Martin Walser

Der Lebenslauf der Liebe

Roman
Cover: Der Lebenslauf der Liebe
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001
ISBN 9783518412701
Gebunden, 525 Seiten, 25,46 EUR

Klappentext

Ein Buch über die Liebe, also ist die Heldin ? und sie ist wirklich eine Heldin ? eine Frau, also spielt das Buch in Düsseldorf, und das große Geschäft ist so wichtig wie die große Liebe: die gibt allerdings den Ausschlag in diesem ebenso ergreifenden wie schockierenden Liebes-Roman. Susi Gern liebt, heiratet und merkt: sie will ihren Mann entweder ganz oder gar nicht. Da der für ganz nicht geeignet ist, hört sie auf, seine Frau zu sein. Aber zur Trennung reicht die Ernüchterung nicht aus. Es beginnt die Suche nach einem, den sie ganz haben kann ...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.08.2001

Was macht die Realität mit dem Schriftsteller, fragt Andrea Köhler, die weiß, dass Martin Walser für seine Heldin Susi Gern ein reales Vorbild hatte. Vor allem hat sie ihm die "Handschellen einer echten Zuneigung angelegt", schreibt Köhler. Weshalb Walser die unaufhörliche Selbstbetrachtung des langsamen körperlichen und seelischen Verfalls seiner Heldin nicht unterbricht, ihr vielmehr mit einem "Beschreibungsfuror" folgt, der der "Wiederholungstobsucht" Susis (sie kauft alles zwei Mal, dafür erzählt ihre Tochter alles fünf Mal) entspricht. "Das muss man aushalten können", schreibt Köhler, die der "Materialrealismus" des Romans manchmal ermüdet. Zumal die "Detailfülle" wohl auch das recht schlichte Gemüt Susis kompensieren muss. Auch die anderen Figuren im Roman sind nicht gerade fein gezeichnet, meint Köhler. So wenig wie das Düsseldorfer "Prada-Milieu", das Walser mit "satirischem Ingrimm" beschreibe. Die "schrillen Schockfarben", in denen er das deutsche Alltagsleben ausmalt, provozieren die Rezensentin gar zu der Frage, ob es sich hier womöglich um einen "verkappten Pop-Roman" handelt? Furios, radikal, polemisch bis zum Hohn ist dieses Buch für Köhler. Und was den "Schlund der Ausführlichkeit" angeht, in den Walser am Ende seine Susi Gern stürzen lässt: Vielleicht hat sie ja Recht, und das Leben ist wirklich "eine einzige Wiederholung zum Schlechteren".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.07.2001

Für Thomas Steinfeld ist Martin Walsers Roman mit über 500 Seiten und über vierzig Jahren ein wenig dick geraten. Aber dem Autor, lobt er, sei es gelungen, die neue Welt der 90er Jahre mit ihren Zynismen, saloppen Tönen und Konsumfetischismen mit seinem großen Thema, der "Epiphanie des Mittelstandes", zu verbinden. Walsers schildert dies, so Steinfeld, sehr strikt aus der engen Perspektive seiner Hauptfigur. Sein Jargon orientiere sich teils an der "Wahren Liebe" und anderen Kummerkästen der Unterhaltungskultur. Doch der Rezensent sieht den Autor damit in der Rolle des Müllmanns, der den Schrott des Alltags sortiert und als Megaphon aktueller Obsessionen fungiert. Vorherrschende literarische Technik des Romans sei seine Geschwätzigkeit. Die töne indes aus der Mitte des Zeitgeists, und so erlange das Buch polemische Kraft. Steinfeld hält das Werk deshalb für "größer als manchen gelungenen Roman". Nur eines stört Thomas Steinfeld: Walser lässt seine Susi schon 1974 per Handy telefonieren. Doch damals gab es noch keine Handys.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.07.2001

