Vorgeblättert

Leseprobe zu Stefan Ernsting: Der phantastische Rebell Alexander Moritz Frey oder ... Teil 2

29.01.2007.
Leuchtendes München

Alexander Moritz Frey verweigerte eine bürgerliche Karriere. Er hatte längst beschlossen, Schriftsteller zu werden. Der musisch orientierte Vater schien allerdings kein Verständnis für den Berufswunsch seines Sohnes zu haben. Immer wieder geriet Frey mit seinem Vater aneinander, der nach dem vermasselten Staatsexamen endgültig mit ihm brach. "Störungen seines geistig-seelischen Gleichgewichts konnte er rücksichtslos abstellen", schrieb Alexander Moritz Frey später in sein Notizbuch (khw, S. 101). Er bereiste für einige Wochen Italien und Österreich, bevor er nach München zurückkehrte, um Schriftsteller zu werden. Zuletzt hatte er sich im Mai 1904 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg eingeschrieben, wo er am 15. Februar 1905 exmatrikuliert wurde. Er bewohnte, meist als Untermieter, sieben verschiedene Zimmer in München, bis er 1908 eine Wohnung in der Maximilianstraße 15 gegenüber den Kammerspielen bezog, diese gab er 1933 auf.
     Frey konzentrierte sich fortan voll und ganz aufs Schreiben. Seinen Arbeitstag begann er in der Dämmerung der frühesten Frühe, und Unterbrechungen waren ihm ebenso verhasst wie Straßenlärm und "ewig schnüffelnde" Hunde. Er nahm seine Arbeit sehr ernst und unterbrach sie nur für einen täglichen Spaziergang, um seine Gedanken zu sammeln. Frey trug Maßanzüge und ließ sich jedes Jahr neue Visitenkarten und Briefpapier mit selbst entworfenem Namenszug drucken, lebte aber ansonsten ausgesprochen bescheiden und ohne nennenswerte Laster. Er rauchte nicht, trank kaum Kaffee oder Alkohol und machte sich nicht viel aus Fleisch.

Als Alexander Moritz Frey seinen Platz in der Moderne suchte, war die Kunstwelt mitten im Umbruch und München spielte dabei eine wichtige Rolle. Wassily Kandinsky, Paul Klee, Alfred Kubin, Michael Georg Conrad oder Franz Marc wohnten an der Isar. Karl Valentin, Hugo Ball und der dichtende Freiheitskämpfer Oskar Panizza trieben ihr munteres Unwesen. Frey fühlte sich in den literarischen Zirkeln von München nicht unbedingt heimisch und nahm auch keinen großen Anteil am Treiben der "Bürgerboheme" (Kurt Tucholsky), die sich in Schwabinger Wirtshäusern die Köpfe heißredete. Trotzdem fand er schon früh seinen Platz im Kreise der Künstler und Schriftsteller, die in München von sich reden machten.
     Frey war eng mit dem Maler und Karikaturisten Otto Nückel befreundet, der seinen Sarkasmus teilte. Nückel, ein Pionier des Bleischnitts, war ebenfalls Studienabbrecher und ein Anhänger des Skurrilen. Er bestärkte Frey in dessen Arbeit und illustrierte später zwei seiner Bücher. Nückel vermittelte seinem Freund auch den Kontakt zur legendären Satire-Zeitschrift "Simplicissimus", für die er als Illustrator und Karikaturist arbeitete. Er schleppte Frey gelegentlich mit in die "Künstlerkneipe Simplicissimus" in der Türkenstraße 57, wo sich alles betrank, was in München Rang und Namen hatte. Ursprünglich sollte die Kneipe "Kleine Dichtelei" heißen, aber Rudolf Wilke, der Verleger des berühmten Satireblattes, hatte der Wirtin Kathi Kobus zu fortgeschrittener Stunde nach der Eröffnung gestattet, den Namen im Tausch gegen ein paar Runden Sekt zu verwenden. Thomas Heine, Schöpfer der "Simplicissimus"-Bulldogge, malte der Wirtin noch zusätzlich ein eigenes Wappen - eine Bulldogge, die sich bemüht, eine Sektflasche zu öffnen. Thomas Mann, Ludwig Thoma oder Erich Mühsam tranken hier ebenso ihr Bier wie Politiker und Diplomaten oder internationale Stars wie Enrico Caruso und Isadora Duncan. Auf der kleinen Bühne wurden regelmäßig Lieder und Gedichte vorgetragen. Im "Alten Simpl", wie man in Künstlerkreisen sagte, verwandelte sich Hans Bötticher in Joachim Ringelnatz, und selbst der große Caruso ließ es sich nicht nehmen, den Stammgästen eine Kostprobe seines Könnens zu geben. Otto Nückel hatte im "Alten Simpl" einen Stammtisch, dem u. a. auch der Maler Franz Marc angehörte. Franz Marc (1880?1916), Expressionist und Mitbegründer des "Blauen Reiters", wurde zu einem weiteren guten Freund für Frey. Wenn ihm die Wirtshausatmosphäre im "Simplicissimus" auch nicht wirklich behagte, ließ sich Frey trotzdem immer wieder von seinen Freunden überreden, das Arbeitszimmer zu verlassen und sie zu ihrem Stammtisch zu begleiten. Im "Alten Simpl" lernte Frey auch seinen langjährigen Freund Max Kolmsperger kennen, der später Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbandes werden sollte. Alexander Moritz Frey war ein stiller Gast im "Alten Simpl", der nicht weiter auffiel. Aber der direkte Draht zum literarischen München war hergestellt, und die neuen Kontakte wollten genutzt werden. Für einen einsamen jungen Mann, der schon als Kind Schriftsteller werden wollte, konnte es zunächst nicht besser laufen.

