Essay

Der Diener

Von Rostek Andreas
08.08.2016. Der Diener ist eine demokratische Geste, doch, doch. Er stellt den Grüßenden ganz auf eine Ebene mit dem Gegrüßten, indem er sich sozusagen anbietet, ihm allein in diesem Moment zu Diensten zu sein. Was immer dann auch kommen mag. Von Andreas Rostek

Konferenz in der taz mit Andreas Rostek (ganz rechts)

Ich kenne Arno seit 37 Jahren; ich musste ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters überbringen (seine Reaktion: eingefasst in überraschende Höflichkeit); er rief mich an, um mir den Tod seiner Mutter anzuzeigen (meine Reaktion: überraschende Trauer; ich kannte seine Mutter nicht) … Und ich kenne Arno eigentlich nicht - der Satz ist des öfteren auf diesen Seiten zu lesen. Dabei begleitet er mich seit langer Zeit, natürlich durch seine Texte, aber auch auf überraschende andere Art.

Ich habe von Arno eine Bewegung übernommen, von der ich erst nach einiger Wiederholung, die den Blick auf die eigene Art sich zu bewegen erst ermöglicht, plötzlich bemerkte: Es ist Arnos Art - einen Diener zu machen.

Eine inzwischen ausgesprochen seltene Art der Begrüßung, vergleichbar vielleicht mit der möglichen Vielfalt im Ausdruck beim (polnischen) Handkuss, bietet sie dem Dienermachenden eine erfrischend widersprüchliche Bandbreite an möglichen Mitteilungen. Bei Arno wird die Bewegung gekrönt durch seinen leuchtend runden Kopf, dessen Strahlen oberhalb des bereits beschriebenen Lächelns (und Lachens) ja nicht durch irgendwelche Haare gestört wird. Der oder die zu Begrüßende hat also zunächst einen stattlichen Mann vor sich, eine Hand wird meist recht bestimmt in Richtung des Grußobjekts ausgestreckt ... und dann kommt es: Das verschmitzte oder freundliche oder skeptische oder überraschte oder amüsierte oder angriffslustige Lächeln (siehe oben) wird plötzlich abgelöst durch ein vorwärtsstrebendes Einknicken des Oberkörpers, die Hand des anderen oder der anderen fest in der eigenen gehalten, als spende das beiden Seiten Halt, und der oder die zu Begrüßende schaut unversehens von oben auf den runden Kopf gegenüber. Und lächelt meist. Etwas irritiert. Oder belustigt. Oder mit einer eigenen Sicherheit, die anzeigt, dass das alles so schon ganz in Ordnung ist.

Man spürt, bei wiederholter Beobachtung, beim Gegenüber meist aber eine Verwunderung, die über den so Grüßenden hinausgeht. Woraus schöpft der? Warum kann der das noch - und so selbstverständlich und selbstgewiss? Welche vielfältigen Kenntnisse sich doch darin verbergen ... warum ist anderen das verloren gegangen? Also wieder: Woraus schöpft der eigentlich in seiner eigensinnigen Art?

Aber dann ist, meist, der Moment des Grußes schon vorbei, die Fragen verschwinden mit ihm, und der eigentliche Grund der Begegnung tritt in den Vordergrund. Und doch bleibt da im Hintergrund eine Erfahrung von seltener Fülle (und Spielfertigkeit).

So kann man das bei Arno sehen. Bei mir ist das schlichter, was ich da nach einiger Zeit erst als ungewollte Kopie des ja immerhin zehn Jahre Älteren an mir entdeckt habe. Inzwischen grüße ich so unterschiedslos Frau Ovayolu (die sich um unsere Wohnung kümmert), meine Schwiegermutter, den Direktor der Leipziger Buchmesse, meine Kollegin Stephanie Haerdle (die die großartige Pressearbeit für uns macht), Herrn Güssow (der unser Auto repariert), den Gastgeber auf einem dieser wichtigen Berliner Sommerfeste oder meinen Freund Thomas, wenn wir uns nicht abends vor dem Wein kurz umarmen.

Der Diener ist eine demokratische Geste, doch, doch. Er stellt den Grüßenden ganz auf eine Ebene mit dem Gegrüßten, indem er sich sozusagen anbietet, ihm allein in diesem Moment zu Diensten zu sein. Was immer dann auch kommen mag. Er ist eine Anerkennung der individuellen Gleichwertigkeit. Das überrascht die meisten. Bei Arno. Nicht so sehr bei mir. Das ist eine Frage der Fallhöhe.

Arno macht sich also auch durch diese wiederbelebte Geste um unser Gemeinwesen verdient. Sie ist sozusagen ein Bild praktizierten Geschichtsbewußtseins, das im übrigen (fast) jedem seiner Texte eigen ist. Er nimmt in seinen Texten seine lesende Öffentlichkeit ganz offenkundig genau so ernst wie das zu grüßende Individuum und stellt sich ihm mit all seinen Fertigkeiten zur Verfügung. Zu Diensten. Es ist ein Spiel mit vielen versteckten Zeichen, scheint mir. Und es hat über die Zeit eine stilprägende Wirkung entfaltet. (Man vergleiche nur einmal die von Arno seinerzeit verantworteten Magazin-Seiten der taz mit dem Duktus der leider längst eingestellten Berliner Seiten der FAZ und dessen Feuilleton.)

Ich habe mir als Journalist nie ein Beispiel an Arno genommen. Verlorene Liebesmüh' möchte man sagen; man muss irgendwann seine eigenen Grenzen anerkennen (wollen). Aber im sonstigen Schreiben hat mich Arno seit Jahren begleitet. Der Mann ist das personifizierte Kitsch-Warnsystem. Führen Sie sich dieses verschmitzte runde Gesicht als das Gesicht Ihres Lesers vor Augen, wenn Sie schreiben. Sie kommen damit gefahrlos durch die Jahrhunderte (und die Wirren der Demokratie), aber der Kitsch der Gegenwart wird's schwer haben.