Vorgeblättert

Ahmadou Kourouma: Der letzte Fürst. Teil 3

14.09.2004.
2

Ohne den Duft
der grünen Guave

Auf der Straße fauchte, wütete und grollte Fama, sein Zorn verglühte nicht in einer kleinen Flamme. Er schwor sich, dem Hundesohn von Bamba aufzulauern, um all den degenerierten Bastarden zu zeigen, dass es auf dieser Welt noch einen echten Mann, einen Mann von Ehre gab, einen, gegen den man nicht ungestraft die Hand erheben durfte.
Die Straße, eine der belebtesten im Negerviertel der Hauptstadt, wimmelte vor Menschen. Rechts, zum Meer hin, trieben Wolken und brachten den Horizont näher an die Häuser. Links lockten die Gipfel der Wolkenkratzer andere Wolken an, die sich ballten und einen Teil des Himmelszelts aufblähten. Wieder ein Gewitter! Die Brücke erstreckte sich über eine rötlich trübe Lagune, lateritfarben durch die von den Regengüssen der Woche ins Wasser geschwemmte Erde; die Sonne, die von den Wolkenrändern im Westen schon bedrängt wurde, hatte aufgehört, ihren Glanz auf das Negerviertel zu werfen, und schickte ihre Strahlen nur noch auf die weißen Hochhäuser der weißen Stadt. Verdammnis! Bastarderei! Neger, das ist Verdammnis! Die Häuser, die Brücken, die Straßen dort, alles von Negerhänden erbaut, gehörten den Tubab, wurden von den Tubab bewohnt. Daran vermochten auch die Unabhängigkeiten nichts zu ändern. Überall, unter allen Sonnen, auf jedem Flecken Erde, halten die Neger die Beine des Schlachttiers, während sich die Weißen die fettesten Stücke abschneiden und einverleiben. War es nicht Verdammnis, wenn man sich im Dunkel für die anderen abrackern musste, wühlen musste wie ein Riesenschuppentier, das Erdhöhlen für andere gräbt? All die Schwarzen, welche die Straße hinaufliefen und herabkamen, stanken also vor Verdammnis. Nichtswürdig vor Verdammnis, ein widerlicher Verdammter, das war also der Bastard von Bamba, der die Hand gegen Fama erhoben hatte. Warum aber sollte man so einen Verdammten auf dem Gehweg abpassen? Schüttelt ein Verrückter seine Schellen, dann fängt ein anderer Verrückter an zu tanzen, niemals aber ein Abkömmling der Dumbuya.
Fama gab sich einen Ruck und überquerte die Straße. Es war noch etwas Zeit bis zur Stunde des vierten Gebets, gerade Zeit genug, um in der Moschee zu sein, wenn er seine Schritte beschleunigte. Er wich zwei Taxis aus, bog nach rechts ab, lief um ein Karree, erreichte den rechten Gehweg der Hauptstraße und tauchte in die Menge ein, die zum Markt strömte. Dort zeigten sich zwischen den Dächern ganz unterschiedliche Himmel: einer, gepeinigt von den Winden, die Wolkenfetzen losrissen und auf die schon verdeckte und verblasste Sonne warfen, und ein anderer, von tiefgründigem Indigoblau, der sich aus dem Meer erhob und auf die ängstlich schlotternden Häuser und Bäume zusteuerte. Das Gewitter war nah. Eine Stadt, schmutzig und schmierig von Regengüssen! Unterm Regen verfault! Ach, die Sehnsucht nach Famas Heimatregion! Nach ihrem tiefen und weiten Himmel, ihrer ausgedörrten, aber fruchtbaren Erde, die Tage immer trocken. O, Horodugu, du fehltest in dieser Stadt, und alles, was Fama eine glückliche adelige Kindheit erlaubt hatte, fehlte auch (Sonne, Ehre, Gold). Beim Lever hielten die Reitsklaven das widerspenstige Pferd zum Morgenritt bereit, zum zweiten Gebet priesen die Griots und Griotten die Unvergänglichkeit und die Macht der Dumbuya, und dann rezitierten die Marabuts den Koran, lehrten, Barmherzigkeit zu üben und Almosen zu geben. Wer hätte sich damals vorstellen können, dass man eines Tages lernen müsste, von Opfer zu Opfer zu laufen, um sich etwas zu erbetteln?
