Igor J. Polianski

Das Schweigen der Ärzte

Eine Kulturgeschichte der sowjetischen Medizin und ihrer Ethik
Cover: Das Schweigen der Ärzte
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015
ISBN 9783515110051
Kartoniert, 439 Seiten, 68,00 EUR

Klappentext

Unmittelbar nach dem Sieg des Roten Oktober haben die bolschewistischen Machthaber eine beispiellose Umwälzung des von dem alten Regime hinterlassenen Gesundheitssystems gestartet. Diese war vom Bestreben getragen, die ethische Kultur der "bürgerlichen Medizin" zu zerstören und insbesondere das Arztgeheimnis aufzuheben - jenes Symbol der Professionsautonomie, das seit langem Ängste vor einem Verschwörerkreis ärztlicher Auguren nährte, um sich im Sowjetrussland im Gegenphantasma eines "gläsernen Arztzimmers" zu kristallisieren. Während das Schweigen der Ärzte dem politischen Bemühen zuwiderzulaufen schien, den "Neuen Menschen" dem ärztlichen Blick und durch diesen dem der Regierung und Partei zu unterwerfen, rief das Volkskommissariat für Gesundheitsschutz dazu auf, den Arzt unter der "Glasglocke der Arbeiter-und-Bauern-Öffentlichkeit" arbeiten zu lassen. In der Folgezeit zeigte sich jedoch immer deutlicher, wie weit dieser Kontrollanspruch und reale Möglichkeiten, ihn auszuüben, auseinanderlagen und wie eng die Auseinandersetzung um die ärztliche Ethik mit dem heute noch ungelösten Dilemma zwischen gesamtgesellschaftlicher und funktioneller Rationalität der Medizin zusammenhing.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.2016

Martina Lenzen-Schulte ist beeindruckt von dem Buch des Medizinhistorikers Igor J. Polianski. Dass der Autor eine Kulturgeschichte der Sowjetmedizin des letzten Jahrhunderts in Angriff nimmt und damit das eher geringe Wissen über Ärzte im totalitären Sowjetstaat erweitert, hält sie für ein großes Verdienst. Weit über die Instrumentalisierung der Ärzte für die Dissidentenkontrolle geht der Autor bei der Behandlung des Themas hinaus, meint sie. Das Buch zeigt ihr, wie gefährlich der Schulterschluss von Staat und Medizin sein kann, wie er zu Überwachung und Reglementierung führen kann. Außerdem erfährt Lenzen-Schulte, dass die Prävention ein ideologischer Kern des Regimes war. Anhand von Beispielen vermittelt ihr Polianski, wie beklemmend die Atmosphäre jener Zeit war. Auch wenn der Autor die Psychiatrie weitgehend ausklammert, eine Sensibilisierung für den Ruf nach mehr Kontrolle in der Medizin gelingt ihm laut Rezensentin überzeugend.
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