Gerd Koenen

Das Rote Jahrzehnt

Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-77
Cover: Das Rote Jahrzehnt
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2001
ISBN 9783462029857
Gebunden, 554 Seiten, 25,51 EUR

Klappentext

Die 68er sind in aller Munde: Außenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin stehen wegen ihrer politischen Vergangenheit 25 Jahre später plötzlich am öffentlichen Pranger. Die CDU und die FDP benutzen die Auseinandersetzung, um parteipolitisch wieder in die Offensive zu kommen und verfallen in die ideologischen Raster der Vergangenheit. Der positive Effekt dieser Kontroversen jedoch ist, dass zum ersten Mal in einer größeren Öffentlichkeit über den historischen Umbruch diskutiert wird, den die Ereignisse vor 32 Jahren ausgelöst haben. Gerd Koenen, damals selbst Mitglied des KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands) hat die Geschichte dieses Jahrzehnts geschrieben, das mit dem Aufbruch der Studentenbewegung 1967 begann und mit dem "deutschen Herbst" 1977 endete.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.08.2001

Nach einer "aufschlussreicheren soziologischen Erkundung der gärenden siebziger Jahre", so Uwe Justus Wenzel über dieses Buch, wird man zur Zeit vergeblich suchen. Der Autor, dem andere wichtige Arbeiten aus der Sicht des Zeithistorikers zu verdanken sind, hat hier als Zeitzeuge das Ereignis der "kleinen deutschen Kulturrevolution" unter die Lupe genommen. Herausgekommen sind Beschreibungen und Thesen, deren Qualität der Selbstbesinnung in der Debatte um Joschka Fischers Vergangenheit als Frankfurter Sponti gänzlich fehlten, urteilt er in seiner Besprechung. Interessant scheint ihm, wie Koenen den rigiden neoleninistischen Apparat beispielsweise des KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) als "instinktiven Akt der Selbstkontrolle" einer westdeutschen Linken beschreibt, die gewaltsamen Phantasien frönte. Weniger einverstanden ist er mit dem Urteil Koenens, dass es 1968 überall sonst "wirkliche Probleme" gegeben habe, nur in Deutschland nicht. Er fragt sich, ob der Konflikt der Generationen nicht doch etwas "Wirkliches" war.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.2001

Koenen hat über das "rote Jahrzehnt" ein Buch geschrieben, das sich einfachen Zuordnungen entziehe, findet Gabrielle Metzler. Der Mix des Buchs: Geschichtsbuch, Erinnerung, Familien- und Bildungsroman zu sein, mache es reizvoll. Koenen, so Metzler, stellt die Historie der Revolte im Wesentlichen richtig dar. Er charakterisiere den Einstieg in den Terrorismus zutreffend als typisch für die politischen Splitterbewegungen nach 1968/69. Dass Koenen sich durch Berge ideologischer Traktate und Pamphlete gearbeitet hat, den die neue Linke nach 1969 produzierte, hält Metzler für eine respektable Leistung. Koenens Darstellung des Herbstes 1977 reiche hingegen nicht über Bekanntes hinaus. Bedenkenswert hier nur die These, die Terroristen hätten in "blindem Wiederholungszwang" gehandelt. Vielleicht, meint Metzler, sei 1977 ein Versuch gewesen, die ausgebliebene Katharsis von 1945 nachzuholen. Was bleibt vom "roten Jahrzehnt", fragt Metzler und nennt die Bilanz "bescheiden". Immerhin seien die Grünen geblieben und hätten neue Themen politikfähig machen können.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.05.2001

Stephan Wackwitz gibt zu, das Buch mit einigem Herzklopfen gelesen zu haben. Zwar hätte es seiner Ansicht nach besser geschrieben werden können, doch darauf kommt es seiner Ansicht nach nicht in erster Linie an. Auch die Unentschlossenheit des Autors zwischen "persönlichem Erfahrungsbericht" und Monografie ist zweitrangig, findet Wackwitz. Wichtig ist ihm vielmehr, dass Koenen hier eines der wenigen Bücher vorgelegt habe, die sich kritisch mit dem "Zusammenspiel von demonstrativer Selbstzerstörung, Erpressung und missgeleitetem Schuldgefühl" der politischen Linken der siebziger Jahre befasst. Das Herzklopfen, dass Wackwitz einleitend erwähnt, rührt zum großen Teil daher, dass er es heute kaum fassen kann, welchen Einfluss die sektenähnliche "totalitäre Machtmaschine" damals auf die Intellektuellen - und nicht zuletzt auf ihn selbst - ausüben konnte: sei es durch den "hochfahrend-manirierten, tief gestörten, im gefährlichsten Sinn unmenschlichen Ton der Verlautbarungen, Tagesbefehle, Lageberichte und 'Analysen'", wie etwa in Bekennerschreiben und linken Gazetten - seien es die Vorgaben, die sogar persönliche Finanzen oder das "Liebesleben" betrafen. Auffallend findet Wackwitz darüber hinaus etwas, was er als "Geisterbeschwörung" bezeichnet: die unkritische Übernahme von Vorkriegsphilosophie der zwanziger Jahre. "Ein großartiges und schreckliches Buch", so lautet das Fazit des Rezensenten.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.05.2001