Alexander Moritz Frey veröffentlichte sein erstes Gedicht "Musik" im Januar 1907 in "Westermanns Monats-Heften". Weitere Gedichte erschienen in Anthologien wie "Neue deutsche Gedichte" (1908) und "Stimmungen" (1909), die von Hermann Beuttenmüller herausgegeben wurden. Frey hatte Beuttenmüller, der hauptberuflich Jurist war und nebenbei Gedichte schrieb, beim Studium in Freiburg kennengelernt. "In der Korrespondenz zwischen Frey und Beuttenmüller spiegeln sich die Probleme und Widerstände wider, denen literarische Anfänger zu allen Zeiten ausgesetzt sind: Bezahlung und Belegexemplare bleiben aus, Manuskripte werden verschlampt, Termine nicht eingehalten etc." (khw, S. 80) Frey erhielt für seine ersten Veröffentlichungen überhaupt kein Geld von Beuttenmüller, der seine Autoren zudem nötigte, einen Teil der Auflage selbst abzunehmen. Der zurückhaltende Frey war schon in jungen Jahren sehr belesen und erwies sich für Beuttenmüller auch sonst als außerordentlich nützlich. Er benutzte Frey, der das entsprechende Gespür dafür zu haben schien, um weitere Autoren für seine Anthologien zu gewinnen. Erst 1928 lehnte sich Frey zaghaft gegen Beuttenmüllers Geschäftsgebaren auf und klagte am 8. Juni schriftlich ein ausstehendes Honorar ein, schließlich sei er "darauf angewiesen, vom Gewinn (s)einer Arbeiten zu leben" (khw, S. 105).
     Frey publizierte weiterhin gelegentlich Gedichte, konzentrierte sich aber bald vor allem auf Kurzgeschichten und Erzählungen. Seine ersten Erzählungen erschienen bei Beuttenmüller im "Deutschen Novellenbuch" (1910) und in "Heitere Geschichten" (1910?1913). Im Oktober 1910 erschien seine Kurzgeschichte "Weltuntergang" in der "Licht und Schatten. Wochenschrift für Schwarzweisskunst und Dichtung", einer illustrierten literarisch-künstlerischen Zeitschrift mit expressionistischem Einschlag, die von 1910 bis 1916 erschien und längst in Vergessenheit geraten ist. Für Frey war diese Veröffentlichung eine Befreiung. Er war nicht länger auf den Münchener Kleinverleger Beuttenmüller angewiesen, der von ihm erwartete, die eigenen Werke im Bauchladen selbst zu verkaufen. Die "Licht und Schatten" hatte einen hervorragenden Ruf, erschien überregional und war wie gemacht für seine Art von Schreiben. Frey fand in der "Licht und Schatten" den ersten regelmäßigen Abnehmer für seine Kurzgeschichten und wurde auf Augenhöhe mit den größten Namen gedruckt, die der Literaturbetrieb im Kaiserreich zu bieten hatte. Neben den Brüdern Mann schrieben Hermann Hesse, Christian Morgenstern, Stefan Zweig oder Vicky Baum für die Zeitschrift, die Kunst und Literatur gleichermaßen Platz einräumte. Die Illustrationen stammten