Im Kino

No goddamn son of a bitch

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
15.11.2023. Einen hochmoralischen Horrorfilm, der aber auch viel Spaß an der blutigen Meuchelei hat: Eli Roth lässt auf seinen "Thanksgiving"-Fake-Trailer einen ausgewachsenen Langfilm folgen, bleibt aber inhaltlich und stilistisch weitgehend dem eigenen Jugendzimmer treu.


Im Grunde ist der Horrorfilm zutiefst moralisch. Zu seinen Wurzeln zählen nicht nur die Gothic Novel und Wegbereiter wie Mary Shelleys "Frankenstein" oder Bram Stokers "Dracula", sondern auch (wenngleich meist ungenannt) Heinrich Hoffmanns Sadismusklassiker "Der Struwwelpeter", den man herunterbrechen könnte auf so etwas wie: Wenn Du Dich nicht artig verhältst, widerfährt Dir irgendein derber Psycho-Dreck und am Ende liegen Deine Finger am Boden. Insbesondere in der Ausprägung des Slasherfilms kommt diese Maßgabe aus der Welt der schwarzen Pädagogik voll zum Tragen. Wobei es hier meist ums jugendliche Ausprobieren sexueller Gelüste geht: Wer knutscht und fummelt, wird gekeult, geschlitzt, gemeuchelt. Kommerziell reizvoll für die Produzenten einschlägiger Ware war das Subgenre, da sich damit gleich zwei damals äußerst werbeträchtige Zutaten - Nuditäten und Gewalt - verbinden ließen. Die Moral glitt über Spekulationen solcher Art derweil ins sanft Heuchlerische ab. Insbesondere in den Achtzigern (Ronald Reagan, Maggie Thatcher, Aidskrise) hatte der Slasherfilm brummende Konjunktur: Da kamen neue Moral, Heuchelei und konkrete Lebensgefahr ganz gut zusammen.

Ein moralischer Slasherfilm ist auch Eli Roths "Thanksgiving", der nach vielen Jahren und einer turbulenten Entwicklungsgeschichte doch noch in die Kinos kommt. Seinen Ursprung hat er in Quentin Tarantinos und Robert Rodriguez' "Grindhouse"-Double-Feature von 2007, einer Hommage an die Bahnhofskinokultur der Siebziger, für die befreundete Regisseure Fake-Trailer zu fiktiven B-Movies der Siebziger in stilechter Materialästhetik (verblasste Farben, Bildsprünge, Lauflinien) beisteuerten. Schon der Titel ist eine augenzwinkernde Hommage an eine gewisse Traditionslinie des Slasherfilms, die sich Feiertage zum Anlass ihrer Metzeleien nimmt - von "Halloween" über "Black Christmas" als kanonisierte Klassiker bis zu allerlei mehr oder weniger spaßigem Krempel aus dem unteren Videothekenregal und den späten Sendeplätzen der Privaten (damals, als Pro7 und Co. noch Horrorfilme zeigten).

"John Carver" (was im Film manchmal wie "John Carpenter" klingt, der mit "Halloween" das auch gleich im ersten Bild referenzierte Vorbild gedreht hat) heißt der nach alter Väter Sitte maskierte Meuchelmörder, der das beschauliche Plymouth, Massachusetts zum Fress-Fest Thanksgiving heimsucht - und das pikanterweise in Kostümierung eines puritanischen Pilgerers: 1620 legten hier die ersten Pilgerer der Mayflower an und tatsächlich fand ein Jahr später das historisch erste Thanksgiving statt, als die europäischen Pilgerer sich bei den benachbarten Ureinwohnern dafür bedankten, ihnen durch das erste harte Jahr geholfen zu haben. 

Gemeuchelt wird in Slasherfilmen meist nicht einfach so, sondern aufgrund eines traumatischen Ereignisses, in diesem Fall: Ein "Black Friday" (eine Facette der US-Konsumkultur, die in den letzten Jahren via Amazon auch bei uns bekannt wurde) in einer Mall, der im Jahr zuvor direkt auf den "Thanksgiving"-Abend gelegt wurde und eine brachiale Stampede konsumwilliger Bürger nach sich zog, der mehrere Menschen zum Opfer fielen. Es ist das erste große und genüsslich ausgekostete Highlight dieses Films, der sich auch als grelle, beißende Satire versteht: Beim Schnäppchen-Schießen ist sich jeder selbst der Nächste, der Schwächere kommt buchstäblich unter die Räder, noch im Moment des Ablebens krallt sich der ewige Kunde an seine aus dem Regal gerissene Beute. Vielleicht steckt in dieser Szenerie eines entfesselt-gewalttätigen Konsumismus auch eine kleine Hommage an George A. Romeros Zombieklassiker "Dawn of the Dead", in dem massenhaft Untote ein Einkaufszentrum bevölkern.



