Charles Taylor

Ein säkulares Zeitalter

Cover: Ein säkulares Zeitalter
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783518585344
Gebunden, 1298 Seiten, 68,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Was heißt es, dass wir heute in einem säkularen Zeitalter leben? Was ist geschehen zwischen 1500 - als Gott noch seinen festen Platz im naturwissenschaftlichen Kosmos, im gesellschaftlichen Gefüge und im Alltag der Menschen hatte - und heute, da der Glaube an Gott, jedenfalls in der westlichen Welt, nur noch eine Option unter vielen ist? Um diesen Wandel zu bestimmen und in seinen Folgen für die gegenwärtige Gesellschaft auszuloten, muss die große Geschichte der Säkularisierung in der nordatlantischen Welt von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart erzählt werden - ein Unterfangen, dem sich der kanadische Philosoph Charles Taylor in seinem neuen Buch stellt.
Mit einem Fokus auf dem "lateinischen Christentum", dem vorherrschenden Glauben in Europa, rekonstruiert er im Detail die entscheidenden Entwicklungslinien in den Naturwissenschaften, der Philosophie, der Staats- und Rechtstheorie und in den Künsten. Dem berühmten Diktum von der wissenschaftlich-technischen "Entzauberung der Welt" und anderen eingeschliffenen Säkularisierungstheorien setzt er die These entgegen, dass es die Religion selbst war, die das Säkulare hervorgebracht hat, und entfaltet eine komplexe Mentalitätsgeschichte des modernen Subjekts, das heute im Niemandsland zwischen Glauben und Atheismus gefangen ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.10.2009

Als historischen Roman, geistige Autobiografie und vor allem als "Bildungsroman der Moderne" hat der Politologe und Philosoph Otto Kallscheuer das "weit über tausendseitige Opus Magnum" seines kanadischen Kollegen gelesen. Charles Taylor, so der Rezensent, erzähle hier die "verschlungene Erinnerungsgeschichte" des "ehemals lateinischen, mittlerweile pluralistisch zweifelnden Westens". Taylor schildere diese säkularisierende Entwicklung über zahlreiche Etappen und mitunter seitenlange Umwege, wobei für Kallscheuer das Inspirierende an Taylors Denken ist, dass er die Säkularisierung und Entzauberung nicht als das Ergebnis einer "Subtraktion" beschreibt, sondern es vielmehr als Produkt einer "genuin religiösen REFORM" auffasst, ein Schlüsselbegriff des Werks, der explizit in Großbuchstaben geschrieben werde, um ihn von der Reformation abzusetzen, um seine fortschreitende Bewegung und nicht das rückwärtige "Gegen" in den Focus zu nehmen. Die Triebkräfte dieser "Reform" als ständige Bewegung findet Kallscheuer höchst komplex geschildert, ohne dass es zu seiner Freude am Ende zu einer Theorie führen würde. Auch die melancholischen Schlusskapitel samt der darin entfalteten "existenziellen Dilemmata" beeindruckten ihn sehr.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.10.2009

Trauer und Hoffnung und das Abenteuer des Denkens vermittelt Charles Taylor dem insofern glücklichen Rezensenten Dirk Lüddecke. Dass der kanadische Philosoph das Zeug dazu hat, eine nordatlantische Geistes- und Kulturgeschichte der letzten 500 Jahre zu erzählen, kann Lüddecke mit Sicherheit sagen. Was Säkularisierung heißt, wenn sie keinen Glaubensverlust bedeutet, sondern einen "prinzipiellen Optionalismus", hat der Rezensent sich von Taylor (flüssig übersetzt) erklären lassen. Aber auch die daraus resultierende Entwicklung eines "ausgrenzenden Humanismus". Lüddecke lobt den langen Atem und den intellektuellen Horizont des Autors, ferner seine Fähigkeit zur geistigen Zusammenschau und zur Verkürzung und dazu dem Leser das Gedachte zu erschließen. Zwar findet Lüddecke das Buch immer noch zu dick. Nicht zuletzt, weil Taylor nicht in den Ton eines "eifernden Antisäkularismus" verfällt, bleibt es für ihn dennoch lesbar.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2009

Auch als Gläubiger lebt man heute im Westen in einer Welt, die Gott nicht mehr braucht. Charles Taylor, der christliche Philosoph, erzählt die Geschichte der Entwicklung zu diesem Zustand. Und dabei gelingt es ihm, so der Rezensent Christian Geyer, eine ungewohnte Perspektive auf diese Entwicklung zu werfen. So nämlich, dass mit einem Mal der Unglauben nicht mehr als das "Selbstverständliche" erscheint, und die Fortschrittsgeschichte Richtung Säkularisierung zur Geschichte einer "Fragilisierung" des Gottglaubens wird. Was aber nicht Abschwächung des Glaubens selbst bedeutet, sondern eher Phänomene des Konvertierens, seine Stärkung sogar durch Auseinandersetzung mit seinen Kritikern, seiner Negation, dem Säkularismus. Christian Geyer ist an keiner Stelle seiner Rezension zum Ein- oder Widerspruch geneigt. Gewiss, ein Werk aus einem Guss sei das nicht. Aber das sieht auch Taylor selber so und selbst wenn auf den mehr als tausend Seiten der eine oder andere "Faden lose hängen bleibt", scheint der Erkenntnisgewinn Geyer mehr als immens.
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