Kamel Daoud

Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung

Roman
Cover: Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2016
ISBN 9783462047981
Gebunden, 208 Seiten, 17,99 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Claus Josten. Nacht für Nacht sitzt ein alter Mann in einer Bar in Oran und erzählt. Seine Geschichte und die seines Bruders Moussa, jenes Arabers, der 1942 von einem gewissen Meursault, den angeblich die Sonne blendete, am Strand von Algier erschossen wurde. Der weltberühmte Roman "Der Fremde" von Albert Camus erzählt, wie es dazu kam und davon, wie Meursault der Prozess gemacht und er am Ende nicht so sehr für den Mord, den er begangen hat, verurteilt wird, sondern für die Emotionslosigkeit, die er bei der Tat und auch später immer wieder zur Schau stellt. Das Opfer, der Araber, bleibt dabei stets namenlos. Indem er nun - 70 Jahre später - die Geschichte seines Bruders bis zu dessen gewaltsamem Tod erzählt, gibt der alte Mann dem Araber seinen Namen zurück und damit eine Identität und eine Geschichte. Und er macht seinem Ärger Luft, seiner Trauer, der Wut und der Frustration über sein eigenes Leben im Schatten dieses Todes. Kamel Daoud verzahnt in seinem Erstlingsroman die Geschichte der beiden Brüder mit der Geschichte Algeriens und mit dem Roman von Camus.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2016

Kamel Daoud hat mit seinem Debütroman "Der Fall Meursault" Albert Camus' berühmtem Roman "Der Fremde" eine Gegendarstellung gewidmet, in der das arabische Mordopfer mit einer Biografie versehen und das Motiv des - bei Camus philosophisch-amoralischen - Mörders zu einer Überreaktion aus Eifersucht banalisiert wird, fasst Rezensentin Iris Radisch zusammen. Das mag politisch hoch korrekt sein und auf den Umgang Camus' mit Arabern in seinem Werk aufmerksam machen, erklärt Radisch. Es raubt der Geschichte aber auch ihren Kern und ihre gedanklichen Implikationen, wodurch Daouds Buch ungleich kleinformatiger bleibt als sein Gegenstand, kritisiert sie.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.03.2016

Angela Schader liest Kamel Daouds jetzt auf Deutsch erschienenen Roman mit großem Respekt vor der oppositionellen Haltung des Autors gegen gewalttätige Strömungen im Islam. Den Text versteht sie als Antwort auf Camus' Roman, als klare Differenz einerseits, sprachlich, als auch, indem Daoud den nebensächlichen Mordfall bei Camus nun auffaltet und dem Ermordeten einen Namen gibt. Dass der Autor ihm dennoch keine Kontur verleiht, bedeutet Schader, dass Daoud keine einfache Gegendarstellung anstrebt, sondern die beiden Texte mittels Anspielungen, Parallelen, Variationen "konvergieren" lassen möchte. Daouds Protagonist, erklärt sie, schreibt die Geschichte des "Fremden" nicht neu, sondern anders, im Bewusstsein des postkolonialen Diskurses.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 01.03.2016

Für Reinhart Wustlich gelingt Kamel Daoud mit seinem dialektischen, vielschichtigen Roman die Revision und arabische Aneignung eines Klassikers: Camus' "Der Fremde" sozusagen arabisch von rechts nach links gelesen. Indem Daoud der namenlosen Figur des Arabers bei Albert Camus einen Namen gibt und den Konflikt als Unabhängigkeitserklärung Algeriens auslegt, schafft er laut Wustlich eine Alternative zur eurozentrischen Lesart und erzählt das Drama als Folge eines Mangels an Symmetrie, "eines Ungleichgewichts von Macht und Menschlichkeit".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.02.2016

Rezensent Tobias Lehmkuhl hat so seine Zweifel, ob wir es hier mit einem gleichrangigen Gegenstück zu Albert Camus' "Der Fremde" zu tun haben und fragt sich, ob die Kritik sich nicht von der brillanten Grundidee des Romans hat blenden lassen. Aber den Roman aus der Perspektive des bei Camus namenlosen Arabers neu zu erzählen, reicht Lehmkuhl nicht aus. Im Prinzip macht Lehmkul Daoud den Vorwurf, die Höhe der Camusschen Konstruktion einfach nicht zu erreichen. Sein Roman stellt für ihn keine Gegenhandlung dar, sondern erschöpft sich in "ziellosem Monologisieren" ja "bloßem Gerede". Selbst grammatikalische Schwächen macht er bei Daoud aus. Ob und wie genau Daoud den Kolonialismus und die Folgen thematisiert, lässt Lehmkuhl in seiner ein wenig kurz geratenen Kritik offen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.02.2016

Lena Bopp liest den Roman von Kamel Daoud in Bezug zu Camus' "Der Fremde". Kein schlechtes Vorzeichen, meint sie, dass der Autor dahingehend deutliche Spuren legt in seinem Text, Zitate gar einbaut und Camus' Begriffe auf ein algerisches Leben anwendet, wie die Rezensentin schreibt. Die Umkehrung der Perspektive lässt sie die ungleichen Wahrnehmungen im algerisch-französischen Verhältnis erkennen, wie sie bis heute wirksam sind. Ein Meisterwerk, findet sie.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 13.02.2016

Viel zu hoch gegriffen, findet Rezensent Tilman Krause. Kamel Daould hatte eine hübsche Idee, aber in der Umsetzung kann er sich nach Ansicht des Rezensenten nicht mit Camus messen. Wo Camus' Protagonist kühl und desinteressiert auf den ermordeten Araber blickt (laut Krause würde er genau so auf einen ermordeten Europäer gucken), blickt Daouds "reichlich schlichter" Protagonist leidenschaftlich zurück. Hier ungerührte, desillusionierte Prosa, dort mäandernde, den Rezensenten ermüdende Prosa. Nein, für Krause zeichnet sich Daouds Roman nur durch eines aus: "politische Korrektheit".