von Künstlern wie Alfred Kubin, Käthe Kollwitz, Carl Spitzweg, Max Liebermann und Lyonel Feininger. Entstanden war die "Licht und Schatten" aus dem Engagement des Druckereibesitzers Josef Molling aus Hannover, der sich von einer Konkurrenz zum "Simplicissimus" Profit versprach. Der Herausgeber Hanns von Gumppenberg (1886?1928), auch unter den Pseudonymen "Jodok" und "Immanuel Tiefbohrer" bekannt, war ein notorischer Unruhestifter und in München bereits als Schriftsteller, Theaterkritiker und Satiriker aufgefallen. 1891 hatte er der frisch gegründeten "Gesellschaft für modernes Leben" in München eine Reihe Parodien prominenter Lyriker vorgetragen, die zehn Jahre später unter dem Titel "In allen Gangarten vorgeritten" auch als Buch erschienen. Er "entfesselte damit den verhaltenen Ingrimm der Reaktionären zu heftigem Protest", wie von Gumppenberg in seinen "Lebenserinnerungen" schrieb. 1901 gründete von Gumppenberg, der gerade zwei Monate Festungshaft wegen "fahrlässiger Majestätsbeleidigung" abgesessen hatte, im "Alten Simpl" das erste Münchener Kabarett "Die Elf Scharfrichter".
     Josef Molling ließ seinen Herausgeber und Chefredakteur von Gumppenberg 1909 zunächst ein Preisausschreiben mit Hauptpreisen zwischen 1000 und 1500 Mark veranstalten, um "junge Talente" zu finden. Die Jury, der u. a. Thomas Mann angehörte, hatte aus über 1000 Zuschriften auszuwählen. Die Rechnung ging auf. Die "Licht und Schatten" konnte von Anfang an auf eine Reihe hervorragender Autoren zurückgreifen. Alexander Moritz Frey gehörte schon früh zur Stammbesatzung, wenn er auch keinen der Preise gewonnen hatte. Er schrieb bereits am 17. Februar 1910, Monate vor Erscheinen der Startnummer von "Licht und Schatten", euphorisch an Hermann Beuttenmüller, er werde demnächst regelmäßig für eine "neu erscheinende Zeitschrift" (khw, S. 112) schreiben, deren Namen er nicht nennen könne.
     Leben konnte Frey von seinen Veröffentlichungen noch nicht. Sein Lebensunterhalt schien zunächst durch einen Künstlerfonds gesichert worden zu sein, mit dem er sich für kurze Zeit über Wasser halten konnte. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1911 kam später eine kleine Erbschaft dazu, die es ihm ermöglichte, sich weiterhin auf seine literarische Arbeit zu konzentrieren. Frey schrieb in stiller Bescheidenheit und kam auch mit wenig Geld aus. Nebenbei rezensierte er Bücher für diverse Tageszeitungen und verdiente sich ein wenig Taschengeld dazu. Er erwies sich dabei als genauer Kenner der Literatur seiner Zeit und schrieb bis zu seinem Tod über 800 Rezensionen. Seine besondere Vorliebe galt der phantastischen Literatur klassischer Prägung.


