Im Kino

Unscharfe Umrisse glitschiger Gedärme

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Friederike Horstmann
02.09.2015. Ein in jeder Hinsicht monströses visuelles Vermächtniss hat der russische Regisseur Aleksei German mit "Es ist schwer, ein Gott zu sein" abgeliefert. Als nicht allzu neugierig erweist sich, einigen schönen Einstellungen zum Trotz, Sergei Loznitsas Chronik des "Maidan".


"Es ist schwer, ein Gott zu sein" ist der letzte Film des russischen Regisseurs Aleksei ­German. Der Schwarzweiß-Film ist maßlos und überbordend und von kaum mehr fasslicher Materialität der akustischen und visuellen Räume. Er ist monströs - in seiner Länge, in seinen Bildern der Gewalt. 177 Minuten Schlamm und Schleim, Regen und Rauch, Menschen in dreckigen Dörfern, in Höhlen oder Holzkäfigen. In Nahaufnahmen gleitet die Kamera über geschundenen Physiognomien, über aufgeschlitzte Därme, abgetrennten Köpfe, pulsierende Eingeweiden, über mit Matsch besudelte Gesichter und Haare. Während der langen Plansequenzen ist sie ständig in Bewegung und viel zu nah an den Dingen. Oft scheint die Kamera die Orientierung zu verlieren, nicht mehr zu wissen, wo sie sich gerade in den völlig vollgestopften Räumen befindet, welches Detail sie gerade filmt. Distanzierende Totalen aus gemessenem Abstand sind dem Zuschauer kaum vergönnt. Nahezu enzyklopädisch setzt Aleksei German organische Absonderung ins Bild: zähflüssigen Schleim, triefenden Rotz, klebriges Blut, Kot, Urin, Erbrochenes. Aus dem Off formiert sich ein ruhelos scheppernder Soundscape aus klirrenden Eisenketten und grobem Gegröle, aus Satzfetzen, Schreien und Schmatzen.

Zu Anfang skizziert eine männliche Off-Stimme die Rahmenhandlung, bei der sich German von einem Roman der Brüder Arkadi und Boris Strugazki aus dem Jahre 1964 inspiriert ließ: Auf einen erdähnlichen Planeten, der in seiner Gesellschaftsentwicklung rund 800 Jahre hinterherhinkt, werden Wissenschaftler zur Beobachtung entsandt. In der Hoffnung, in dieser mittelalterlichen Zivilisation die Geburt einer Renaissance miterleben zu können, mischen sie sich als adlige Nachkommen lokaler Gottheiten unters Volk. Unter keinen Umständen darf in die Prozesse des Planeten eingriffen werden, obwohl in der Stadt Arkanar ein brutales Gemetzel gegen Gelehrte, Bücherfreunde und Kunsthandwerker ausbricht.



Trotz dieser Einführung zerfällt die Geschichte in narrative Segmente, die sich kaum mehr zusammenfügen lassen. Schauplätze, Situationen und Stimmungen sind German wichtiger als eine stringente, logischen Prinzipien folgende Erzählung. Vielmehr werden einzelne Akteure von irgendwoher in die Geschichte eingeblendet und zu grausigen Kurzauftritten überredet. German versagt ihnen jede Möglichkeit zur Kommunikation. Zwar wird im Film permanent geredet, aber die meisten der Kryptosätze kreisen um sich selbst, haben keine Adressierung und scheinen als solipsistische Satzgirlanden haltlos in der Luft zu hängen. Manchmal wenden sich die Darsteller direkt an den Zuschauer und grinsen übergriffig in die Kamera. Je undurchsichtiger die Geschichte wird, je mehr abstrahiert wird von der erzählerischen Verständlichkeit, desto konkreter werden exzentrische Kamerafahrten und komplizierte Plansequenzen, optische Unschärfen und das Gewirr aus Licht und Schatten. Die visuellen Effekte verstören die Sinne, in ihnen geraten Bilderwelt und Weltbilder ins Wanken.

