Im Kino

Bis zum letzten Atemzug

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
04.05.2023. Michael Showalter erzählt in "Spoiler Alarm" von einem schwulen Paar - erst als Komödie, mit einer großartigen Sally Field, die aus ihrer Mutterrolle alles herausholt, dann als Melodram, das sich komplett der Trauer und der Liebe verschreibt.


Ist das nicht …? Ja, er ist es: Jim Parsons, weltbekannt geworden als Übernerd Dr. Sheldon Cooper in der Erfolgs-Sitcom "The Big Bang Theory", spielt den Fernsehjournalisten Michael Ausiello, eine der beiden Hauptfiguren der romantischen Dramödie "Spoiler Alarm". Alt ist er geworden, ist mein erster Gedanke, aber tatsächlich war Cooper in den letzten Big-Bang-Jahren bereits Ende 40. Die Serie hatte das nur gut versteckt. Jetzt zeigt er seine Falten, und auch, zumindest bis zu einem gewissen Grad, die Fragilität seines expressiven Körpers. Sein Lächeln jedoch, dieses kindliche Slapstick-Lächeln von verschmitzter Unschuld, bleibt und es steht diesem nun der sitkommunikativen Berufsjugendlichkeit entwachsenen Körper weiterhin ausgezeichnet.

Überhaupt präsentiert sich Parsons ein weiteres Mal als ganz großer Körperschauspieler. Insbesondere gelingt es ihm, seinen Körper expressiv werden zu lassen, ohne ihn zu exponieren. Mehr noch: es ist gerade die Körperscham und bis zu einem gewissen Grad Körperangst, die diesen Körper zu einem der ausdrucksstärksten werden lassen, die man in den Bewegtbildmedien der Gegenwart findet. Wenn Michael das erste Mal mit dem Fotografen Kit Cowan (Ben Aldridge) im Bett landet, weigert er sich, sein Shirt auszuziehen. Er begründet dies mit einem Kindheitstrauma als "former fat kid", und wer in seinem Leben auch nur ein paar amerikanische Filme gesehen hat, glaubt zu wissen, wie es weitergehen wird: Im Laufe des Films, meint man vorhersagen zu können, wird Michael sein Trauma überwinden, er wird seinen Körper akzeptieren, und es wird sich außerdem herausstellen, dass Jim Parsons gar nicht so schlecht aussieht, wenn er endlich das Shirt auszieht.

Meint man. Dass all dies im Film - an dieser Stelle ist der "Spoiler Alarm" des Titels bis zu einem gewissen Grad angebracht - dann doch nicht geschieht, ist ein Hinweis darauf, was Regisseur Michael Showalter mit seinem neuen Film versucht und was ihm auch zu weiten Teilen gelingt: eine sanfte Modifizierung der Formeln des Mainstreamkinos, die darauf hinausläuft, dramaturgische Zuspitzungen abzuschwächen und emotionale Involvierung zu intensivieren. Tatsächlich zeigt sich schnell, dass Michaels fortgesetzte Gehemmtheit für den Film viel wertvoller ist als ihre heroische Überwindung es wäre; weil die Gehemmtheit der Intimität und der Sexualität, die dennoch möglich sind, den Beiklang des Tröstenden, fast Utopischen verleiht.



Ähnliches gilt für zwischenmenschliche Konflikte, die vom Film zuerst angeteasert, dann jedoch nicht eskaliert und auch nicht einfach vergessen, sondern auf mal eher humoristische, mal eher sentimentale Art auf Dauer gestellt werden. Zunächst dominiert das Komödiantische. Der meganerdige Michael (im Kern ist Parsons weiter Dr. Sheldon Cooper, lediglich die sexuelle Orientierung sowie Art und Ausmaß seines Neurotizismus haben sich gewandelt) und der hedonistische, konventionell gutaussehende Kit sind auf genau die Art grundverschieden, wie die Hauptfiguren einer romantischen Komödie grundverschieden zu sein haben, damit ihre Liebesgeschichte erzählbar, beziehungsweise im Sinne des Genres ausbeutbar wird. Nur, dass im Fall von "Spoiler Alarm" alle Konflikte von Anfang an auf ihre Harmonisierung perspektiviert sind. Die ausufernde Schlumpf-Sammlung etwa, die Michaels Apartment zu Filmbeginn regelrecht überwuchert, sorgt genau eine Szene lang für Irritationem; wenn Michael und Kit später zusammenziehen, sind die blauen Racker nur noch ein beliebiges amüsant-dekoratives Einrichtungselement, das per Kamerschwenk in ein ansonsten von jedem Überschwang befreites urban-professional-Ensemble eingefügt wird.

