Julien Green

Adrienne Mesurat

Roman
Cover: Adrienne Mesurat
Carl Hanser Verlag, München 2000
ISBN 9783446199095
Gebunden, 312 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Elisabeth Edl, mit einem Nachwort von Wolfgang Matz. Eine kleine Villa in der französischen Provinz, ein Vater und zwei erwachsene Töchter, die ältere kränklich, die jüngere achtzehn und lebenshungrig. Was äußerlich wohl geordnet scheint, wird für Adrienne Mesurat zu einer Hölle auf Erden. Vom Vater gegängelt und von der Schwester schikaniert, verliebt sie sich in den Arzt Maurecourt. Eine obsessive und fanatische Liebe, die jedoch unerwidert bleibt. Als die Schwester Germaine aus dem Haus des Vaters flieht, steht Adrienne dessen Willkür allein gegenüber.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.12.2000

Martin Mosebuch betont gleich zu Beginn seiner Buchbesprechung, dass es nicht darum gehen kann, dieses Buch zu rezensieren, da es als Klassiker "seine Lebenskraft" bewiesen hat und damit jenseits von Kritik steht. Thema des Romans sind die "Schrecken der französischen Provinz", die Green am Beispiel der Protagonistin Adrienne Mesurat ausmalt. Green als Amerikaner betrachtete dieses Thema zwar von eine Außenseiterperspektive, gerade das aber ermöglicht ihm nach Mosebach, möglichst viele Aspekte dieser in Frankreich "hoch emotionalen" Thematik zu verarbeiten. Der Rezensent schließt sich André Bretons Meinung an, dass Green ein "faszinierendes Beispiel von `ecriture automatique`" ist - jemand, der einfach die literarischen Eindrücke um sich herum verarbeitet. "Widersprüche ließ er sorglos zu, um durch keine ängstliche Korrektur den Lauf seiner Rede zu bremsen". Das führt zu einigen Ungereimtheiten, die nach Mosebuchs Meinung recht wirkungsvoll "ein Gefühl der Unwirklichkeit, des leichten Schwindels" verursachen. Dieser Unebenheiten nicht zu versuchen, auszubügeln, das hält der Rezensent für die große Leistung der Übersetzerin Elisabeth Edl, die sich dicht an die Vorlage gehalten habe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.09.2000

In einer Sammelrezension bespricht Ute Stempel folgende Publikationen des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Julien Green:
1) "Adrienne Mesurat. Roman"
Das "höllische Geisterdunkel", in dem der zeitlebens in Frankreich lebende Amerikaner seine Romane getaucht hat, meint Ute Strempel, prägt auch diesen Roman. So lässt sich die in der Provinz lebenden Adrienne Mesurat einerseits von ihrem Vater tyrannisieren, andererseits von einer "erotischen Obsession", die sie für Liebe hält. Einen Ausweg daraus gibt es nicht, selbst der Mord am Vater ist keine "Erlösung", da sie letztlich in die "geistige Umnachtung" führt. Die "Seelendramen" Julien Greens erinnern die Rezensentin an Dostojewski und Kafka. Auch hier werden die "bedrohlich muffigen Szenerien" bedroht von einer verzehrenden "Glut des Bösen".
2) "Wenn ich du wäre. Roman"
Ein Büroangestellter schlüpft in die Körper anderer, von ihm beneideter Menschen, z.B. seines Chefs oder auch eines Mörders und eines Frauenhelden. Da er dadurch jedoch auch "mit der Seele des anderen gestraft" wird, zeigt sich der Ich-Verlust als zu hoher Preis. Mit einem "platten Schluss", findet Ute Strempel, nimmt Green hier die Unheimlichkeit und Radikalität seines Romans wieder zurück: alles war nur ein Fiebertraum. Interessant findet sie, dass die Psychoanalytikerin Melanie Klein schon 1947 diesen Roman als "Beleg für eine Studie über die Identitätsproblematik" nahm, was dem Autor durchaus nicht recht war.
3) und 4): "Tagebücher 1990 - 1996" und "Tagebücher "1996 - 1998"
Erstaunlich ist der Gegensatz, meint Strempel, den die "human gefilterten" Tagebücher des sehr zurückgezogen lebenden Green bilden zu den finsteren Leidenschaften, die seine Romane beherrschen. Hier gruselt sich Green, bei aller Gottesgewissheit, die ihn als zum Katholizismus Konvertierten auszeichnete, vor der Welt der Politik, vor Atomkraftwerken und Kinderarbeit, Schändung jüdischer Friedhöfe und kalten Kameraaufnahmen von sterbenden Kindern in Afrika. Diese Tagebücher, merkt Strempel an, gehören zu "den ausführlichsten und an Jahren umfassendsten der Literaturgeschichte". Erstaunlich findet sie, dass der Autor mit den Jahren nicht milder sondern eher immer schonungsloser mit der Welt ins Gericht gegangen ist. Jedoch "öffnen Greens Tagebücher keine Fenster in seine geheimsten Lebensträume", schreibt Strempel und zitiert seine Selbstaussage hierzu: `Mein wirkliches Tagebuch steckt in meinen Romanen.`
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