Warlam Schalamow

Durch den Schnee

Erzählungen aus Kolyma, Band 1
Cover: Durch den Schnee
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2007
ISBN 9783882216004
Gebunden, 256 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Franziska Thun-Hohenstein. Schalamows Erzählungen gehören zu den herausragendsten Leistungen der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Autor geht darin der Schlüsselfrage unserer Gegenwart nach: Wie können Menschen, die über Jahrhunderte in der Tradition des Humanismus erzogen wurden, Auschwitz, Kolyma hervorbringen? Schalamow zieht den Leser der 'Erzählungen aus Kolyma', deren erster Zyklus in diesem Buch versammelt ist, in die Gegenwart des Lageralltags hinein, ohne Hoffnung auf einen Ausweg: "Viele Kameraden sind gestorben. Aber etwas, das stärker ist als der Tod, ließ ihn nicht sterben. Liebe? Erbitterung? Nein. Der Mensch lebt aus denselben Gründen, aus denen ein Baum, ein Stein, ein Hund lebt."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.2009

Bisher hatte die FAZ Warlam Schalamows vor zwei Jahren "Erzählungen aus Kolyma" standhaft ignoriert, nun zeigt sich Rezensent Reinhard Lauer in seiner Besprechung doch noch tief beeindruckt. Die Texte Schalamows, der fast 20 Jahre in sowjetischen Lagern zugebracht hat, führen den Leser seiner Darstellung zufolge in eine Welt, "in der die Normen menschlicher Zivilisation außer Kraft gesetzt sind", in der Kälte, Hunger, Gewalt, Terror, Korruption, Verrat, Verrohung und Tod regieren. Anders als Solschenizyns von einem epischem Duktus beziehungsweise von Dokumentarität geprägten Texte über das Lager sieht Lauer bei Schalamow den "unerhörten Einzelfall, das grauenhafte Detail" im Zentrum. Dabei hebt er den hohen künstlerischen Anspruch dieser Erzählungen und Skizzen hervor, die auch eine Herausforderung für die Übersetzung darstellen. In diesem Zusammenhang lobt er Gabriele Leupolds deutsche Übersetzung sowie ihre genauen Anmerkungen und ihr Glossar.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.11.2008

Olga Martynova beschäftigt sich in einem Essay mit der Frage, warum Solschenizyns Roman "Ein Tag aus dem Leben des Iwan Denissowitsch" in der Sowjetunion veröffentlicht werden konnte und dem Autor letztlich zum Nobelpreis verhalf, während Warlam Schalamows "Erzählungen aus Kolyma" nahezu unbekannt blieb. Für die Rezensentin, das lässt sie durchblicken, ist Schalamow der größere Schriftsteller von beiden, dessen "Erzählungen aus Kolyma" in der Sowjetunion nicht mehr zu seinen Lebzeiten erschienen sind. In ihnen berichtet der Autor in "schonungsloser" Präzision und knapper Nüchternheit vom unmenschlichen Alltag in den Lagern der unwirtlichen Kolyma-Region, wobei für ihn die Erniedrigungen durch die mitinhaftierten "Kriminellen" noch schwerer zu ertragen waren als die menschenfeindliche Natur, so Martynova. Grundsätzlicher Unterschied zwischen Solschenizyn und Schalamow sei, dass ersterer sich in seinem Werk für "große Ideen" und Politik einsetzte, Schalamow dagegen, desillusioniert und verbittert, vor allem seine Erlebnisse dokumentieren wollte. Martynova erhofft sich, dass durch die deutsche Publikation der "Erzählungen aus der Kolyma" sich der Blick für das "herzzerreißend vollendete" Leben und Werk dieses Schriftstellers öffnet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.03.2008

Im Gegensatz zu den deutschen Konzentrationslagern hat der sowjetische Gulag noch nicht seinen Platz in der Literatur, meint Franziska Augstein, die deshalb die Kurzgeschichten von Warlam Schalamow mit besonderem Interesse gelesen hat. Schalamow, der 18 Jahre lang im Gulag inhaftiert war, hat das stalinistische Lager zum lebenslangen Hauptthema seines Schreibens gemacht, erklärt die Rezensentin. Der Autor habe seine Erfahrungen in kurzen episodischen Texten zu Papier gebracht, schien ihm die Romanform doch angesichts der Unmenschlichkeit des Gulags als nicht mehr möglich, so die Rezensentin weiter. Deutlich merkt sie den Texten Schalamows Vorgeschichte als Journalist und Lyriker an, denn sie stellt beeindruckt fest, dass er in seinen Erzählungen, deren "poetische Lakonik" Augstein bewundert, keine unnötigen Worte macht und stets auf die Genauigkeit seiner Beobachtungen setzt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.12.2007

Großen literarischen Rang bescheinigt Rezensentin Wiebke Porombka diesen dokumentarischen Erzählungen aus einem sibirischen Gulag, die ihr "eisige Klarheit" über das unvorstellbare Grauen, aber keine Erklärung geliefert haben. Ihr Autor hat den Informationen der Rezensentin zufolge achtzehn Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Lagern verbracht und mit diesen Erzählungen eine Art "Pysiognomie des Gulag" erschaffen, in der "mit seismografischer Genauigkeit die Regeln des Lebens und Sterbens" in diesen Straflagern freigelegt würden. Es ist gerade die "distanzierte Sachlichkeit" der Beschreibung, die die Rezensentin immer wieder über die "absurde", im Namen einer Utopie begangene Gewalt" erschaudern lässt. Gleichzeitig fasziniert sie die geschliffene Schönheit mit der der Schrecken von Autor Warlam Schalamow in Szene gesetzt wurde.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.10.2007

