Mathias Enard

Tanz des Verrats

Roman
Cover: Tanz des Verrats
Hanser Berlin, Berlin 2024
ISBN 9783446279568
Gebunden, 256 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen vonHolger Fock und Sabine Müller. In seinem neuen Roman über unsterbliche Liebe, menschlichen Verrat und den Trost der Mathematik, verknüpft Goncourt-Preisträger Mathias Enard Gegenwart und Geschichte. September 2001, ein Kongress auf der Havel. Gewürdigt wird Paul Heudeber, Mathematiker, Kommunist und KZ-Überlebender, der spätestens seit seinem ungeklärten Tod Heiligenstatus genießt. Alle Blicke der Anwesenden wandern verstohlen zu Maja Scharnhorst, Pauls große Liebe, mit 83 faszinierend wie eh und je, auch sie eine Legende, die sich irgendwann für eine Karriere im Westen entschieden hat - ohne Paul. Als die Bilder der zerstörten Twin Towers die Festgesellschaft erreichen, nimmt die Veranstaltung eine ganz andere Wendung. Und es ist an Irina, der Tochter dieser überlebensgroßen Liebenden, die losen Fäden ihrer Geschichte zu entwirren und neu zu verflechten.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 13.04.2024

Über Komplizenschaft, Angst und die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts macht sich Rezensentin Sigrid Brinkmann bei der Lektüre von Mathias Énards neuem Roman Gedanken: Ein Handlungsstrang  beschäftigt sich mit einem namenlosen Deserteur und lotet die Frage aus, "ob Kriegsdienstverweigerung nicht ein Menschenrecht sein sollte", der andere rückt die Historikerin Irina in den Fokus, die der  Geschichte ihrer Eltern nachspürt, die sich in der DDR kennengelernt hatten. Während die Mutter in die BRD geht, stirbt der Vater durch Ertrinken, erst später stellt sich die Frage, ob es Suizid war,  erfahren wir. Brinkmann gefällt besonders, wie Énard es vermag, anhand einzelner Figuren die große Weltgeschichte zu entfalten und sich mit Fragen um Verrat und der Fragilität des Lebenslaufs zu beschäftigen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.03.2024

Rezensentin Lena Seauve ist beeindruckt von diesem fordernden Roman, der zwei unverbundene Handlungsstränge enthält. In einem erzählt Mathias Enard, lesen wir, von einem deutschen antifaschistischen Mathematiker und Lyriker namens Paul Heudeber, der einst in Buchenwald inhaftiert wird und nun ausgerechnet am 11. September 2001 von seinen Bewunderern geehrt werden soll - bis der Terrorismus in die Feier einbricht. Im Weiteren entfaltet sich, so Seauve, die Lebensgeschichte des fiktiven Wissenschaftlers. Der andere Handlungsstrang beschäftigt sich laut Rezensentin mit einem Deserteur, der, wir wissen nicht genau wann und wo, sich mit einer Frau zusammentut und versucht, seiner eigenen schuldbehafteten Vergangenheit zu entkommen. Die Mathematik ist zentral für die Struktur dieses Buches, erläutert die Rezensentin: Es geht aber auch, wie oft bei Enard, um das Verhältnis von christlicher und muslimischer Welt, sowie um den innerdeutschen Ost-West-Konflikt. Viele Schwere Themen sind das, meint die Rezensentin, und sie werden in eine virtuose, von Holger Fock und Sabine Müller geschickt ins Deutsche übertragene Sprache verpackt. Am Ende, freut sich Seauve, hat Enard jedoch auch ein Buch geschrieben, das von der Hoffnung handelt, die Literatur spenden kann.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.03.2024

Als einen "wundervoll geistreichen" und überaus lesenswerten Epochenroman beurteilt Rezensent Dirk Fuhrig Mathias Énards neuen Roman "Tanz des Verrats". Darin werden zwei Textstränge parallel gesetzt und, so Fuhrig, in miteinander kontrastierten sprachlichen Modi erzählt: Einerseits schippert eine zu Ehren des Mathematikers Paul Heubeder, eines Holocaust-Überlebenden und ehemals repräsentativen DDR-Wissenschaftlers, versammelte akademische Festgesellschaft auf Havel und Spree durch Berlin; andererseits desertiert ein anonymer Soldat aus einem nicht näher benannten Krieg und sucht in einer Berghütte Zuflucht. Während die Schifffahrt auf den 11. September 2001 datiert ist, wird die Flucht des Soldaten weder örtlich noch zeitlich situiert. In seinen früheren Romanen, so Fuhrig, ist dem französischen Autor das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Erzähluniversen besser gelungen. Doch über Deutschland und die Welt hat der teils traurige, teils "hochkomische" Roman viel zu sagen, versichert der Kritiker.