Jean-Yves Tadie

Marcel Proust

Biografie
Cover: Marcel Proust
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518419526
Gebunden, 1298 Seiten, 68,00 EUR

Klappentext

Die "Biografie des Werkes" ist die einzig sinnvolle Aufgabe für einen Proust-Biografen. Mit diesem Leitfaden folgt Jean-Yves Tadie der Intention Prousts, der 1921 in seinem Aufsatz über Baudelaire betont, bei einer Biografie gehe es um das Warum und das Wie, nicht um das Was. Bei Tadie sind folglich die äußeren Lebensumstände und -zeugnisse, einschließlich der Korrespondenz, nur Belege und Mittel, um das "innere Leben", das, was Proust wusste, dachte, empfand, interpretierend zu erschließen. Die Darstellung fließt dabei nicht immer exakt linear. Sie reflektiert auch die Bruchstellen und registriert bewertend die Details von Belang und die oft retardierenden Bedeutungen der Ereignisse. Es ergibt sich ein Puzzle von Personen, Orten und Motiven.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.02.2009

Als eine Art Recherche zu Prousts "Recherche" beschreibt Rezensent Rolf Vollmann diese über tausendseitige Biografie von Jean-Yves Tadie, den er als einen der besten Kenner Prousts und seines Werkes vorstellt. Im Original sei das Buch bereits 1996 erschienen, merkt Vollmann ein wenig missmutig über das späte deutsche Nachziehen an und macht auch ein paar editorische Einwände geltend. Anders als im Original befänden sich in der deutschen Ausgabe nämlich die Anmerkungen, die den Text so klug ergänzen würden, im Anhang statt auf der Seite, auf die sie sich jeweils bezögen. Aber wer könne schon 4320 mal zurückblättern? Am überzeugendsten findet der Rezensent den Proust-Biografen, wenn er die realen Umstände und Figuren aus der "Recherche" erhellt, und dabei die Metamorphosen sichtbar macht, in denen sie schließlich zu Romanfiguren werden. Mit diesen "Ergänzungen und Retouchen" übermale Tadie noch einmal das von Proust bereits Gemalte und gebe damit dessen Farben einen immer geheimnisvolleren Glanz und seiner eigenen Biografie eine "immer flimmenderer Weite" und "schöne Genauigkeit". Es gibt auch Punkte, an denen sich Vollmanns Leserseele leicht "erkältet", zum Beispiel die dürren Worte, die Tadie für Prousts Begriff von der Liebe findet. Aber das ficht das Gesamtbild kaum an.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.01.2009

Für Thomas Laux bedeutet Jean-Yves Tadies Biografie ein "Meilenstein" in der Proustforschung, auch wenn sie nicht alle Fragen erschöpfend beantwortet, wie er feststellen muss. Dem Autor, vom Rezensenten als besonderer Kenner Prousts gerühmt, geht es vor allem um die Entstehung und die spezifische Ästhetik des Proustschen Werks, wie Laux betont. Ohne allzu stoisch die "allseits sanktionierten" Stationen der Biografie des Schriftstellers abzuschreiten, zeige sich Tadie sensibel für wichtige "Nebenschauplätze", zeichne ein anschauliches Epochenbild und stelle die gesellschaftliche Atmosphäre von Prousts Umfeld eindrücklich nach, lobt der Rezensent. Ein bisschen wundert er sich über die betonte Distanz, die der Autor zur Schau trägt. Bei der Darstellung der sexuellen Disposition beispielsweise notiert Laux zwar dankbar die Zurückhaltung gegenüber wohlfeiler psychologischer Erklärungen und spekulativer Ausführungen, ein bisschen weniger Indifferenz hätte er sich dennoch erhofft. Dafür scheint dem insgesamt dennoch sehr eingenommen wirkenden Rezensenten die im letzten Drittel des Bandes vorgelegte Darstellung der Produktionsumstände von Prousts Hauptwerk, "A la recherche du temps perdu" wieder außerordentlich informativ und erhellend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.01.2009

Erfreut zeigt sich Joseph Hanimann darüber, dass die im Original bereits vor 12 Jahren erschienene "große" Proust-Biografie von Jean-Yves Tadie nun auf Deutsch vorliegt. Er schätzt den Autor als einen der bedeutendsten Proust-Kenner und Herausgeber. Gleichwohl stimmt er nicht die ganz große Lobeshymne an, sondern betrachtet das Werk mit differenziertem Blick. Er attestiert Tadie ein feines Gehör für das Gesamtwerk Prousts, so dass sich die unzähligen Einzelheiten dieser Biografie nicht in einem "anekdotischen Durcheinander" verlieren. Die Stärke des Buchs sieht er in der Vermittlung zwischen der Fülle zeitgeschichtlich-biografischen Materials und der des literarischen Lebenswerks. Dabei betrachtet er Tadie eher als Philologen denn als Biografen, was dem Buch "mitunter etwas Papierenes" verleihe - "ganz im Sinne von Prousts antibiografischem Programm". Er hebt die Zurückhaltung des Autors mit Kommentaren und Beurteilungen hervor, verschweigt aber nicht, dass ihn die gelegentlich dann doch gegebenen Urteile nicht immer überzeugen. Am meisten beeindruckt hat ihn das Buch, wenn es um Prousts großen Romanzyklus geht. Hier scheint ihm Tadie "wirklich in seinem Element".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.12.2008

