Marina Zwetajewa

"Ich sehe alles auf meine Art"

Ausgewählte Werke. Band 3: Unveröffentlichte Notizbücher
Cover: "Ich sehe alles auf meine Art"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518430934
Gebunden, 624 Seiten, 44,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben und übersetzt von Ilma Rakusa. Marina Zwetajewa, neben Anna Achmatowa die wichtigste russische Dichterin der Moderne, hat ein umfangreiches Werk - Gedichte, Prosa, Essays und Erinnerungen - hinterlassen. Von den oft widrigen Bedingungen, denen sie dieses Oeuvre abgetrotzt hat, zeugen ihre "Unveröffentlichten Notizhefte", ihre Tagebücher, die nun in einer Auswahl erstmals auf Deutsch vorliegen. Die Aufzeichnungen setzen 1913 ein und führen bis ins Jahr 1939, das Jahr, in dem Zwetajewa mit ihrem Sohn Georgi aus dem Exil nach Sowjetrussland zurückkehrt. In Tagebucheinträgen, aber auch Gedichten, Briefentwürfen, apodiktischen Aphorismen und lebenssatten Dialogen dokumentiert und reflektiert Zwetajewa ihr Leben inmitten der großen Krisen der Zeit. Besonders intensiv sind die Aufzeichnungen aus den Jahren von Revolution und Bürgerkrieg, die von großen Entbehrungen, Sorgen und Verlust geprägt waren.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.07.2023

Der Rezensentin Iris Radisch war die 1892 geborene Marina Zwetajewa bisher nur als Ausnahme-Dichterin bekannt, die in die russische Bourgeoisie hineingeboren wurde, während des russischen Bürgerkriegs nach über Prag floh, in Paris und Berlin ihr Exil verbrachte und 1939 nach Sowjet-Russland zurückkehrte, um dort in bitterster Armut zu leben, viele Opfer zu bringen - aber schreiben zu können, berichtet die Rezensentin. Dieses Bild der grandiosen, auch grandios leidenden, Künstlerin wird von Zwetajewas eigenen, offenbar nicht zur Veröffentlichung bestimmten Aufzeichnungen "überschattet", findet Radisch. Ihr zeigt sich hier eine narzisstische Mutter, die zwischen ihren Töchtern abwägt und ihre jüngste Tochter, die sie geradezu rassistisch abwertet, zum Sterben im Waisenhaus zurücklasst. Kurz vor ihrem Selbstmord bittet Zwetajewa bei ihrer Leserschaft um Mitleid, was ihr die Rezensentin nicht ohne weiteres gewähren will. Die Rezensentin ist von dieser Publikation schockiert - das "ekstatische Genie" Zwetajewas bleibt, aber nach dieser entmystifizierenden Lektüre ist sie für Radisch ein "schwer erträgliches Rätsel".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.06.2023

Nachdrücklich empfiehlt Rezensent Franz Haas die Lektüre der von Ilma Rakusas vorbildlich übersetzten und kommentierten Notizbücher der russischen Dichterin Marina Zwetajewa. So bewegt wie erschüttert liest der Kritiker hier, wie der Erste Weltkrieg in die heile Welt der jungen Frau eindringt, auch wenn sie diesen erst 1917 erstmals thematisiert. Zuvor riecht er bei Zwetajewa den Sommer in Russland - Gewitter ziehen spätestens dann auf, wenn ihr geliebter Mann Sergei Efron in den Krieg ziehen muss. Von da an erfährt der Rezensent von Liebschaften mit Frauen und Männern, stets entflammt sie für jemanden, auch wenn sie ihr eigenes "feuerfestes Asbestherz" preist, wie uns Haas erklärt. Zwischen poetischen Aphorismen und Würdigungen von Casanova und Goethe, Hofmannsthal und Rilke, liest der Kritiker aber auch von der Liebe zu ihren Kindern, der Vernachlässigung ihrer zweiten Tochter Irina, die ungeliebt und unterernährt im Alter von drei Jahren in einem Kinderheim stirbt - und immer wieder auch von Suizidgedanken. Eine Konstante im Leben bleibt ihr Mann Sergei, dem Zwetajewa schließlich nach Jahren im Pariser Exil in die Sowjetunion folgt. Nach der Lektüre dieser "fürchterlich ehrlichen Aufzeichnungen" ist Haas der "Berserkerin der Liebe" ein ganzes Stück nähergekommen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 17.01.2023

Rezensent Nico Bleutge hält die Notizbücher von Marina Zwetajewa für einen wichtigen Bestandteil des Werkes der Dichterin. Entsprechend erfreut zeigt er sich über diese Auswahl und Übersetzung von Ilma Rakusa. Die teilweise erstmals auf Deutsch lesbaren Aufzeichnungen der Jahre 1913-32, Träume, Briefe, Erinnerungen, Lektüren, Alltagsbeschreibungen und Gedanken über das Schreiben beschenken Bleutge u.a. mit "wahrnehmungsgenauen", nüchternen Reflexionen der Autorin aus der Kriegszeit. Letztere scheinen ihm besonders lesenswert, da sie die existenzielle Not bezeugen, aber auch den Glauben Zwetajewas an die Dichtung.