Matthias Zschokke

Maurice mit Huhn

Roman
Cover: Maurice mit Huhn
Ammann Verlag, Zürich 2006
ISBN 9783250600909
Gebunden, 240 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Maurice lebt in einem armseligen Stadtteil von Berlin, hält sich selbst für eher unscheinbar und uninteressant und liebt das Spiel des Cellos von nebenan. Man könnte meinen, Maurice führe ein unspektakuläres Leben, doch weit gefehlt: Das Spektakel findet seinen Ursprung in den kleinen Details, die der Protagonist unterwegs auf seinem 17 Jahre alten Fahrrad einsammelt und verarbeitet zu einer schier unendlichen Gedankenkette. Ein Krähenschwarm zieht vorüber und dieses Bild wirkt wie ein Startknopf. Maurice denkt nach, wechselt die Perspektiven, kommt von einem ins andere und schließlich erfährt der Leser etwas über das Ableben von Francois Mitterand und die Zubereitung französischer Fettammern. In kleinsten Schritten kommt Maurice der Wahrheit sehr nah.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.08.2006

Es geht hier also wieder einmal "um Schreibkrisen. Um das Hofmannsthal'sche Chandos-Debakel und um das ganze Ach", gibt Rezensent Helmut Böttiger enttäuscht zu Protokoll. Dabei steckt in Matthias Zschokkes neuem Buch aus seiner Sicht durchaus das Potenzial für einen Roman, den er gerne gelesen hätte. Wenn Zschokke ihn denn geschrieben hätte, statt sich seinen "postmodernen Ich- und Form-Verwirrspielen" hinzugeben. Denn durch die Geschichte aus Berlins literarischer Terra-Incognita, dem Stadtteil Wedding, sieht der Rezensent immer wieder ein soziales Milieu schimmern, das er in seinem Verzicht auf Visionen und hochfliegende Träume absolut gegenwartsnah findet. Die Art und Weise, wie der Schweizer Autor in kleinen Szenen diese Gegenwart aufblitzen lässt, findet Böttiger manchmal sogar fast grandios. Leider konzentriert sich Zschokke für seinen Geschmack dann aber viel zu sehr auf die "Konfiguration des Nichts", das er um seine eher künstlich daherkommende Figur Maurice herum arrangiert. Auch den "augenzwinkernden Selbstkommentar- und Ironiestil" Zschokkes findet der Rezensent weder passend noch wirklich gekonnt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.06.2006

Pia Reinacher hat was übrig für Flaneure. Dem von Matthias Zschokkes Roman ausgeübten "subtilen Zwang zur Langsamkeit" kann sie sich trotz einiger Einwände gegen das Buch nicht ganz entziehen. Dafür spricht auch, dass ihr die trödelnden Helden Zschokkes und dessen künstlerische Vorbilder, der Maler Albert Anker und der Schriftsteller Robert Walser, bereits vertraut sind. Den Bezug zu Walser allerdings hält sie in diesem Buch für misslungen: Zu nah, zu epigonal. Da ist die Rezensentin froh, dass die Textkonstruktion mitunter etwas moderner ausfällt ­ als lässige Verkettung von "Mikrogeschichten". Die Ausdauer, mit der der Protagonist sein Gedankengebäude zusammensetzt, regt sie zum Schmunzeln an, und die Lektüre öffnet die Sinne für eine "Erotik des Zufälligen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.06.2006

Rezensent Michael Kohtes mochte dieses Buch, an dem die Handlung aus seiner Sicht das Unwichtigste ist. Denn dass Autor Matthias Zschokke keine wohlstrukturierten Geschichten schreibt, sondern im scheinbar Fragmentarischen das Ganze entdeckt, feiert er als "poetischen Widerstand" gegen die Schnelllebigkeit der durchökonomisierten Gegenwart. Zschokkes Erzählverfahren vergleicht der zutiefst bewegte Rezensent mit Robert Walsers "Alltagsvertiefungsversuchen", weil sich aus lauter Wahrnehmungssplittern schließlich ein sehr komplexes Bild ergibt. Es geht, wie wir lesen, um einen Eigenbrödler im Berliner Bezirk Wedding, der ein Kommunikationskontor unterhält und darin Hilfe bei amtlichem Schriftverkehr anbietet. Doch diese Dienstleistung scheint nicht sonderlich angenommen zu werden. weshalb der passive und wortkarge Held für Kohtes zum Protagonisten eines Künstlerromans, aber auch Chronisten des Niedergangs eines Arbeiterviertels wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.05.2006