Ganz und gar mündig geht Ina Hartwig aus der Lektüre von Jean-Yves Tadies Proust-Biografie hervor. Mündig, die "Recherche" zu lesen. Und das ist doch was, findet Hartwig, die lange auf die deutsche Übersetzung dieses "Meilensteins der Proust-Biografik" hat warten müssen. Mit der "unermesslichen" Leistung des Lektorats oder der Trauer über den zwischenzeitlich verstorbenen Übersetzer Max Looser hält sich die Rezensentin nicht lange auf. Sie stürzt sich in die vom Autor zupackend gebändigte Materialfülle und lässt sich ein auf Tadies zwischen Psychoanalyse, Sozialgeschichte und Werkgenese angesiedelten interpretatorischen Ansatz. Mit Gewinn, muss man sagen. Denn Hartwig hat für den Balanceakt des Autors zwischen typologischer Festlegung seines Objekts und künstlerischer Individualität einiges übrig. Gleiches gilt für Tadies Verzicht auf moralischen Tadel. Das meint die Rezensentin mit Mündigkeit.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.12.2008

Dieser recht lange Text ist alles mögliche, aber eine Rezension der nun ins Deutsche übersetzten Proust-Biografie von Jean-Yves Tadie ist er fast zuletzt. Vor allem nämlich hat Michael Kleeberg ein Hühnchen zu rupfen. Und zwar mit dem in Deutschland seiner Ansicht nach vorherrschenden Proust-Verständnis, dessen Opfer nicht zuletzt er, Kleeberg, selbst geworden sei mit seinem Versuch, Teile der Proustschen "Recherche" zu übersetzen. Wofür man in Deutschland keinen Sinn habe, das sei das Experimentelle Prousts, sein Humor, seine Nähe zum Skatologischen (dafür wird als Zeuge der französische Proustologe Christian Grury herbeizitiert). Über die Tadie-Biografie hat Kleeberg zu sagen, dass sie natürlich gut recherchiert sei und viele einschlägige - wenn auch nicht die sexuellen - Fakten von Prousts Leben versammelt. Einen Grund, das wirklich zu lesen, gebe es aber, so Kleeberg, eigentlich nicht. Todlangweilig sei Prousts Leben gewesen, und das Aufregende daran sei einzig und allein durch seine Verwandlung in Literatur entstanden und deshalb auch nur im Werk selbst nachzulesen. Der einzige Zweck des vorliegenden Buchs könnte darum nur sein, zur Proust-Lektüre zu verführen. Den erfülle es durchaus. Nicht nichts, aber eine dringende Tadie-Empfehlung nun auch wieder nicht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.12.2008

Jean-Yves Tadies große Biografie liegt zur Freude von Rezensent Andreas Platthaus nun endlich in deutscher Übersetzung vor. Das langersehnte, im Original bereits 1996 erschienene Werk ist für ihn ein Meisterwerk, das "allgemein anerkannte opus magnum" in der Flut der internationalen Proust-Studien. Da der Rang dieses Buchs für ihn keiner weiteren Worte bedarf, geht er vor allem die Frage nach, wie es mit dem Anmerkungsapparat in der deutschen Übersetzung aussieht. Er hebt hervor, dass der Übersetzer Max Looser, auch ein Proust-Experte, den an sich schon umfangreichen Anmerkungsapparat noch einmal erweiterte, bevor er starb. Diese Arbeit hat sich nach Platthaus' Ansicht durchaus gelohnt, findet er hier doch viele instruktive Informationen zu Proust. Allerdings merkt man dem Apparat zu seinem Bedauern gelegentlich schon an, dass mit Raimund Fellinger, der den Kommentarteil nach dem Tod des Übersetzers fertiggestellt hat, nicht mehr der große Experte am Werk war. Nichtsdestoweniger scheint er glücklich über diese deutsche Ausgabe von Tadies Studie. Für ihn ist eines sowieso klar: Sollte vom 20. Jahrhundert ein Roman bleiben, dann Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Und "wenn man dazu ein Buch lesen sollte", so Platthaus, "dann das von Tadie".
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