Peter Weiss

Die Situation

Roman
Cover: Die Situation
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518411544
Gebunden, 264 Seiten, 19,43 EUR

Klappentext

Aus dem Schwedischen von Wiebke Ankersen. Stockholm, November 1956, das Jahr, in dem Truppen des Warschauer Pakts den Aufstand in Ungarn niederschlagen und westliche Truppen den Suezkanal besetzen: Einen Tag lang folgt Peter Weiss in diesem unbekannten und bislang unpublizierten Roman Schrifstellern, Schauspielern, Malern und Journalisten bei ihrem Bemühen, angesichts des Weltgeschehens Stellung zu beziehen, die allgemeine, die künstlerische und die private Situation zu bestimmen. Peter Weiss macht sich in diesem 1956 niedergeschriebenen Roman wie in kaum einem anderen seiner Prosawerke intensiv die Perspektive ganz unterschiedlicher Menschen zu eigen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.08.2000

Jürgen Berger formuliert in seiner Rezension eher Beobachtungen als ein Urteil. So fällt ihm besonders das "Subjektive" in diesem Roman auf, das "hin zum Allgemeinen und Politischen drängt". Dies erscheint ihm für die fünfziger Jahre seltsam unzeitgemäß und verhält sich auch umgekehrt zu der Zeit der Studentenunruhen, wie er anmerkt. Und so ringen die Protagonisten letztlich um die Überwindung dieser Subjektivität zugunsten der Kunst - nicht wirklich erfolgreich, so Berger. Ein zweiter Aspekt, den der Rezensent betont, ist das Beobachtende, das gleichsam Dokumentarische in diesem Roman. Der Blick der Autors erscheint ihm seltsam distanziert und zeigt bisweilen sogar "Anflüge von Ekel", gerade wenn es um Körper und Intimitäten geht - was nach Bergers Ansicht in einen unübersehbaren Kontrast zur heutigen körperbetonten Zeit steht. Nicht zuletzt dies macht das Buch in den Augen des Rezensenten heute lesenswert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.08.2000

Sabine Peters vermutet, dass Bücher dieser Art heute "vielleicht gar nicht geschrieben werden können". Denn hier geht es, wie der Leser erfährt, nicht um Spielereien mit der Identität (dafür ist es viel zu ernst), sondern um das zähe, quälende Ringen darum. Immer wieder kämpfen die Protagonisten um die Bedeutung und den Sinn von Leben und Kunst. Dabei zeigt sich Weiss selbst, wie Peters anmerkt, bisweilen undistanziert, jedoch in keiner Weise spöttisch. Auch Unsicherheit diagnostiziert die Rezensentin bei Weiss - sei es in stilistischer Hinsicht, was er ihrer Ansicht nach dadurch kreativ in Bahnen lenkt, als dass er die verschiedenen Haltungen auf die Personen überträgt. Oder sei es dadurch, dass es selbst keine Antworten für die "aufgeworfenen Fragen" parat hat. In mancher Hinsicht hält sie das frühe Buch des Autors jedoch bereits für typisch für spätere Werke. So kann sie bereits zahlreiche Motive erkennen, die Weiss später wieder aufgreift. Und auch der Wechsel eines "mäandrierenden, dann wieder springenden Schreibflusses" zeigt sich ihrer Ansicht nach bereits in diesem Buch. Kritisieren würde sie lediglich den spürbaren "angstgeschüttelten Hass auf Frauen" und die Überladenheit des Romans.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.07.2000

Dieser erste, erst jetzt veröffentlichte Roman sei grundlegend für das Verständnis des gesamten Werks des Autors, schwärmt Rolf Michaelis. Der Text sei eine "Mischung aus Tagebuch und Collage, Reportage und Dokumentar-Ablage" und wirke wie ein aus Einzelteilen zusammengesetztes Puzzle. Er gebe Zeugnis ab über die Ängste und politischen Hoffnungen des Autors und würde den Leser in die Nachkriegszeit zurückversetzten, in der Exilschriftsteller "in dem von alten Nazis unterwanderten Adenauer-Staat wenig galten". Ein rasanter Text, dessen "quälerische Aufrichtigkeit" den Rezensenten begeistert und von dem er annimmt, dass er zu den ganz großen Veröffentlichungen dieses Jahres gehört.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.07.2000

Der autobiografische Roman aus dem Nachlass von Peter Weiss löst bei der Rezensentin Andrea Köhler durchaus gemischte Gefühle aus : "Das ist ein ambitionierter Künstlerroman, ein pathetisches Manifest, ein furioses Selbstzerfleischungstheather, eine Zumutung". An anderer Stelle entdeckt sie einen Mut zum Scheitern, der dieser Werk "so spannend für die zeitgenössische Lektüre macht". Vor diesem Hintergrund hält sie seine Veröffentlichung für wichtig, auch mit Blick auf das Leben und künstlerische Schaffen von Peter Weiss - "jede Figur eine Ich-Möglichkeit". Das Buch, bei dem es in erster Linie um die Eigen- und die Fremdwahrnehmung einer Handvoll Künstlerexistenzen geht, ist ihrer Auffassung nach angetrieben vom "Ringen um den eigenen Ausdruck", bei dem "der Formenkanon der frühen Moderne entschlossen durchbuchstabiert wird" und die Antagonsimen einer Künstleridentität schonungslos durchdekliniert werden. Das ist natürlich auch für den Leser bzw. die Rezensentin ganz schön anstrengend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.06.2000

Roland H. Wiegenstein weist zunächst darauf hin, dass dieses Buch (das bisher in keinem der Werkverzeichnisse zu Peter Weiss zu finden ist) nun zum ersten Mal in deutscher Sprache erschienen ist und damit als Neuentdeckung gelten darf. Zwar ist der Rezensent der Ansicht, dass Weiss hier mit seiner "literarischen Konstruktion" weitestgehend Schiffbruch erlitten hat, vor allem, weil die Verbindung von eigenen Erfahrungen und "Angelesenem" nicht überzeugend gelungen sei. Auch die Perspektivenwechsel scheinen dem Rezensenten noch nicht ausgereift. Dennoch bescheinigt er dem Roman einen "faszinierenden Sog". Wiegenstein stellt fest, dass in diesem Roman bereits "alle Motive" der späteren Werke des Autors entdeckt werden können. Auch die Techniken, die für Weiss später typisch wurden, sieht der Rezensent bereits deutlich angelegt. Allerdings stünden hier das Vage einerseits, und das Strukturierte andererseits noch "hart nebeneinander", während es Weiss in seinen späteren Werken gelungen sei, diese Gegenpole zu vereinen.
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