Germans Räume sind nicht vorstellbar, sie entstehen aus der Störung herkömmlicher Ordnungen. Kordeln, Ketten und Kadaver hängen in der Luft, fallen abrupt ins Bild und blockieren im Bildvordergrund den Blick. Immer wieder flattern Vögeln durch die Einstellungen, schieben sich Figuren vor die Kamera, verdunkeln momenthaft das Bild. Nebelschwaden verdichten und verschieben sich, decken zu, erzeugen optische Unschärfen. Regen und Rauch stieben durchs Bild, stören als Dispersion die Wahrnehmung und treiben das Sichtbare auf der Leinwand in die Auflösung. Weil sie gelegentlich ekelerregende Details verunklaren, können diese Bildstörungen auch eine Befreiung sein. Alsbald aber konkretisieren sich aus den unscharfen Umrissen glitschige Gedärme und dickflüssig breiiger Matsch, der nicht nur die mittelalterliche Stadt verschlammt, sondern auch Haare und Gesichter verklebt. Die Störung des Sehens und Hörens wird zum Sujet des Films. Die Auflösung perspektivischen Sehens und dramaturgischer Ordnung schließt German mit dem Kollaps jeglicher Humanität und Gesetzlichkeit kurz, ein Kollaps, der wiederum mit seiner düsteren Mittelalterimaginationen korreliert.

Man sieht den ziselierten Bildern von "Es ist schwer, ein Gott zu sein" die Akribie und Detailversessenheit Aleksei Germans an. German, der bereits kurz nach dem Erscheinen des gleichnamigen Buches der Strugazki-Brüder an dessen Verfilmung interessiert war, schrieb den ersten Entwurf zu einem Drehbuch bereits 1968. Von 2000 bis 2006 erfolgten die Dreharbeiten und eine jahrelange Postproduktion. Als German im Februar 2013 nach langer Krankheit starb, blieb der Film unvollendet. Seine Frau Svetlana Karmalita und sein Sohn Aleksei German jr. übernahmen die finale Schnitt- und Tonmischung und vollendeten 2013 das visuelle Vermächtnis.

Friederike Horstmann

Es ist schwer, ein Gott zu sein - Rußland 2013 - Originaltitel: Trudno byt bogom - Regie: Alexei German - Darsteller: Leonid Yarmolnik, Dmitri Vladimirov, Laura Pitskhelauri, Aleksandr Ilyin, Yuri Tsurilo - Laufzeit: 177 Minuten.

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Seit der Euromaidan-Proteste, die sich im November 2013 an umstrittenen politischen Entscheidungen des damaligen ukraninischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch entzündeten, sind meine Facebook- und Twitterstreams, man kann es kaum anders sagen, ukraineverseucht. Die sozialen Medien haben ohnehin die Eigenschaft, das innere Bescheidwissertum ihrer Nutzer nach außen zu kehren; so viele Geopolitik-Instantexperten wie die Ereignisse in der Ukraine haben aber nicht einmal die diversen Krisen im Nahen Osten hervorgebracht.

Vielleicht auch deshalb hat mich "Maidan", die bislang meistbeachtete filmische Bearbeitung der Proteste, erst einmal sehr für sich eingenommen. Dem schlicht-sachlichen Titel entsprechend konzentriert sich der Regisseur Sergei Loznitsa ganz auf die Grundfunktion des dokumentarischen Kinos: auf die Aufzeichnung. Die Kamera speichert eine Ansicht eines bestimmten Ortes zu einer bestimmten Zeit, das Mikrofon den zugehörigen Sound. Darüber hinaus gibt es nicht viel, vor allem keine Hintergründe. Eine Handvoll über den Film verteilter schlichter Texttafeln zeichnen den Ablauf der Ereignisse im Winter 2013/2014 kursorisch nach, ansonsten bleibt der Film kommentar- und auch interviewfrei, besteht ausschließlich aus einer Aneinanderreihung fast durchweg unbewegter Einstellungen, die Loznitsa und zwei seiner Mitarbeiter während der Aueinandersetzungen auf dem Maidan gefilmt haben.