Die Gedanken an die Kindheit, Sonne, Tage, Harmattane, Morgenstunden und Düfte in Horodugu fegten die Schande hinweg und ertränkten den Zorn. Nur ruhig Blut! Allah hat ein Leben geschaffen, das einem Geflecht aus verschiedenfarbigen Bändern gleicht, ein Band von der Farbe des Glücks und der Freude, ein Band von der Farbe des Elends und der Krankheit und eins der Schmach und Schande. Lassen wir die Angelegenheit noch einmal Revue passieren: Konnte Fama wirklich behaupten, in jeder Hinsicht Recht gehabt zu haben? Das Herz war nicht kühl, und die Zunge war zu schnell gewesen. Der Sohn eines Oberhaupts und ein Muslim bewahrt aber immer ein kühles Herz und bleibt besonnen, denn wer alles im Galopp erledigt, begräbt Lebendige, und die schnelle Zunge bringt uns in eine Klemme, aus der uns selbst die flinksten Füße nicht heraushelfen können. Nun fuhren durch die Straßen und durch die Blätter Windstöße, die den Regen herbeiriefen. Jener Winkel des Himmels, wo die Wolken bald entlanghetzten, bald sich hoch türmten, war zum Bersten aufgebläht. Kurz brachen Sonnenstrahlen hervor und tauchten alles in ein grelles, zuckendes Licht. Fama kam zum Marktplatz hinter der Moschee der Senegalesen. Der Markt war vorüber, geblieben waren die Gerüche, trotz des Windes. Gerüche all der großen Märkte Afrikas, wie Dakar, Bamako, Bobo, Bouake, Märkte, auf denen Fama als großer Kaufmann zu Hause gewesen war. Auch das Leben als großer Kaufmann war nur noch Erinnerung, mit dem Abzug der Kolonialherren war jeder Handel vorbei. Und die Gewissensbisse! Fama kochte vor lauter Gewissensqualen, weil er die Franzosen so sehr bekämpft und verabscheut hatte, etwa so wie das Gräslein, welches murrte, weil ihm der große Kapokbaum alle Sonne nahm; als der Kapokbaum umgeschlagen war, bekam es alle Sonne, doch auch den starken Wind, der es knickte. Auf keinen Fall aber sollte man Fama als einen Anhänger der Kolonialherrschaft ansehen und gering schätzen! Schließlich hatte er die Kolonisierung miterlebt, hatte französische Kommandanten gekannt, die vielerlei mit sich brachten, viel Leid: Zwangsarbeit, Holzfällen in den Wäldern, Straßen- und Brückenbau, Steuern über Steuern und hundert andere Requirierungen, die jeder Eroberer zustande bringt, ja, und die Peitsche des Aufsehers und des Vorarbeiters und andere Folterqualen nicht zu vergessen.
Aber das Wichtigste für einen Malinke ist die Freiheit des Handels. Und die Franzosen standen auch und in erster Linie für die Freiheit des Handels, der den Diola groß macht und den Malinke zu Wohlstand kommen lässt. Handel und Krieg, auf diesen beiden ging, mit beiden sah und durch beide atmete, hörte das Volk der Malinke wie ein Mann, beides waren die Beine, die Augen, die Ohren und die Lenden. Die Kolonialherrschaft hat den Krieg geächtet und ihm den Todesstoß versetzt, den Handel aber begünstigt; die Unabhängigkeiten haben den Handel zerschlagen, der Krieg kehrte jedoch nicht zurück. Und das Geschlecht der Malinke, ihre Clangemeinschaften, ihr Land, ihre Kultur, alles stirbt ab, wird lahm, taub und blind ? und unfruchtbar.
Um so nach Herzenslust in einer gut gesalzenen Sauce löffeln zu können, wäre Fama für die Kolonialherrschaft gewesen, und zwar, obwohl ihn die Franzosen beraubt hatten, jedoch mit dem Segen dessen, der ? Sagen wir es gleich: Als sein Vater tot war, hätte der legitime Fama als Oberhaupt von ganz Horodugu seine Nachfolge antreten sollen. Doch er stieß auf Intrigen, Schändlichkeiten, auf Marabut-Winkelzüge und Lügengewirr. Einmal, weil in Horodugu ein Bürschchen das Kommando hatte, ein kleiner europäischer Tunichtgut von einem Administrator, immer in schmieriger kurzer Hose und rührig und flott wie ein Bocksbart. Klar, den konnte Fama nicht für voll nehmen; seine Ohren liefen rot an, und wen zog der Kommandant dann vor? Wisst ihr, wen? Den Cousin Lacina, einen entfernten Cousin, der, um seine Ziele zu erreichen, den Marabuts aufs Wort folgte, Tieropfer auf Tieropfer brachte, Intrigen spann, log und sich so weit erniedrigte, dass ? Ja, der Mensch überstürzt sich, doch der göttliche Wille und die göttliche Gerechtigkeit werden früher oder später wirksam. Wisst ihr, was geschah? Die Unabhängigkeiten und die Einheitspartei haben den Cousin Lacina abgesetzt, mit Schimpf und Schande, und ihn zu einem Etwas gemacht, das keinen Aasfresserdreck wert ist.

Mit freundlicher Genehmigung des Peter Hammer Verlages

Informationen zum Buch und Autor hier