Erschienen ist der erste von drei Bänden mit Erzählungen des sowjetischen Autors Warlam Schalamow. Hans-Peter Kunisch ergreift die Gelegenheit, Leben und Werk des Verfassers ausführlich vorzustellen. Schalamows prägende Erfahrung war die jahrelange Gefangenschaft in verschiedenen Lagern, unter anderem auch als Arbeiter zu unmenschlichen Bedingungen in den Goldminen Nordsibiriens. Im Jahr 1953 kam Schalamow frei, das Lager wurde ihm zum Lebensthema. Nicht aber, wie etwa bei Solschenizyn, im Modus des erzählerischen Realismus, sondern stets auf der Suche nach der Möglichkeit, Formen für das nicht Darstellbare zu finden. In Perspektivwechseln zum Beispiel wie in der ersten kurzen Erzählung des Bandes, die allegorisch den Weg durch den Schnee beschreibt und im letzten Satz plötzlich zu den Lesern schwenkt, die "auf Traktoren und Pferden" kommen. Wichtige Themen sind der Identitätsverlust, bei den dochodjaga - den "Muselmanen" der sowjetischen Lager - als Auslöschung, in der Erzählung "Typhusquarantäne" aber auch als Befreiung. Viel zu unbekannt, stellt Kunisch fest, war Schalamow trotz gelegentlicher Teilveröffentlichungen im Westen. Es sei höchste Zeit für "eine seiner Bedeutung gemäße Würdigung".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.09.2007

Hierzulande kennt man den sowjetischen Autor Walam Schalamow kaum. Cord Aschenbrenners Rezension dieses Bandes mit Erzählungen Schalamows legt aber sehr nahe, dass sich das ändern sollte. Zwar macht es der Autor seinen Lesern alles andere als leicht, freilich hat er, wie Aschenbrenner berichtet, auch keinen Grund dazu. Vierzehn Jahre hat Schalamow in einem sibirischen Arbeitslager verbracht und die Texte, die er danach schrieb, handeln vom Überleben in Exil und Kälte. Illusionen macht sich und lässt der Autor dem Leser keine, sein Menschenbild ist von der Zeit im Lager geprägt. In den Erzählungen geht es, zum Beispiel, um einen, der sich im Lager beschwert, und daraufhin in eine Strafkompanie versetzt wird. Ein Resümee in dreißig kargen Sätzen schließt den Band ab, der von Rechts wegen, wie Aschenbrenner meint, bei uns wie in Russland "Schullektüre" sein müsste.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 31.08.2007

An den "Kältepol der Grausamkeit" haben Warlam Schalamows Erzählungen aus Kolyma den Rezensenten Jörg Plath geführt. Dort, im Dauerfrostgebiet im Osten der Sowjetunion, hat Schalamow unvorstellbare 14 seiner insgesamt 20 Jahre als politischer Häftling im Gulag zugebracht. Ihm sind in einer Nacht alle zehn Zehen abgefroren, berichtet Plath fassungslos, Schalamow habe erlebt, wie Mithäftlinge Leichen ausgruben, um an die Kleider zu kommen, er hat Verrat und den "Bankrott der menschlichen Kultur" erlebt, und wie Kälte, Hunger und Gewalt die Menschen zu Bestien machten. Ohne Erklärungen, und ohne eine Spur von Distanz schildere Schalamow diese unmenschliche Welt, warnt der Rezensent, den die "schockgefrorene Klarheit der Erzählungen immer wieder "schaudern" ließ. Über die literarische und historische Bedeutung dieses Buchs lässt Plath keine Zweifel aufkommen, doch weist er darauf hin, dass in ihnen - anders als bei Imre Kertesz oder Primo Levi - die politischen Verantwortlichen keine Rolle spielen. Bedauerlich allein findet der Rezensent, dass das Nachwort "mit mancher Information geizt", zum Beispiel darüber, warum Schalamow eigentlich in den siebziger Jahren die Samisdat-Zeitschriften angriff, die seine bis dahin ungedruckten Erzählungen abdruckten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.06.2007

Erfreut zeigt sich Rezensent Ulrich M. Schmid vom ersten Band einer auf sechs Bände angelegten Werkausgabe mit Schriften Warlam Schalamows. Denn damit werde der vor 100 Jahren geborene russische Schriftsteller endlich auch im Westen besser bekannt. Die "Erzählungen aus Kolyma" versteht er als Zeugnis des "grausamen Lebensschicksal" des Autors, der vierzehn Jahre Haft in sibirischen Lagern erleiden musste. Nicht verwunderlich scheint es ihm, dass diese Erzählungen zu Lebzeiten des Autors in der Sowjetunion nicht erscheinen konnten. Er hebt hervor, dass sich Schalamow gleichwohl immer gegen politische Vereinnahmung seines Werks im Westen gewehrt habe. Ausführlich berichtet Schmid auch über das prekäre Verhältnis Schalamows zu Alexander Solschenizyn, dem er vorhielt, den Archipel Gulag ästhetisiert zu haben und mit dem er deshalb brach. Schalamow hatte eine literarische und moralisch bewertende Darstellung der russischen Lager immer abgelehnt. Das Grauen, davon war er überzeugt, kann nur in einer dokumetarischen Schilderung erfasst werden, erklärt uns Schmid. Das scheint Schalamow auf beeindruckende Weise gelungen zu sein, umgibt die in "formbewusster" Prosa gehaltenen Texte für den Rezensenten doch eine "Aura höchster Authentizität".