Thomas Kling

Botenstoffe

Cover: Botenstoffe
DuMont Verlag, Köln 2001
ISBN 9783770156108
Gebunden, 244 Seiten, 18,41 EUR

Klappentext

Seine Archäologie des Poetischen treibt Thomas Kling mit "Botenstoffe" voran ? denn "Dichtung ist gesteuerter Datenstrom und löst einen solchen im Leser aus." "Botenstoffe", das sind nicht nur die eigenen Gedichte auf Sprach- und Geschichtsreise, Botenstoffe liegen auch in der Tradition, die Thomas Kling sich und uns eröffnet: Er erhellt die Berührungspunkte von Barockdichtung und Moderne, macht mit seiner Lektüre mit der mexikanischen Ordensfrau Juana Inés de la Cruz und den Predigten eines Abraham a Sancta Clara oder dem Sängerdichter Oswald von Wolkenstein vertraut. Ob Horaz, Stefan George, der italienische Lyriker Salvatore Quasimodo, eine Peter-Huchel-"Dankabstattung" oder seine Beziehungen zur "deutschen Sprache selbdritt" ? Christine Lavant, Ingeborg Bachmann und Friederike Mayröcker ?, all das ist genauso faszinierend wie eine Picasso-Polemik oder ein Portrait des Dichterfreundes Marcel Beyer.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.11.2001

Erst einmal widerspricht Thomas Kling dem auf die gesamte Gegenwartslyrik gemünzten Vorwurf von Botho Strauß, deren "geschredderte Formen" seien nichts im Vergleich zu Rilkes Elegien. Ein Schredderer, so Kling, sei er nicht. Der Rezensent Harald Hartung springt ihm zur Seite: bei Klings "obsessiver Beschwörung von Sprache" sei Schönheit keineswegs ausgeschlossen. Was ohnehin nicht fehlt, sind, so Hartung, "Sprachlust" und "Anspielungsreichtum". Gerade der jüngste Gedichtband, "Fernhandel", beweise, wie stark sich Kling auf die "ältesten und entferntesten Traditionen" bezieht. Ansonsten handelt es sich, meint Hartung ohne Vorwurf, um "pro domo" geschriebene Plädoyers. Kling bezieht sich auf Artmann, Bayer, Mayröcker, Priessnitz, aber auch Catull, Horaz und Oswald von Wolkenstein. Enzensberger ("Museumswärter") kommt nicht so gut weg, aus dem Vergessen gerettet werden soll Christine Lavant. Am schönsten findet Hartung die "gute Laune", die Kling verbreitet, mit Sätzen wie diesen etwa: "Ich finde das richtig klasse, Dichter zu sein: Dichter müssen spekulieren." Das ist auch gegen die Melancholie gesprochen, die den Dichter angesichts des "Schwindens der Bildungsvoraussetzungen" überkommt. Gegen die hilft nicht viel, meint jedenfalls der Rezensent, wenn überhaupt etwas, dann eben nur: "die Poesie selbst".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.09.2001

Auch wenn es mitunter "für einen Lyriker erstaunlich holprig" zugeht in diesen Essays, Respekt verdient, was Kling in Sachen Dichtung, in Sachen etwa Marcel Beyer oder Peter Huchel zu sagen hat, in den Augen des Rezensenten allemal. Und was nicht ganz so sauber, was "holzschnittartig" bleibt, meint Roman Bücheli in seiner eingehenden Besprechung, kommt wenigstens der Polemik des Autors zugute. Problematisch dagegen erscheint dem Rezensenten, dass Kling in seinen Elogen zu "Stereotypen und Wortgestöber" neigt und ihm Emphase und Empathie mitunter wichtiger sind als genaue Analyse und Argumentation. Da hält sich Bücheli dann lieber an die vom Autor beherrschte "hohe Kunst der Kombinatorik", folgt der Klingschen "ästhetischen Ahnengalerie" (von Oswald von Wolkenstein bis zu Friederike Mayröcker), den "ebenso phantastischen wie eigenwilligen Genealogien", die der Autor um sich herum konstruiert - als "Verneigung vor dem literarischen Erbe."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.08.2001

Da hat sich Hubert Winkels aber reingekniet in die "Botenstoffe". Und so nehmen wir ihm bereitwillig ab, was er an Lob über das Buch ausschüttet: Dass die versammelten Essays mit ihrem Hang zum Historisch-Materialistischen eine "erstaunlich homogene Geschichte" ergeben etwa, "Literaturgeschichte selbstverständlich", dass sich darin aber auch die "Physiognomie des Dichters Kling", sein Interesse für das Sprachmaterial, für das Nichtlineare wie für die Nachtseite der menschlichen Verhältnisse, abzeichnet, dass außerdem Ethnologie, Physiologie und Anthropologie gestreift werden, ganz ohne Bildungshuberei, und dass schließlich sogar die kleinen Ungerechtigkeiten des Autors ("gelegentlich ein Haudrauf im Literaturkampf") bei der Formung des Kling'schen Literaturkanons Methode haben. Was heißen soll: Wir sollten es ihm nachsehen oder besser gleich gutschreiben.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.06.2001

Diesen Eiferer hat der Rezensent gern. Ein "grimmiges Vergnügen" hat die Klingsche "apologia pro poesia sua" Jörg Drews bereitet. In einer Zeit, da man sich anschickt, vor der "Überkomplexität eines hysterischen Modernismus" zu kapitulieren, scheint ihm der marschblasende Duktus der hier versammelten Essays, Laudationes, Rezensionen und Hommagen gerade recht zu kommen, so eine "entschiedene, eine schöne Begeisterung", mit Kenntnissen im Rücken überdies. Da liest er Texte zu Mayröcker, Lavant und Marcel Beyer "auf den Knien des Herzens geschrieben", ehrlich, und dann wieder Unbarmherziges, über Hofmannsthal etwa ("Näselnde Nervenkunst") und Rilke - natürlich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2001

"Gedicht ist immer Ahnenstrecke, Fotostrecke" - diese lustige Formulierung aus einem Gedicht des Autors umschreibt nach Cornelia Jentzsch die Methode, mit der Kling seine Essays angeht, in denen er die Quellen und ästhetischen Bezugspunkte seiner Dichtung darlegt. Bei Jentzsch hat es gefunkt: Poesie als "göttlicher Botenstoff", wobei das Wort "hermetisch " in seiner Ableitung von Hermes, dem Götterboten, eine neue Interpretation erfährt. Was den einen ein Schimpfwort, ist dem Dichter eine Verpflichtung. Etymologisch ist das zwar nicht völlig korrekt, meint Jentzsch dazu, aber einsichtig allemal. Viel erfahre man in den Aufsätzen außerdem über die Dichter des Barock, mit denen sich Kling ausgiebig beschäftigt habe, und von denen er einen Bogen zur Wiener Gruppe schlage, die als einzige die Bedeutung des Mundartlichen, Slangmäßigen erkannte. Kling hält, so Jentzsch, scharfe Reden zur Verteidigung der poetischen Avantgarde, während er sich zugleich als der "Historiker unter den Dichtern" erweist, der die schwindenden Tiefen- und Bedeutungsschichten der Sprache freilegt.