Roberto Bolano

2666

Roman
Cover: 2666
Carl Hanser Verlag, München 2009
ISBN 9783446233966
Gebunden, 1096 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Literatur von einem anderen Planeten: Roberto Bolanos posthum erschienener Jahrhundertroman "2666" über die unaufgeklärte Mordserie an Frauen in Mexiko ist eine atemberaubende Reise ins finstere Herz der modernen Welt. Wir begeben uns auf die Suche nach dem Schriftsteller und ehemaligen Wehrmachtssoldaten Benno von Archimboldi der in Santa Teresa, einer Wüstenstadt an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, verschwunden ist. Ebendort wurden Hunderte von Frauen Opfer von Vergewaltigung und Mord. Wer sind die Mörder, und was hat Archimboldi mit ihnen zu tun? Das literarische Vermächtnis des aus Chile stammenden und 2003 in Barcelona verstorbenen Bolano ist Gangster- und Bildungsroman, Science-Fiction und Reportage.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2009

Nein, der hier rezensierende Schriftsteller Daniel Kehlmann möchte sicher nicht die Literaturkritik dafür verantwortlich machen, dass Roberto Bolano 2003 an Leberversagen sterben musste. Allerdings hätte sich Kehlmann schon gewünscht, dass die Anerkennung für diesen Autor, den er in einem Atemzug mit Marquez, Vargas Llosa und Cortazar nennt, etwas zeitiger gekommen wäre. Das hätte seine Überlebenschancen zumindest verbessert, glaubt der Rezensent. Dann wäre "2666" ein fertiger Roman geworden und Kehlmann müsste sich nicht mit einem gigantischen Torso begnügen. Allerdings reißt der Text den Rezensenten auch in seiner unautorisierten, unfertigen Fassung bereits zu Beifallsstürmen hin. Um die vielen Anspielungen, Bezüge und Spiegelungen und etwa den mexikanischen Handlungsort als Zentrum des Bösen, als Hölle zu begreifen, durch die die Akteure alle hindurch müssen, reicht es ebenfalls. Im übrigen findet Kehlmann Orientierung in Bolanos früherem Roman "Die wilden Detektive". Hier wie dort steht im Mittelpunkt eine rätselhafte Autorengestalt, um die herum unzählige Stimmen und Stile arrangiert sind. Hier wie dort haut die Meisterschaft des Autors in allen nur erdenklichen Stilen und sein Faible für formale Offenheit den Rezensenten um. Oder sollte das Buch aus fünf Abschnitten, jeder ein Roman für sich, so wie es ist, doch fertiger sein, als Kehlmann vermutet? Einflüsse wie Borges und David Lynch, die Kehlmann ausmacht, könnten so etwas immerhin nahe legen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.09.2009

Dem Abschluss dieses Mammutromans hat der chilenische Autor Robert Bolano sogar sein Leben geopfert, denn dafür verschob er eine lebenswichtige Lebertransplantation, lässt die merklich erschütterte und zutiefst faszinierte Maike Albath wissen. Es handelt sich um ein über 1100 Seiten starkes Riesenwerk, das in 5 Kapiteln von vier Literaturwissenschaftlern erzählt, die sich auf die Suche nach dem deutschen Schriftsteller Benno von Archimboldo begeben; der soll in Santa Teresa untergetaucht sein, wo seit Jahren eine unheimliche Frauenmordserie die Bewohner in Atem hält, erklärt die Rezensentin. Fasziniert und streckenweise von den brutalen und schmutzstarrenden Beschreibungen mitgenommen folgt Albath der eskalierenden Gewaltspirale dieses Romans, der Abenteuer- Künstler- und Historienroman, Psychothriller und Sozialstudie vereint, wie sie beeindruckt konstatiert. Als zentrales Thema stehe dabei die "Gewalt und die unheimliche Faszination" an ihr, so die Rezensentin weiter, die sich nicht selten bei der Lektüre in der literarischen Welt eines Kafka oder Borges wiederfindet. Für Bolano gehe es in der Literatur nicht um moralische Urteile, er ziele auch nicht auf eine ausgewogene Darstellung, sondern auf das "Ekstatische", Riskante und "Eigentliche", wie er in einem Essay ausgeführt habe. Dieser Roman, der mitunter einen Stephen-King-Thriller "blass aussehen lässt", ist nicht in allen Teilen brillant und insbesondere in der Geschichte des deutschen Schriftstellers mitunter nicht recht plausibel, räumt Albath ein. Und trotzdem preist sie ihn als Wagnis, indem er sich in die "Grabkammern der Gegenwart" begibt und so lautet das abschließende Urteil ihrer ausführlichen Kritik: "Aufregender kann ein Roman nicht sein".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.09.2009