Klaus Siblewski empfiehlt, Martin Walsers Roman als Gegenentwurf zu Fontanes "Effi Briest" zu lesen, als "Standardwerk" über den aktuellen Stand des Verhältnisses von Liebe und Ehe im deutschen Mittelstand. Der Rezensent hält den Roman für mutig. Walser habe in ihm seine kritische Sicht auf die Mittelschicht radikalisiert, indem er die Unvereinbarkeit von Mittelschicht und Liebe beschreibe. Zwischen bösem Realismus und Groteske, so der Rezensent, glückt dem Autor ein Porträt der mittleren Stände, das diese mittels ihrer eigenen Sprache zur Kenntlichkeit bringt. Walser, so Siblewski, schreibt einen riskant verknappten Sound, fernab aller Mittelstandsgeschwätzigkeit, und es gelingt ihm zu zeigen, welche "Ausdruckschancen in dieser verschmockten Sprache liegen." Derart nah wie Walsers Protagonistin Susi, die von der Liebe nicht lassen kann, hat sich Siblewski lange keiner Romanfigur mehr gefühlt. Die verzweifelt-komischen Gefühlsnöte der Figur würden jenseits aller Peinlichkeit spürbar. Siblewski findet das "bestürzend schön".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.07.2001

Der Roman über die Lebensgeschichte der Düsseldorfer Großbürgerin Susi Gern, die, aus kleinen Verhältnissen stammend, den erfolgreichen Wirtschaftsanwalt Edmund heiratet und fortan ein unglückliches Leben im Luxus mit sexuellen Eskapaden führt, trägt für Martin Lüdtke die typische Handschrift Martin Walsers. Auch hier hat der Autor seine Figuren mit persönlichen Erfahrungen ausgestattet und Menschen aus seinem Umfeld zur Vorlage genommen, berichtet der Rezensent. Wieder einmal müssen Walsers Protagonisten leiden und leben als "geduckte Dulder". Bis in den letzten Winkel habe der Schriftsteller das Leben seiner Protagonistin erforscht, was sich, denkt Lüdtke, nicht nur zum Vorteil für den Roman ausgewirkt hat. "Weniger wäre manchmal mehr gewesen", meint der Rezensent, der der Detailfreude des Autors nicht durchgängig viel abgewinnen kann. Und trotzdem: Lesenswert findet Lüdtke Walsers neuen Roman allemal, wenn auch, räumt Lüdtke ein, Walser sicher nicht "jedermanns Sache" ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.07.2001

Für Ulrich Greiner war die Lektüre dieses Buchs ähnlich wie eine Achterbahnfahrt, bei der man nach schönen Blicken von oben hinunter stürzt und von Übelkeit übermannt wird. Viel Gutes kann er dem Roman letztlich nicht abgewinnen: "Selten war Walser so grob, so geschwätzig", findet er und gibt zu, dass es nicht leicht sei, bis zum Ende des Romans durchzuhalten. Die Geschichte selbst findet Greiner "ebenso banal wie monströs" und überladen mit Einzelheiten, die man als Leser eigentlich gar nicht wissen wolle. Zwar hat der Rezensent auch einige "bezwingende Szenen" entdeckt, auf die er auch im Einzelnen eingeht. Doch insgesamt löst der Roman bei ihm "Zähneknirschen" aus. Dafür führt er zwei Hauptursachen an: Zum einen sei Walsers "Formulierungsmaschine dem möglichen Denk- und Erkennbaren immer einen Schritt voraus", was dazu führe, dass das Wesentliche hinter dem "schieren Ornament" verschwinde. Zum anderen kritisiert Greiner, dass sich Walser hier in eine Frau verwandelt, was der Rezensent zwar prinzipiell goutiert, doch erinnert ihn die Protagonistin in ihrer Grellheit zu sehr an Transvestiten, was auf die Dauer nervtötend sei. Auch das ständige Kippen zwischen "Peinlichem" und "Grandiosem" hat offenbar auf die Dauer die Nerven des Rezensenten ziemlich strapaziert.