003

Reinhard Baumgart garantiert einige Stunden "spröden Entzückens" mit Wilhelm Genazinos neuem schmalen Prosabändchen, das ihm "sanft gedehnte Erzählung, verschwiegener Roman und autobiografisches Intermezzo" in einem ist. Es führt zurück in den "Zauber und Mief" der fünfziger Jahre und erzählt die Geschichte eines 17-Jährigen, der sich durchs Leben treiben lässt, bei einer Spedition in die Lehre geht, sich am Schreiben versucht und mit seiner Freundin zwar ein gemeinsames Sparkonto führt, aber weitere Intimitäten aus Angst vor einer "Bauchhochzeit" nicht zulässt. Das ist alles, und genau darin liegt für den Rezensenten das Wunder: Genazino kommt voll und ganz damit aus. So lobt der Rezensent die Prosa von realistischer und musikalischer Dichte sowie den hellwach registrierenden Blick des Erzählers. Und besonders gut hat dem Rezensenten gefallen, wie das Großartige neben das Gemeine und Unscheinbare gesetzt wird, "dem einen dadurch die Aura entzogen, dem anderen zugespielt wird".