Dass Loznitsa auf die Interpretation von Satellitenbildern und Spekulationen über amerikanische, wenn nicht gleich ostküstenamerikanische Maidan-Hintermänner verzichtet, ist ihm natürlich ohnehin hoch anzurechnen. Aber auch darüber hinaus hilft einem die schlichte Form, die er wählt, sich von jenen kognitiven Schubladen frei zu machen, die einem Facebook und Twitter antrainieren. Denn schon die Frage, ob es sich bei den Protestierenden nun um aufrechte Demokraten handelt oder ob nicht doch eher rechte Sektoren den Ton angeben, bleibt den Bildern äußerlich. Position bezieht der Film lediglich über die Positionierung der Kamera; die bleibt stets auf Seiten der Protestierenden, die Polizisten erscheinen lediglich als eine düstere, kaum bewegliche Mauer aus Schilden und Helmen. Ansonsten sorgt die starre Halterung der Kamera dafür, dass man zwar mittendrin, aber trotzdem nicht immersiv mit dabei ist. Die wenigen, kurzen Szenen, in denen Loznitsa die Kamera doch bewegt, destabilisieren die Form nicht, sondern machen sie erst als Form sichtbar.



Wie gesagt: Erst einmal ist mir eine solche Dekontextualisierung, ist mir Loznitsas unbedingte Konzentration auf den Wert der filmischen Einstellung sympathisch. Allerdings ist ein solches dokumentarisches Konzept eben auch darauf angewiesen, dass die derart freigestellten Einstellungen komplex, abgründig, reichhaltig genug sind, um den Film aus sich selbst heraus zu tragen. Im Fall von "Maidan" bin ich mir da nicht immer so sicher. Loznitsas Bilder sind fast durchweg außergewöhnlich schön, insbesondere in den apokalyptischen Passagen nach der Eskalation. Aber sie sind, scheint mir, nicht allzu neugierig. Vor allem zu Beginn des Films ist mir das aufgefallen. Da konzentriert Loznitsa sich auf die logistischen Aspekte der Proteste: Nahrung wird zubereitet und verteilt, Metallgerüste werden auf- oder abgebaut, und auch die Steine, die im Straßenkampf gegen die Cops benötigt werden, wollen erst einmal aus dem Bordstein herausgeklopft werden. Ein vielversprechender Ansatz, eigentlich, aber um die prozessualen Dimension des Maidan geht es dabei nicht wirklich, dazu bleiben die entsprechenden Einstellungen nicht lang genug stehen. Und zwar enthalten sie viele interessante Details, aber nie scheint sich der Film allzu sehr für ein bestimmtes Detail zu interessieren.

Es gibt wunderbare Momente. Einmal findet Loznitsa eine schauderlich-schöne, surreal anmutende Einstellung, in der ein Dudelsackspieler einer infernalischen Feuerbrunst entgegen pfeift. Ein andermal nimmt er einem alle Sicherheiten, wenn er durch die Fenster eines vermutlich ausgebrannten Busses hindurch eine Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Demonstranten filmt; der Straßenkampf entgrenzt sich in eine einzige wogende Menschenmasse, die sich nicht länger in einem definierbaren physischen Raum situieren lässt. Toll ist auch eine Totale des Maidan aus der Vogelsperspektive, von der man zuerst annehmen kann, dass sie die rauchverhangene Ruhe nach dem Sturm zeigt, bevor man die Lichtspuren der Molotowcocktails sieht und erkennt, dass man sich immer noch inmitten der Hitze des Gefechts befindet.

Was bleibt ist ein Querschnitt, dem, einigen gelungenen Bildideen zum Trotz, etwas Beliebiges (böswilliger: Coffeetablebuchartiges) anhaftet. Erst ganz zum Schluss, in einer Passage, die den Opfern des Maidan gewidmet ist, gewinnen die Bilder an Prägnanz und auch an Zusammenhalt. Zum einen, weil sich erst da die christliche Grundtönung, die der Film von Anfang an hat, konkretisiert. Zum anderen, weil "Maidan" plötzlich eine spezifische, existentielle Erschütterung, die Trauer um den Verlust menschlichen Lebens, greifbar macht. Von den letzten Minuten her betrachtet erscheint der ganze Film wie eine Totenmesse, aus der heraus sich erst das revolutionäre Kollektiv formt.

Lukas Foerster

Maidan - Ukraine 2014 - Regie: Sergei Loznitsa - Laufzeit: 134 Minuten