Mit diesem Buch versucht Roberto Bolano noch einmal - wie Cervantes, Proust, Sterne - die Welt in ihrer Totalität zu erfassen. Aber es führt in einen Abgrund, warnt Rezensent Andreas Breitenstein, in dessen ausführlicher, ernster Kritik man eine tiefe Erschütterung spürt. Der Abgrund liegt in Santa Teresa, einem kleinen Ort an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Er ist eine Metapher für den Wahnsinn der globalisierten Welt, aber auch Realität, so Breitenstein. In Ciudad Juarez, dem realen Vorbild für Santa Teresa, wurden zwischen 1993 und 2003 etwa vierhundert Frauen und Mädchen, meist Wanderarbeiterinnen, ermordet. Um die Höllengeschichte dieses Ortes gruppieren sich verschiedene Personen, lesen wir: vier Literaturwissenschaftler, die den verschwundenen Autor Archimboldi suchen im ersten Buch. Ein Philosophieprofessor und Archimboldi-Fachmann im zweiten Buch. Dessen Tochter und ein schwarzer Gesellschaftsreporter im dritten Buch. Die Opfer der Morde und die Ermittler im vierten Buch. Und schließlich im fünften Buch der verschollene Schriftsteller Archimboldo mit einer ganz eigenen Geschichte, die 1920 in Europa beginnt und über die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs nach Santa Teresa führt. Das alles wird nicht einfach realistisch, aber doch narrativ erzählt, erklärt Breitenstein. Fürchten müsse man sich vor der Stoffmenge (1264 Seiten) daher nicht. Mit dem Beschriebenen ist es eine andere Sache. "Von der linken Utopie der Erlösung ist in '2666' die Verwandlung des Schmerzes in Form übrig geblieben und der Versuch, in einer erodierenden Wirklichkeit die Würde des Ich und die Souveränität der Sprache zu bewahren", schreibt Breitenstein. Aber die Sprache, erkennt er, muss den Leser nicht erheben, sie kann ihn auch vernichten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.09.2009

Als "seltenes Vergnügen" empfand Rezensentin Eva-Christina Meier die Lektüre dieses ausufernden Romans. Allerdings bekennt sie Schwierigkeiten, davon zu berichten. Das über tausendseitige Werk bestehe aus "fünf eigenständigen, locker miteinander verzahnten Erzählungen". Etwa ein Viertel des Buchs bestehe gar in der minutiösen Schilderung mysteriöser Frauenmorde, die sich in einer mexikanischen Stadt über viele Jahre hinweg ereignet hätten. In einem Teil des Romans entwerfe Roberto Bolano das "präzise Bild einer durch Drogenökonomien und neoliberalem Dritte-Welt-Kapitalismus aus den Fugen geratenen Grenzregion", in der Gewalt strukturell und gesellschaftlich ebenso verankert sei, wie der Mangel an Widerstand gegen diese Verhältnisse. Ein anderer führe ins von den Radikalismen des 20. Jahrhunderts geprägte Europa. Besonders begeistert die Rezensentin Bolanos Fähigkeit, in seinem Roman "mit leichter Geste, ohne sichtbare Anstrengung verschiedene Welten zu verknüpfen. Auch die Übersetzung wird sehr gelobt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.09.2009

Als "Meilenstein der literarischen Evolution" feiert Rezensent Ijoma Mangold dieses "maßlose" nachgelassene Werk des chilenisch-spanischen Schriftstellers, den er einen "wilden, besessenen Dichter" und Kunstabsolutisten nennt, der mit dem "modernen, wohltemperierten (und bürokratischen) Schriftstellertypus", den der westliche Literaturbetrieb generiert habe, nichts gemein habe. Das 1100-seitige Buch sei eine "Raumfahrt durch die Verlassenheit" und bestehe aus fünf Teilen, die "in herausfordernder Weise" keine "einsichtig zwingende Verbindung" miteinander eingingen, auch wenn bestimmte Motive und Figuren immer wieder auftauchten. Zum Beispiel Gewalt, Künstlertum, Sexualität und Wahnsinn. Mangold fasst grob Handlung und Motive der einzelnen Teile zusammen, in denen er viel vom "Funken der Bösartigkeit" im Menschen erzählt fand. Bei der Lektüre treibt ihn immer wieder die Frage um, ob es sich um einen absurden Alptraum oder einen realistischen Roman handelt, und votiert schließlich für Letzteres. Eines der Wunder dieses undurchsichtigen "Textgebirges" (das auf Mangold an anderer Stelle wie ein Satellit wirkt, der einem Autopilot überlassen wurde) ist für ihn auch, dass es niemals langweilig sei, leer oder tot wirke.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.09.2009

Freudig begrüßt Rezensent Lothar Müller diesen nachgelassenen Roman des im Sommer 2003 verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolano, der nun endlich auf Deutsch vorliegt. Er schätzt das komplexe, über tausend Seiten umfassende Werk als ein durchaus "monströses" Buch, das keine leichte Kost ist. Im Zentrum der Geschichte sieht er vier europäische Literaturwissenschaftler, deren Suche nach ihrem Idol, dem ehemaligen Nazi und geheimnisvollen Schriftsteller Benno von Archimboldi, sie in die mexikanische Stadt Tereza führt, die von einer grausamen Serie von Vergewaltigungen und Morden heimgesucht wird. Vieles in dem Werk wirkt auf Müller wie eines jener Vexierspiele, "mit denen die moderne Literatur die Schwere der gemeinen Wirklichkeit so virtuos zum Verschwinden bringt". Doch nur auf den ersten Blick. Denn Bolano schafft in Müllers Augen ein Nebeneinander scheinbar entfernter Lebens- und Todessphären, wenn er seine Literaturwissenschaftler in eine Welt führt, "in der Spiel und Terror, Kunst und Gewalt durch Flügeltüren miteinander verbunden sind". Geradezu "einzigartig" findet Müller den vierten Teil des Romans, den er als "riesiges Leichentuch" für die Opfer der Morde in Tereza beschreibt. Sein Fazit: ein "großes, unvollkommenes, überschäumendes Werk, das die Wunden und den Gestank so wenig scheut und eben deshalb geradezu unbändig der Lebenslust, auch der sexuellen, huldigt".
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