Mina Hava

Für Seka

Eine Geschichte vom Verlassen und Verlassenwerden. Roman
Cover: Für Seka
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518431115
Gebunden, 278 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Übrig geblieben sind ihr nur ein Briefumschlag mit einer Handvoll Fotografien und die Angst vor dem Vater, die Sorge um ihre Mutter und ihren Bruder, die Knoten in ihrer Brust. Seka sucht mit Anfang zwanzig nach den Spuren ihrer zerbrochenen Familie und ihres bisherigen Lebens. Sie rekonstruiert den Weg ihrer Eltern aus Bosnien in die Schweiz und fragt nach den Verbindungen, den Fäden zu ihr. Dabei stößt sie auf das Gefangenenlager in Omarska in den neunziger Jahren und einen Brief, der sie weiter nach Den Haag und Genf führt, später ins Berner Oberland. Und sie stellt fest, dass in Omarska heute Erz in den Minen abgebaut wird, als hätte es die Geschichte nicht gegeben, die eines fast schon vergessenen Krieges in Europa. Dabei wirken die Versehrungen der Vergangenheit bis in die Gegenwart fort. Mina Hava verknüpft in ihrem Debütroman historisches Material, Recherche- und Rekonstruktionsarbeit mit persönlichen Erfahrungen, Verlusten und Ängsten - und beleuchtet, was Geschichte bedeutet für Landschaften und Körper.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.12.2023

Rezensentin Ayca Balci bespricht drei Debütromane von deutschen Schriftstellerinnen, die man hierzulande unter dem Label "postmigrantische Literatur" fassen würde. Aber dagegen hat die Kritikerin einiges einzuwenden, erzählt doch eine jede der Autorinnen ihre eigene Geschichte. Dennoch macht Balci zunächst auf die Gemeinsamkeiten der Romane aufmerksam: Sowohl Nilufar Karkhiran Khozani als auch Özge Inan und Mina Hava erzählen vom Schicksal der Eltern und dem Gefühl, Sehnsucht nach einem Land zu empfinden, das sie aufgrund von Krieg oder Repressionen verlassen mussten. Karkhiran Khozani erzählt uns in "Terafik" von Psychologiestudentin Nilufar, die nach Diskriminierungserfahrungen in Deutschland erst in den Straßen von Teheran ihrem Vater näher kommt, Özge Inans fünfzehnjährige Heldin Nilay zieht es in die Türkei, obwohl ihre Eltern nach dem Militärputsch 1980 fliehen mussten und die Freiheit erst in Deutschland fanden, und Mina Hava lässt ihre Heldin Seka nach Bosnien reisen, um nicht nur das Schicksal ihrer zerbrochenen Familie zusammenzusetzen, sondern auch über die fast vergessenen Kriegsverbrechen des Bosnienkrieges zu recherchieren, resümiert die Rezensentin. Sie scheint alle drei Romane mit Gewinn gelesen zu haben und hofft, dass die Autorinnen auch dann noch verlegt werden, wenn sie keine Migrationsgeschichten mehr schreiben.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 01.08.2023

Rezensentin Cornelia Geißler staunt über die Souveränität von Mina Hava im Umgang mit ihrem vielfältigen Stoff. Das Buch, eine Montage aus Lektüren und Erinnerungen, verfasst in der dritten Person, mit einer jungen Frau im Zentrum, deren Leben sich zwischen der Schweiz und Bosnien-Herzegowina bewegt, zwischen kriegerischer und väterlicher Gewalt, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, verwirrt Geißler nur anfänglich. Die Autorin weiß, was sie tut, wenn sie ihren Assoziationsteppich webt, versichert die Rezensentin. Die Leserin kann sich das hin- und zurückblätternd erschließen, rät Geißler.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 07.07.2023

Rezensentin Miriam Zeh stockt der Atem beim Lesen von Mina Havas sprachlich und formal, wie sie findet, gelungener Rekonstruktion der Gewalt im serbischen Gefangenenlager Omarska während des Bosnienkrieges. Wie die Autorin die Lücken in der bosnischen Gewaltgeschichte thematisiert, indem sie ihre 22-jährige Protagonistin in sprunghaft montierten dichten Beschreibungen und Szenen ihre eigene Familiengeschichte erforschen lässt, findet Zeh bemerkenswert und in seiner Unmittelbarkeit intensiv und eindrücklich.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.05.2023

Vom "rasenden Stillstand der Angst" erzählt Mina Havas Romandebüt dem schwer beeindruckten Rezensenten Paul Jandl. Die Protagonistin Seka hat einen Migrationshintergrund, die Eltern sind im Krieg aus Jugoslawien geflohen. Sie begibt sich nun auf die Suche nach den Bruchstücken, die ihre Geschichte zusammensetzen. Gewalt in Gefangenenlagern wie im Exil wird splitterhaft, fragmentartig geschildert, so Jandl, und entfaltet für ihn eine Kraft, die die wichtigen Fragen nach dem Wieso stellt, ohne in autofiktionale Klischees zu tappen. Der begeisterte Kritiker kann gar nicht anders, als der erst 25-jährigen Autorin eine große Zukunft zu bescheinigen.