Nina Okrassa

Peter Raabe

Dirigent, Musikschriftsteller und Präsident der Reichsmusikkammer (1872-1945). Diss.
Cover: Peter Raabe
Böhlau Verlag, Köln 2004
ISBN 9783412093044
Gebunden, 456 Seiten, 49,90 EUR

Klappentext

Mit Fotos und Dokumenten auf 8 Tafeln. Im Juli 1935 wurde der 62-jährige Peter Raabe von Joseph Goebbels zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt. Als er in diesem Amt die Nachfolge von Richard Strauss antrat, hatte er bereits 40 Jahre als Dirigent gearbeitet und eine bis heute bekannte Liszt-Biografie sowie zahlreiche Aufsätze veröffentlicht. Nina Okrassa fragt nach den Motiven und Voraussetzungen für Raabes kulturpolitisches Engagement im Spannungsfeld von Nationalkonservatismus, Mitläufertum und Parteinahme für die Nationalsozialisten.
Als Präsident der Reichsmusikkammer gehörte er zu den Funktionsträgern des Dritten Reiches. Bei der "Gleichschaltung" des Musiklebens spielte er jedoch eine widersprüchliche Rolle. Wurden in seinem Namen Tausende Juden aus der Reichsmusikkammer ausgegliedert und erhielten Berufsverbot, so finden sich in seinen Schriften keine antisemitischen Äußerungen. Raabes eigene nationalkonservativen Vorstellungen ließen sich in wichtigen Bereichen - wie etwa der politischen Instrumentalisierung der Musik oder der Uniformierung des Einzelnen in Massenorganisationen - nicht mit denen der Nationalsozialisten überein bringen; zahlreiche Konflikte mit anderen Kulturpolitikern prägten seine Amtszeit. Peter Raabe starb am 12. April 1945 als verbitterter Mensch, der sich in seinen Erwartungen an die NS-Kulturpolitik getäuscht sah.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2005

Ulrich Teusch ist sehr angetan von Nina Okrassas Biografie des Dirigenten Peter Raabe. Im Mittelpunkt des Interesses der Autorin steht die Frage, was Raabe dazu bewogen haben mag, Goebbels Angebot anzunehmen und Präsident der Reichsmusikkammer zu werden. Sie stellt also die Schuldfrage. Rassist war Raabe ebenso wenig wie Antisemit, auch politische Extremisten waren ihm suspekt. Was ihn mit den Nationalsozialisten kompatibel machte, war sein ausgeprägter Hang zur Hörigkeit gegenüber Autoritäten. Im Grunde aber wollte er Probleme des Musikbetriebs beseitigen, die er in seiner eigenen Laufbahn als Dirigent kennen gelernt hatte, also den Kollegen helfen. Doch "verstrickte er sich auf unheilvolle Weise ins System" und entließ anstandslos jüdische Kollegen, sie damit ihrem Schicksal überlassend; insgesamt war seine Präsidentschaft, die bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches währte, "enttäuschend", wie Teusch resümiert, eine Abfolge von "Konflikten und Demütigungen". Teusch lobt, wie "minuziös und umsichtig" die Biografin verfährt; ein "kluges, einfühlsames Buch", so sein Fazit, frei vom "anklägerischen Ton und moralischen Überlegenheitsgestus".