Günter Grass

Figurenstehen

Cover: Figurenstehen
Steidl Verlag, Göttingen 2022
ISBN 9783969991077
Gebunden, 80 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Als er gefragt wurde, mit welcher Frau in der Geschichte der Kunst er gerne zu Abend essen würde, nannte Umberto Eco Uta von Naumburg. So geht es auch dem Erzähler dieser Geschichte. Ende der 1980er Jahre auf Lesereise in der DDR, findet er sie, die schönste Frau des Mittelalters, mit elf weiteren Stifterfiguren im Naumburger Dom. Und weil auf dem Papier alles möglich ist, bittet er alle, nach deren Abbild der Künstler im 13. Jahrhundert die lebensechten Skulpturen geschaffen hat, in seinem Garten zu Tisch. Die Tochter des Goldschmieds, die für Uta Modell stand, hat es ihm besonders angetan. In einem gewagten Zeitsprung steht sie in der Gegenwart für ihren Lebensunterhalt auf Plätzen in Köln, Mailand oder Frankfurt "Figuren". So sehr verfällt ihr der Erzähler, dass er überall nach ihr Ausschau hält und sich schließlich sogar für einen verhängnisvollen Botengang einspannen lässt.Die Erzählung, zunächst als Kapitel für "Beim Häuten der Zwiebel" konzipiert, wurde erst kürzlich von Grass' langjähriger Mitarbeiterin Hilke Ohsoling im Archiv entdeckt - allerdings nicht einfach in einer verstaubten Schublade. Hinweise auf "Figurenstehen" hatte sie schon vorher gefunden: in einzelnen Manuskriptseiten im Archiv, in Arbeitsplänen, in einer Skulpturengruppe im Atelier, in Lithographien. Eine bislang ungekannte, feinsinnige Erzählung des Literaturnobelpreisträgers, die nicht in der Neuen Göttinger Werkausgabe enthalten ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.12.2022

Günter Grass' neu erschienene Erzählung hat die editorische Sonderbehandlung - ansprechendes Satzbild, schöne Abbildungen auf und im Buch, Leineneinband - verdient, findet Rezensentin Cornelia Geißler. Denn dass von so einem wichtigen Autor nun nach seinem Tod noch ein neuer Text entdeckt wurde, sei schon ein Ereignis; und auch inhaltlich ist die Kritikerin höchst angetan. Wie schon in seiner früheren Erzählung "Das Treffen in Telgte" lässt der Erzähler auch hier historische Persönlichkeiten bei einem Abendessen zusammenkommen; dieses Mal elf Stifterfiguren aus dem Naumburger Dom. Besonders angetan hat es Grass natürlich die schöne Uta, die der Erzähler dann in einer Straßenkünstlerin wiederzuentdecken glaubt und fortan während seiner Lesereise durch die DDR überall sucht, wie Geißler erklärt. Ein glücklicher Fund, der der Kritikerin ein weiteres Mal das Können dieses Schriftstellers vor Augen führt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 01.12.2022

Aus dem Nachlass von Günter Grass erscheint jetzt eine Erzählung, die sich mit der historischen Figur Uta von Naumburg befasst und die Rezensent Jan Drees als "schlichtweg sensationell" bezeichnet. Der Autor beginnt mit einer Enttäuschung über die Statuen im Naumburger Dom, die ihm zufolge viel zu klein geraten sind. Doch diese Begegnung im Dom war nur der Auftakt für eine jahrzehntelange Beschäftigung des Nobelpreisträgers mit der (mythischen) Figur Utas, erfahren wir, immer wieder begegnet er ihr auf die eine oder andere Weise. Dass Grass sich historischen Figuren widmet, kennt Drees schon vom "Treffen in Telgte", hier eröffnet sich für ihn ein spannender "Werkstattbericht" in die Porträtkunst, der nicht nur die Erzählung selbst umfasst, sondern auch eine Lithographie aus dem Jahr 2001. Der Rezensent ist begeistert von diesem typischen Grass'schen Text voll Fabulier- und Schreiblust.