Svenja Leiber

Staub

Roman
Cover: Staub
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
ISBN 9783518427903
Gebunden, 243 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Als Kind verbringt Jonas Blaum ein Jahr in Saudi-Arabien - der Vater, ein Mediziner, verfolgt in Riad seine eigenwilligen Vorstellungen von Heilung. Den Deutschen fällt es nicht leicht, sich den ungewohnten Landessitten anzupassen, und als eines Tages das jüngste Kind der Blaums spurlos verschwindet und wenig später verstört und sprachlos wiederauftaucht, kehrt die Familie überstürzt nach Deutschland zurück. Im Sommer 2014 reist Jonas Blaum, mittlerweile selbst Arzt, suchtkrank und von Zweifeln geplagt, erneut in den Nahen Osten, diesmal nach Amman. Dort wird ihm ein Junge in die Obhut gegeben, der ihn an den größten Verlust seines Lebens erinnert. Blaum kann dem Kind nicht helfen, und als er den Jungen bei einem Aufenthalt in Jerusalem verliert, ergibt sich für den Arzt ein beängstigender Verdacht. Svenja Leiber erzählt von einer individuellen Katastrophe und der einer ganzen Region. Der Wettlauf um das Leben eines Kindes wird dabei zum Sinnbild für einen doppelten Kampf: gegen die Erstarrung des Einzelnen im Korsett gesellschaftlicher Zuschreibungen, gegen die Macht symbolischer Ordnungen und überalterter Systeme.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.05.2018

Rezensent Dirk Knipphals hat Svenja Leibers dritter Roman "Staub" tief beeindruckt. Weil der Vater des Erzählers Jonas humanitäre Hilfe leisten will, zieht er in den Achtzigern mit seiner Familie nach Saudi Arabien - um dort sowohl an seinen naiven Vorstellungen als auch der Integration der Familie in die fremde Gesellschaft elend zu scheitern, so der Rezensent. Da seine jüngste Schwester infolge dieser Ereignisse stirbt, trägt Jonas laut Knipphals ein Trauma davon, das Leiber ihn im Roman aufarbeiten lasse. Dass die Autorin nebenbei auslotet, inwiefern Literatur Lebenshilfe leisten kann, fand Knipphals bemerkenswert. Ein wenig fragwürdig erschien ihm hingegen, dass Leiber Jonas "das eigene Wundsein als allgemeines Krisensymptom" darstellen lässt, seine Orientierungslosigkeit werde als Symptom einer verlorenen Gesellschaft präsentiert. Aber Knipphals lobt die Bildgewalt und sprachliche Wucht, mit der die Autorin das Pathos der Geschichte entfaltet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.04.2018

Dieser Roman wirbelt die "Wüste des dialektischen Denkens" gehörig durcheinander, meint Rezensentin Katharina Teutsch und findet das so verdienstvoll wie anstrengend. Denn die Geschichte um den deutschen, in Riad aufgewachsenen Arzt Jonas, dessen Schwester Semjon in der Wüste verschwand, nachdem sie feststellte, im falschen Körper geboren zu sein, und der Jahre später nach Amman gerufen wird, um den durch eine Generkrankung rasant alternden Alim zu heilen, verweigert nicht nur sämtliche Identitätszuschreibungen, sondern lässt auch allzu viele Handlungsstränge absterben, stellt die Kritikerin fest. So inspirierend Leibers "Kategorienflucht" auch sein mag, so mühsam ist die Lektüre dieses mit allerlei Bilderrätseln und noch mehr postmodernen Theorien gespickten Romans auch, schließt die Rezensentin, der nach so viel "Judith-Butler-Sufismus" ganz schwindelig zumute ist.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.03.2018

Rezensent Tobias Lehmkuhl kann mit diesem Roman überhaupt nichts anfangen. Die Handlung kreist um einen Arzt, der als Kind eine Zeit in Riad und Amman und später in Berlin gelebt hat und allerlei Krisen durchmacht. Warum, welches Trauma dem ganzen zugrunde liegt, erschließt sich Lehmkuhl nicht. Dunkle Andeutungen, mehr findet er nicht. Auch stilistisch missfällt ihm der Roman. Der Rezensent rät ab.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.03.2018

Svenja Leibers Romanen liegt eine "luzide literarische Psychologie" zugrunde, die davon ausgeht, dass der Mensch sich dort am nächsten kommen kann, wo er "fremd ist", stellt Rezensent Paul Jandl fest. In "Staub" führt Leiber ihren Protagonisten in die Wüste, in seine Vergangenheit, die er erinnert und die ihm trotzdem so fern und so unvertraut erscheint, lesen wir. Aus der Wüste kommt er im doppelten Sinn: Als Individuum -  seine Familie lebte in Riad bevor sie ins Sauerland zog, um sich dort nieder zu lassen. Und als Mensch, denn aus der Wüste, aus dem Staub, der unendlichen Leere komme er, der Mensch. Leiber erzählt, wie der Held in dieser Umgebung, in diesem Klima seiner Vergangenheit näher kommt. Ihre Geschichte speise sich aus den ewigen, großen Fragen der Menschheit, die allerdings nie direkt und plakativ erscheinen, sondern immer nur im Hintergrund wie ein Hitzeflimmern schimmern, meint Jandl. Es ist ein anrührendes, ein intelligentes, ein erstaunliches "Märchenbuch", das die Autorin geschrieben hat, schließt der hingerissene Rezensent.