(Seite 46 ff)

II. An der Front

Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau von serbischen Attentätern ermordet. In ganz Europa war man längst kriegsbereit und wartete gewissermaßen nur auf ein Ereignis wie das Attentat in Sarajevo. Die Bündnisse waren längst geschlossen, und die hektische militärische Mobilmachung schien eine diplomatische Lösung des Konfliktes auszuschließen. Vier Wochen später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, der sich bald in ganz Europa und bis nach Asien, Amerika und Afrika ausbreitete. Die Begeisterung für den Krieg kannte anfangs keine Grenzen, und auch die deutschen Schriftsteller waren vom Krieg größtenteils euphorisiert. Die "Licht und Schatten" wurde in "Die Front" umbenannt und druckte nur noch Landser-Lyrik. Georg Heym wollte "noch mit der Kugel im Bauch den Rausch der Begeisterung" spüren, und Thomas Mann schrieb in seinen "Gedanken im Kriege": "Wie hätte der Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte." (Mann, Gedanken, S. 205) Ganz Deutschland berauschte sich am eigenen Nationalismus. Tausende und Abertausende meldeten sich freiwillig.
     Alexander Moritz Frey teilte diese patriotische Begeisterung nicht. 1915 beschrieb er den vaterländischen Wahn in seiner Erzählung "Der Paß" folgendermaßen: "Mensch gegen Mensch. Ungeheuere Vernichtung. Stürzt herab, ihr Himmel! Empor, du Erde! Gegeneinander! Großartigstes aller Schauspiele." (khw, S. 188)
     Obwohl er überzeugter Pazifist war, ging Alexander Moritz Frey 1915 als Sanitäter zum Militär, wo er "trotz seines unsagbaren Abscheus vor Krieg und Kriegsgeschrei im Getöse der Materialschlachten mit einer Hingabe ohnegleichen Samariterdienste verrichtete", wie sich sein Freund Max Kolmsperger in einer Gedenkrede am 28. Januar 1957 im Bayerischen Rundfunk erinnerte (Kolmsperger, dla1, Sign. 69.6003). Frey landete beim Offiziersstab der 8. Kompanie des bayerischen Reserve-Infanterieregiments Nr. 16, dem Regiment List, dem ein junger Gefreiter namens Adolf Hitler als Meldegänger diente. Beide unterstanden direkt dem Kommando von Feldwebel Max Amann.

Adolf Hitler war bis zu diesem Zeitpunkt nicht weiter aufgefallen: ein erfolgloser Postkartenmaler, der den Krieg ebenso freudig begrüßt hatte wie die meisten Deutschen und Österreicher. Hitler bezeichnete seine Zeit an der Front später in "Mein Kampf" als "die unvergesslichste und größte Zeit meines irdischen Lebens" (Hitler, S. 180). Genauere Angaben vermied der Gefreite Hitler bis zu seinem Tod.
     Nur sehr wenig ist über die frühen Details aus der Biographie des Diktators bekannt. Zwar gab es die eine oder andere, teilweise zweifelhafte, Anekdote von ehemaligen Kameraden, aber niemand konnte bisher ein halbwegs genaues Bild dieses Lebensabschnitts Hitlers zeichnen.
     In seinem "Curriculum Vitae" (ca. 1939) erinnert sich Frey: "Meine ersten Bücher kamen ein paar Jahre vor dem Krieg ? und dann kam er, der uns alle verschlang, um den und jenen nach vier Jahren wieder auszuspeien. Ich gehörte zu ihnen ? erstaunlicherweise. Es erstaunt mich noch heute, denn ich war 3 Jahre an vorderster Front und war nie verwundet, ein paar Kratzer abgerechnet. Links und rechts fielen sie, tot und zerfetzt waren sie, verröchelt sind sie mit dem Kopf in meinem Schoß, den Schweiß des Endes habe ich ihnen aus der bläulichen, vom letzten Zittern überhuschten Stirn gewischt ? und bin selber dageblieben in dieser sinnlosen, dummen, brutalen Welt. Zufall, Zufall.
     Ich war als Sanitätsoffizier draußen, ununterbrochen im Westen in Nordfrankreich ? und der Gefreite Adolf Hitler ?kämpfte? neben mir. Beide gehörten wir dem Regimentsstab des 16. bayerischen Reserve-Infanterieregiments an. Wir kamen nicht weg aus der Hölle dieser schwersten militärischen Auseinandersetzungen des Weltkrieges, keinen Tag kamen wir fort aus der Atmosphäre Verduns und der Somme - etwa in die paradiesischen Gefilde Italiens oder Rumäniens.'Les Lions des Baviere', die bayerischen Löwen, wurden von der Heeresleitung ständig dort gebraucht, wo es am dreckigsten zuging. So hat denn unser Regiment, aus 3000 Menschen regulär bestehend, in den vier Jahren etwa 10.000 Menschen verbraucht." (CV, S. 16 f.)

Leseprobe Teil 3

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