Erwin Koch

Sara tanzt

Roman
Cover: Sara tanzt
Nagel und Kimche Verlag, Zürich 2003
ISBN 9783312003259
Gebunden, 174 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Sara Broffe, Deckname Sumatra, übernimmt Anfang der 80er Jahre, zu Zeiten der Militärdiktatur, kleinere Hilfsdienste im Auftrag einer Widerstandsgruppe. Als sie dabei geschnappt wird, weiß sie nicht viel zu verraten. Um den Forderungen ihrer Häscher zu genügen, erfindet sie die Übergabe geheimer Dokumente oder konspirative Treffen mit Agenten. Und sie summt Lieder, um die Einsamkeit auszuhalten. Der Cellist Frits, der den Auftrag erhält, die Tonfolgen auf verborgene Botschaften hin zu untersuchen, verfällt Saras Schönheit und ihrer berührenden Menschlichkeit. Zwei Leidenschaften bestimmen von nun an sein Leben: seine Musik und der dringende Wunsch, Sara zu befreien. Nach dem Sturz der Junta wird Frits selbst als Kollaborateur von der neuen Regierung gefangen genommen. In der Untersuchungshaft erzählt er nun seine unglaubliche Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.02.2004

Begeistert war Jutta Person von Erwin Kochs Schilderung einer fiktiven Militärdiktatur. Der Roman kreise zunächst um die Titelheldin Sara, Mitglied einer Untergrundorganisation, die verhaftet und gefoltert wird, und um ihre Versuche, "immer die nächsten fünf Minuten zu überleben", indem sie den "Dechiffrierwahn" der Geheimdienstler zur Verzweiflung bringende Nonsenstexte summt, erzählt die Rezensentin. Später verschiebe sich der Fokus auf den Erzähler Frits, einem Cello spielenden "Schreibtischtäter", der beim Innenministerium angestellt ist und sich vor der eigenen Verantwortung in ein musikalisches "Paralleluniversum" flüchtet. Beeindruckend findet Person vor allem die "sprachliche Verfremdungstaktik" des Romans, der den Leser mit einem Knäuel realer und fiktiver Anspielungen konfrontiert und ihn so selbst in aussichtslose Dechiffrierversuche treibt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2003

Erwin Koch ist von Haus aus Reporter (zweimal ist der Schweizer bereits mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet worden) und hat die Geschichte schon einmal als Reportage erzählt, weiß Jörg Magenau. Der Rezensent vermutet, dass Koch mit dem Stoff nicht fertig geworden ist und darum in einem neuen Anlauf mit literarischen Mitteln versucht hat, die tieferen Zusammenhänge dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte im Gefängnis zu erforschen. Indem sich Koch reduktionistischer Techniken bediene, blieben Ort und Zeit der beschriebenen Militärdiktatur ganz allgemein, gerieten dafür aber um so beklemmender, meint Magenau. Das gelte auch für die ausgesparten Folterszenen. Die Protagonistin Sara kam als Kurierin des Widerstands ins Gefängnis, wo sie täglich verhört wird und gequält, während nebenan der Cellist Frits durch seine Musik die Schreie der Gefolterten übertönen soll. Mehr und mehr wechsele die Erzählperspektive zu Frits, sagt Magenau, dem opportunistischen Künstler, dessen Musik Saras Herz rührt. Gut und böse, Täter und Opfer seien bei Koch schwer zu trennen, stellt der Rezensent fest; Inhaftierte wie Aufpasser werden zu einer Art Schicksalsgemeinschaft, die sich erst auflöst, als das Regime von alleine zusammenbreche. Widerstandsakte, erzwungene Verhöre, das alles war vergeblich, schreibt Magenau. Für ihn ist dieses ebenso bedrückende wie anrührende Buch eine "Parabel über die Grenzen der Macht und die Macht der Liebe".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.10.2003

Es sind die "Variationen des Ausnahmezustandes im Überleben", die Sybille Birrer bei der Lektüre von Erwin Kochs Roman so begeistert haben. Das literarische Debüt des Journalisten Erwin Koch spiele "im geografischen Niemandsland" einer Diktatur, zwischen Gefangenschaft und Freiheit, Tätern und Opfern. Dabei entstünden "präzise psychologische Innenräume", wie zum Beispiel bei der Protagonistin Sara, die eine zweijährige Gefangenschaft durchleidet und übersteht. Das tut sie, in dem sie redet, beziehungsweise summt. Und dieses Summen verbindet sie dann mit dem zweiten Protagonisten - dem Cellospieler im Dienste des Innenministeriums, der so laut spielen muss, dass man die Schreie der Gefolterten draußen nicht hört. Laut Rezensentin entsteht durch die unterschiedliche Erzählperspektive in "atmosphärisch dichten Momentaufnahmen" eine leise Annäherung zwischen den beiden. Birrer bemängelt zwar die manchmal "ins Schlingern geratende" Logik der Erzählperspektiven. Das tut aber ihrer Begeisterung für das Buch wenig Abbruch, so ist sie doch vor allem von den "gezielten Auslassungen" Kochs gänzlich angetan. Ihr fasziniertes Fazit lautet dann auch: "In beidem, Momentaufnahmen und Auslassungen, spiegelt sich der Abgrund aus Angst und Schrecken, es spiegeln sich in berührender Weise die menschliche Verletzlichkeit und die unheimliche Verquickung von Opfern und Tätern".
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