Sasha Marianna Salzmann

Außer sich

Roman
Cover: Außer sich
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
ISBN 9783518427620
Gebunden, 366 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Sie sind zu zweit, von Anfang an, die Zwillinge Alissa und Anton. In der kleinen Zweizimmerwohnung im Moskau der postsowjetischen Jahre verkrallen sie sich in die Locken des anderen, wenn die Eltern aufeinander losgehen. Später, in der westdeutschen Provinz, streunen sie durch die Flure des Asylheims, stehlen Zigaretten aus den Zimmern fremder Familien und riechen an deren Parfumflaschen. Und noch später, als Alissa schon ihr Mathematikstudium in Berlin geschmissen hat, weil es sie vom Boxtraining abhält, verschwindet Anton spurlos. Irgendwann kommt eine Postkarte aus Istanbul - ohne Text, ohne Absender. In der flirrenden, zerrissenen Stadt am Bosporus und in der eigenen Familiengeschichte macht sich Alissa auf die Suche - nach dem verschollenen Bruder, aber vor allem nach einem Gefühl von Zugehörigkeit jenseits von Vaterland, Muttersprache oder Geschlecht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.09.2017

Rezensent Ijoma Mangold mag den frischen Sound, der ihm aus dem Debütroman der Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann entgegenweht. Die Geschichte um die inzestuös verbandelten Zwilling Alissa und Anton, die als jüdische Kontingentflüchtlinge in den Neunzigern aus Russland nach Deutschland fliehen, auf ganz unterschiedliche Weise nach ihrer Identität suchen und getrennt voneinander nach Istanbul reisen, mag zwar erzähltechnisch ein wenig ächzen, meint der Kritiker etwa angesichts der Gleichsetzung von Alissas Geschlechtsumwandlung mit ihrer radikalen Selbstbestimmung oder der gelegentlichen "Abgefucktheits-Posen" der Autorin. Wie wütend und kühl Salzmann allerdings von der Halt- und Heimatlosigkeit ihrer Figuren erzählt und wie funkelnd sie drei Generationen sowjetische Familiengeschichte schildert, hat Mangold tief beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.09.2017

Ulrich Seidler liest Sasha Marianna Salzmanns autobiografischen grundierten Text mit Genuss. Sowohl das Unzureichende der Sprache als auch das Unzureichende der Identität kann ihm die Autorin glaubwürdig vermitteln, wenn sie ihre Figuren aufspaltet, deren Herkunft problematisiert und den Abgrund der Kontingenz öffnet. Dass Salzmann darüber hinaus farbig, sinnlich von der russischen Geschichte erzählen kann oder den Leser auf den Taksim-Platz mitnimmt und so Weltgeschichte in ihren Figuren spiegelt, scheint Seidler bemerkenswert.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.09.2017

Als jung und herausragend bezeichnet Hubert Winkels Sasha Marianna Salzmanns Erzählen. Voller Gegenwart, ohne eigentlichen Gegenwartsbezug scheint ihm der Roman. Die von Salzmann gelten gelassenen Inkonsistenzen des Erzählens nimmt auch Winkels schließlich lustvoll auf. Das im Buch vielschichtig verhandelte Thema Verwandlung und die beschriebenen Aufbrüche in Raum und Zeit kommen so gut rüber, findet er. Szenisch und dialogstark, das Historische im Privaten verhandelnd und immer wieder abbrechend und neu beginnend vermag die Autorin dem Rezensenten Erzählkunst zu buchstabieren. Ein radikal disparater Text, meint Winkels, einer mit dem unbedingten Willen zur Disruption und daher ein starker.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.09.2017

Hymnisch bespricht Rezensentin Sandra Kegel diesen Debütroman der Dramaturgin Sasha Marianna Salzmann, der ihr die Geschichte einer jüdischen Familie erzählt, die Moskau aufgrund antisemitischer Anfeindungen in den neunziger Jahren Richtung Deutschland verlässt. Allein wie die selbst in Moskau aufgewachsene Autorin in "hochkondensierten Erinnerungsschleifen" von den vier Generationen der Familie erzählt, dabei ein ganzes Jahrhundert wie durch ein "Kaleidoskop" betrachtet, die ehemalige Sowjetunion mit der deutschen und türkischen Gegenwart gegeneinander schneidet und mit wenigen Strichen ganze Lebensgeschichten skizziert, ringt der Kritikerin größte Anerkennung ab. Vor allem aber staunt die Rezensentin, wie Salzmann Zugehörigkeitsfragen und brüchige Identitäten erkundet, erzählerische Grenzen auslotet und dem Russischen, Jiddischen und Türkischen ganz unterschiedliche Empfindungen ablauscht. Ein hochaktueller und spannender Roman, der auf besondere Weise aus der zeitgenössischen Literatur herausragt, lobt sie.
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