Besonders prägnant wird die Harmoniesucht in einer Szene, die dafür prädestiniert scheint, in einer schwulen romantischen Komödie diverse soziale und psychologische Spannungen pointenförmig zuzuspitzen: Kit erhält Besuch von seinen Eltern, die nichts von seiner Homosexualität wissen und weil Michael ständig ohne hinreichende Rechtfertigung um ihn herum schwirrt, kommt es zum halbfreiwilligen Coming Out. Das sich umgehend in einem liberal-tolerantem Wohlgefallen auflöst, dem freilich eine kleine, aber entscheidende Dosis (gleichfalls liberal-toleranter) awkwardness beigemischt ist, die die Figuren davor bewahrt, zu bloßen Abziehbildern einer mit sich selbst versöhnten Gesellschaft degradiert zu werden.

Tatsächlich gehört das Coming Out auch Dank einer großartig aufgelegten Sally Field, die als Kits Mutter aus einer vorderhand generisch anmutenden Rolle weitaus mehr herausholt, als im Drehbuch angelegt scheint, zu den schönsten im Film. Weniger gut funktioniert "Spoiler Alarm", wenn der auf der Autobiografie des realen Michael Ausiello basierende Film im Anschluss und zum Glück nicht allzu ausführlich versucht, die Normalität der Beziehung Michael und Kits zu konturieren. Einer Normalität, die zwangsläufig doch von kleineren und größeren (vor allem jedoch kleineren) Alltagskonflikten geprägt ist und die vermittels einer Serie eher uninspirierter Montagesequenzen abgehandelt wird. Sobald Showalter die beiden Hauptfiguren mehr schlecht als recht in eine temporäre Trennung manövriert hat, nimmt der Film die entscheidende Wendung - die allerdings gleich in der allerersten Szene vorweggenommen wurde und also keinen Grund für einen Spoiler Alarm darstellt.

Kit wird mit Krebs diagnostiziert und die Prognose ist, das stellt ein medizinischer Todesengel nach nur wenigen zwischenzeitlichen Hoffnungsschimmern klar, schlecht. Der Drift vom Komischen ins Tragische, der daran anschließt, erinnert an Showalters Durchbruchsfilm "The Big Sick", wobei sein neuer Streich noch einmal deutlich näher am Wasser gebaut ist. Die schon vorher bestenfalls zweitrangigen Konflikte zwischen und um die Hauptfiguren schmelzen angesichts des nahenden Todes ohnehin endgültig und rückstandslos dahin. Aber auch die sonstigen RomKom-Routinen sind bloß Vorspiel in einem Film, in dem nach und nach alle Dämme brechen, der sich aus ganzem Herzen dem Sentiment hingibt.

Dass Showalters wahres Talent nicht die Komödie, sondern das Melodram ist, zeigt sich in der Darstellung von Affekten: Gefühl benötigt im Kino einen Resonanzraum, und der stellt sich in Akten der Distanzierung oft eindrücklicher her als in "gefühlspornografischen" Großaufnahmen. Wenn Kit in einer Arztpraxis die finale Diagnose erhält, flieht er in einen Nebenraum. Wir bleiben bei Michael und der Ärztin und hören wie die beiden Michaels Verzweiflungsschrei nur durch eine geschlossene Tür. Wenn wenig später Kits Eltern über die Krankheit informiert werden, springt die Kamera nach draußen, vors Fenster, verwandelt die Hiobsbotschaft in eine stumme Familienminiatur. In gewisser Weise wird der gesamte Film zu einem Resonanzraum. "Spoiler Alarm" ist ein Film, der weiß, dass eine tödliche Krankheit neben sich kein zweites Thema zulässt. Dass das Kino sich genau wie die Angehörigen der Krankheit zu fügen hat, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als sich komplett der Trauer und der Liebe zu verschreiben. Bis zum letzten Atemzug.

Lukas Foerster

Spoiler Alarm - USA 2022 - Regie: Michael Showalter - Darsteller: Jim Parsons, Ben Aldridge, Sally Field, Bill Irwin, Nikki M. James, Brody Caines - Laufzeit: 112 Minuten.