Rund um das brutale Geschehen entfaltet sich ein kleines Highschool-Drama: Rivalisierende Cliquen, Liebes- und Eifersuchtsgeschichten, der typische Überschuss unvernünftiger Jugendlicher, ein Hauch von Klassenantagonismus. Eine dieser von den Ereignissen in den Malls gezeichneten Cliquen steht im Mittelpunkt der ein Jahr später einsetzenden Meuchelserie John Carvers, der seine Opfer originellerweise vorab per Tagging auf einer nicht genannten, aber an Instagram erinnernden Social-Media-Plattform von seinem Ansinnen in Kenntnis setzt, was den Verdacht befeuert, dass die von Eli Roth und seinem Team mit sichtlicher Spielfreude in Szene gesetzten Morde ursächlich mit der Konsum-Tragödie im Jahr zuvor in Verbindung stehen. Auf die Nuditäten der 70s- und 80s-Filme muss man allerdings verzichten. So ändern sich die Zeiten.

Eli Roth, der mit "Hostel" (neben dem "Saw"-Franchise) zu den Mitbegründern des Torture-Porn-Hypes der Nullerjahre zählt, ist unter den namhaften Gewalt-Filmemachern des amerikanischen Kinos sicher der Infantilste. Ihm geht es eindeutig um die (teils satirisch unterfütterte) Gaudi, die es bringt, fiese Kinomorde nicht nur inszenatorisch auszukosten, sondern auch anzuschauen. Dass er in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" als Baseballschläger schwingender "Bear Jew" besetzt wurde, der Blut-Klumpatsch hinterlässt, wo gerade noch ein Nazi stand, hatte schon Sinn. Anders als seinem Kumpel Tarantino gelingt es Roth allerdings nicht, die Lust an der Kino-Gewalt in einen filmisch darüber hinaus überzeugenden Entwurf einzubetten. Auch gehört Roth zu jenem Schlag Filmemacher, die einen gerne mal rustikal wissen lassen, dass ihm bestimmte Leute und Dinge einfach nicht passen: Mit Sympathien geizt er in seinen Filmen wie eine schwäbische Hausfrau mit dem Kleingeld. Manchmal fühlt man sich in Roth-Filmen wie in alten Mad-Comics: Bevölkert sind diese Erzählwelten durch die Bank von nervigen Deppen. Sein "Green Inferno" etwa, eine Hommage ans italienische Kannibalenkino der Siebziger, war auch ein Mittelfinger in Richtung eines naiv-moralischen Aktivismus, der an sich gute Anliegen zu narzisstischen, realitätsfernen Ego-Angelegenheiten verkommen lässt. Beim vorliegenden Film beschleicht einen derweil hier und da der Eindruck, dass Eli Roth sich endlich einmal an all den Teenie-Idioten rächen will, die ihm während der High School auf den Geist gegangen sind. Aus dem mit "Teenie-Idioten" überschriebenem Fundus rekrutieren sich praktischerweise auch stets die bevorzugten Opfer des Slasherkinos.

Kritik an Konsumkultur, am mangelnden Respekt vor Feiertagen, die der trauten familiären Einkehr gewidmet sein sollten, Kritik am amerikanischen Siedlertum, aber auch an dümmlichem Teenagerverhalten: Moralisch fährt "Thanksgiving" schweres Geschütz auf, in Sachen ausgestellter Kills natürlich auch. Ist der erste Carver-Mord noch vergleichsweise harmlos und bietet sogar eine kurze Hommage an Mario Bavas noch in Edgar-Wallace-Tradition stehendem Slasher-Klassiker "Blutige Seide" (1964), rechnet man bei späteren Szenen zunehmend mit Albträumen in den nächsten Tagen und Wochen. Da hilft auch Roths immer wieder eingestreuter, ziemlich galliger Humor nichts.


Von daher könnte man sagen: Den eigenen Ansprüchen wird Roths Film durchaus gerecht - das, was er machen will, erreicht er, wie er die Erwartungen von Fans entsprechender Filmkost gut erfüllt. Als Hypothek erweist sich der Ursprung im Fake-Trailer, dessen Vorgaben der Film zwar nicht materialästhetisch, aber immerhin inhaltlich entsprechen will. Das Füllen der Leerstellen, die ein auf Attraktion setzender Trailer naturgemäß hat, verlangt dem Drehbuch mitunter ein paar geschlagene Haken ab, die man als Zuschauer nicht immer vorbehaltlos der Brillanz der Autoren zuschlagen will. Auch bleibt das Social-Media-Gimmick allenfalls Zeitgeistkolorit, aus dem nur wenig Kapital geschlagen wird (mal davon abgesehen, dass es die Arbeit der wider Willen zu Jugenddetektiven in eigener Sache gewordenen Teens erleichtert und als Suspense-Hebel dient). Der Abspann schließlich verzwergt das Geschehen vollends zum leichten Comicspaß, der es in seinen düstersten Momenten nicht wirklich gewesen ist, und dazu läuft - aus Gründen, die sich nicht ohne weiteres erschließen - mit "Where Eagles Dare" ein Song der beliebten Horrorpunk-Spezis The Misfits. "I am no goddamn son of a bitch", heißt es im Refrain.  Vielleicht hat das Eli Roth einfach gerne in seinem Zimmer gegrölt, als ihm mal wieder irgendwer in der Schule auf die Nerven gegangen ist.

Thomas Groh

Thanksgiving - USA 2023 - Regie: Eli Roth - Darsteller: Patrick Dempsey, Rick Hoffman, Gina Gershon, Milo Manheim, Addison Rae, Nell Verlaque - Laufzeit: 107 Minuten.