Benjamin Stein

Die Leinwand

Roman
Cover: Die Leinwand
C.H. Beck Verlag, München 2010
ISBN 9783406598418
Gebunden, 212 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Ein Spiegelkabinett mit zwei Eingängen: Hinter beiden Buchdeckeln beginnt je eine Geschichte. Genau in der Mitte kommt es zur Konfrontation, treffen die beiden Erzähler, Amnon Zichroni und Jan Wechsler, aufeinander. Amnon Zichroni besitzt die Fähigkeit, Erinnerungen anderer Menschen nachzuerleben. Geboren in Jerusalem und streng jüdisch erzogen, studiert er in den USA und lässt sich in Zürich als Analytiker nieder. Dort begegnet er dem Geigenbauer Minsky, den er ermuntert, seine traumatische Kindheit in einem NS-Vernichtungslager schreibend zu verarbeiten. Beider Existenz steht auf dem Spiel, als der Journalist Jan Wechsler behauptet, das Minsky-Buch sei reine Fiktion.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.06.2010

Dies ist, glaubt man der begeisterten Rezensentin Anja Hirsch ein so mathematisch raffiniert ausgetüftelter wie im Hinblick auf jüdische Religion und Kultur lehrreicher wie dann aber auch leicht lesbarer Roman: das reine Wunder also - aber dass sie ihn als genau das begreift, daran lässt Hirsch in der Tat keinen Zweifel. Zur Konstruktion, die sie eingehender schildert, so viel: Zwei Geschichte werden erzählt, und zwar von den beiden Enden des Buches her. In der Mitte treffen sie sich. Die eine Geschichte ist die des in Israel jüdisch-orthodox aufgewachsenen Amnon Zichroni, der dann in Zürich Psychoanalytiker wird. Die andere Geschichte erzählt der in Ostdeutschland geborene Journalist Jan Wechsler, der einen mutmaßlichen KZ-Erinnerungs-Hochstapler überführt. Als wahlverwandte Autoren nennt das Buch selbst Oscar Wilde und Raymond Queneau. Nicht zu hoch gegriffen, findet die Rezensentin, die die Geschichten dieses Romans gleich doppelt von der ersten bis zur letzten Seite mit Gewinn und Genuss gelesen hat.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.05.2010

Benjamin Steins Roman "Die Leinwand" ist, wie Judith von Sternburg uns erklärt, ein "Wenderoman", den man sowohl von hinten als auch von vorn lesen kann. Allerdings hat es für die Rezensentin einen höheren Reiz, nicht zwischen den Geschichten der beiden Ich-Erzähler hin- und her zu springen, was das Buch durchaus anbietet, sondern sich jeweils konzentriert bis zur Mitte vorzuarbeiten. Der Autor lässt einmal den jüdisch-orthodoxen Psychoanalytiker Amnon Zichroni zu Wort kommen, der das vorgebliche Holocaust-Opfer Minsky dazu ermutigt, seine Erinnerungen niederzuschreiben, auf der anderen Seite hören wir vom ebenfalls orthodox lebenden Jan Wechsler, der Minskys Erinnerungen als gefälscht zu entlarven sucht. Es geht in diesem Roman, der merklich an den Skandal um Binjamin Wilkomirskis gefälschten KZ-Erinnerungen angelehnt ist, im Kern um die Unsicherheit von Identität und Erinnerung, und der Autor erweist sich darin als raffinierter und im Ton sicherer Erzähler, lobt Sternburg. Sie hat besonders beeindruckt, wie sich darin Steins "Sinn fürs Unheimliche und Bizzare" hinter der Fassade der Normalität durchbricht, der, wie Sternburg versichert, gleichermaßen "erschreckt" wie "unterhält".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 30.04.2010

Mindestens zwei Herzen hört Ulrich Gutmair schlagen in den Figuren, die Benjamin Stein in seinem Buch buchstäblich gegeneinander antreten lässt - der eine erzählt seine Geschichte beginnend vorn im Buch, der andere beginnt am Ende und bewegt sich von dort auf die Mitte zu, wo beide sich treffen. Was kompliziert klingt, ist eigentlich einfach. Gutmair berichtet, wie Stein aus dem Leben moderner orthodoxer Juden erzählt, formal avantgardistisch, so dass sich auch kapitelweise die Richtung wechseln lässt (von vorn nach hinten und zurück), und dabei Autobiografisches verarbeitet sowie die wahre Geschichte des Binjamin Wilkomirski, der sich in den 90ern eine jüdische Identität erfand und öffentlich machte, was sich zu einem Skandal entwickelte. Gutmair recherchiert und stellt fest, dass Steins Roman auf diesem Skandal basiert, Personal inklusive. Was wäre gewesen, wenn ich ein anderes Leben gelebt hätte, das ist eine Frage, welcher der Rezensent in diesem Buch nicht nur einmal begegnet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.02.2010

Burkhard Müller hat sich nicht durcheinander bringen lassen von der buchbinderisch ungewöhnlichen Anlage dieses Romans von Benjamin Stein, der sich von vorn und von hinten lesen lässt. Genau genommen sind es zwei Bücher mit zwei Lebensläufen, die sich einander näher kommen, wie Müller herausfindet. Müller beginnt mit dem Buch um Amnon Zichroni, der die Gabe besitzt, fremde Erinnerungen wie die eigenen zu erleben und meint, den richtigen Start erwischt zu haben, den richtigen Helden. Doch bald geht ihm auf, dass der Autor ein "überallegorisches" Spiel mit der Konstruiertheit von Erinnerung und Identität treibt und die beiden Helden eigentlich ein und dieselbe Figur sind. Dass Stein den Rezensenten bei der Stange halten kann, liegt an seiner straffen, schmucklosen Erzählweise, daran, dass er den Stoff vor den Stil setzt. Aber auch am Informationsgehalt des Buches, das dem Leser, unterstützt von zwei Glossaren, differenzierte Einblicke in das jüdische Leben gewährt.
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