Mit KD Wolff ist Gerd Koenen an einen besonders kritischen Rezensenten geraten. Denn auch KD Wolff war 1968 dabei. Als Bundesvorsitzender des SDS. Und sein Blick auf die Geschichte und die Ausführungen bei Koenen ist ein gänzlich anderer. Nicht nur, dass sich Wolff darüber ärgert, im Personenregister des Buchs mit Falschinformationen aufzutauchen - "Gewinne aus der deutschen Ausgabe der 'Geschichte der O' habe ich leider nie bekommen, und 'frühe, rote Akkumlationsjahre' hat mein Verlag nicht gehabt" - auch Koenens Tiraden gegen Klaus Theweleit verärgern den Rezensenten. Dabei, höhnt Wolff, habe sich Koenen trotz aller Kritik an dem Psychoanalytiker von dessen Prosa einfangen lassen. Richtig sauer ist Wolff darüber, dass bestimmte prominente Vertreter der 68er mit vollem Namen erwähnt werden, andere aber - Genossen aus Koenens Kommunistischem Bund Westdeutschlands - mit ihren Initialen geschützt würden. Und überhaupt habe sich der Autor auf gewaltbereite Terroristen konzentriert und dabei die zahlreichen konstruktiven und mehrheitlich friedlichen Aktionen unter den Teppich gekehrt. Trotzdem findet Wolff Koenens Buch lesenswert. Auf den zweiten Blick und mutmaßlich gegen den Willen des Autors. Eins hat Wolf deutlich zwischen den Zeilen erkannt: Koenen verfange sich in Widersprüchen und wolle letztlich doch verstehen - frei nach Theweleit - was in den 68ern so vorging.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.04.2001

Im Unterschied zu anderen Arbeiten zum Thema betrachtet der Autor "68" (das hier allerdings den Zeitraum von 1967-1977 meint, wie der Rezensent auch einräumt) als eine abgeschlossene, geradezu hermetisch versiegelte Epoche, der man sich nur "archäologisch und ethnologisch" nähern kann. Das die Meinung Richard Herzingers. Koenens Urteil über das Erbe der Siebziger ("der spezifische politische Ideenfundus ... ist zu einem übergroßen Anteil Makulatur geworden"), schreibt er, ist erbarmungslos, das Buch als "akribische Rekonstruktion" mitunter fordernd, aber auch "überfällig" und "meist spannend" zu lesen. Was Herzinger, übrigens durchaus mit Sympathie für den Autor, am Ende einzuwenden hat, ist dessen Eitelkeit - darüber, dass aus ihm nach zehn Jahren totalitärem Größenwahn und Pol-Pot-Verehrung "doch noch ein solch passabler liberaler Prachtkerl geworden ist".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.04.2001

Christian Semler nimmt sich viel Zeit für dieses Buch. Verwunderlich ist das schon deshalb nicht, weil er als vom Autor befragter "mehr oder weniger verstockter Zeitzeuge" selbst dazu beigetragen hat. Semler also ist dabei gewesen, und so kann er die Frage, ob es dem Autor gelingt, sein Erkundungsschiff zwischen "Schön- und Weißfärberei der eigenen Rolle und der Charybdis der rückhaltlosen Abrechnung mit sich und der Zeit" hindurchzumanövrieren, wohl beantworten. "Nur sehr bedingt", lautet seine Antwort. Und doch spart der Rezensent nicht mit Lob. Das Buch, schreibt Semler, sei brillant geschrieben, voller Zeitkolorit, anekdotenreich und keineswegs gedankenarm und "eine lohnende Lektüre für alle, deren historisches Interesse durch die idiotische Kampagne gegen Joschka Fischer geweckt, aber bislang nicht befriedigt wurde." Nur: Hätte Koenen doch das Produktive der damaligen Zeit etwas mehr zur Kenntnis genommen, hätte die "existentialistische Gewaltfeier, die es so einfach nicht gegeben hat", zugunsten "unserer utopischen Leidenschaften" etwas weniger stark gemacht - der Rezensent wäre ein glücklicherer.