Hingerissen ist Hansjörg Graf vom jüngsten Roman des in Berlin lebenden Schweizer Autors Matthias Zschokke. Wer sich "Action" erhofft, warnt der Rezensent, wird bitter enttäuscht, denn in dem Buch, dessen Hauptfigur der Melancholiker Maurice ist, werden die "Wonnen der Langsamkeit" gefeiert und das "Unscheinbare" in den Mittelpunkt gestellt. Dabei fehle auch ein "roter Faden" weitgehend, vielmehr setze sich der Roman, der die "Gattungsbezeichnung" kunstvoll "ad absurdum" führe, aus "Geschichten, Skizzen, Lesestücken und Denkbildern" zusammen, die nur von der Suche des Helden nach der Realität zusammengehalten würden, erklärt der Rezensent. Dabei, so Graf, erschließt sich in den Einzelbeobachtungen Maurice' dem Leser durchaus ein "Machokosmos" und er empfiehlt begeistert, sich die "Poesie", die sich aus der "Prosa des Lebens" speist, doch einfach "auf der Zunge zergehen" zu lassen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.03.2006

Wo Matthias Zschokkes Erzählband "Ein neue Nachbar" endet, knüpft sein Roman "Maurice mit Huhn an", erklärt Jörg Magenau und meint damit nicht nur den leitmotivischen Klang eines unbekannten Cellos in der Wohnung nebenan, sondern auch einen schweigsamen Erzähler, der seine Geschichten "langsam, nachdenklich und liebevoll" vorträgt. Mit Maurice habe sich Zschokke ein Wunsch-Alter Ego geschaffen: Ein radelnder Flaneur, der sich in den abseitigen Viertel der Stadt auf Entdeckungsreisen begibt, die Stille preist und sich wie alle "echten Indianer" am liebsten unbemerkt durch die Welt bewegt. Eine konsistente Handlung gibt es nicht, so Magenau, aber darauf kommt es auch nicht an: Weil der Roman "wie eine Wundertüte funktioniert" die Disparates - angefangen vom sterbenden Mitterand bis hin zu Maurice' Reise an den Ort seiner Kindheit - immer wieder kunstvoll aneinanderknüpft.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.02.2006

"Auf einer neuen Höhe seiner Kunst" ist Matthias Zschokke angelangt, schwärmt die Rezensentin Beatrice von Matt. Und besagte Höhe, beteuert die Rezensentin weiter, braucht den Vergleich mit Beckett und Robert Walser nicht zu scheuen. In seiner "leichthändigen Romankomödie" um den in Berlin lebenden Schweizer Maurice, dem der "überlegene Charme der Erfolglosen, die den Erfolg durchschauen und darum verweigern" zu eigen ist, verzichte Zschokke auf eine aufwendige Erzählkonstruktion: Er lasse Maurice, der "wenn er schreibt, gerne lebt", zum Erzähler des eigenen Lebens, das voll ist mit "lauter verrückten und hintersinnig gewöhnlichen Geschichten", voll mit "Miniaturdramen". Nehme der Leser anfangs noch an, dass die Wirklichkeit hier das Hoheitsrecht innehabe, so verliere sich der Eindruck in dem Maße als die Welt zunehmend als ein von Vergänglichkeit beherrschtes "Zwischenreich" erscheine, in dem die Oberflächen transparent werden. Auch deshalb, meint die Rezensentin, liest man den Roman so "gebannt", aber auch "beklommen". Gerade diese "hartnäckig hinterhältige" Erzählweise, die "nicht leicht zu fassen" ist, weil sie die Welt zugleich banal erscheinen lässt und sie doch in Schieflage bringt, macht Zschokkes Roman zu einer wirklich "kostbaren Lektüre", so das hochzufriedene Fazit der Rezensentin.