Martin Heidegger

Anmerkungen I-V (Schwarze Hefte 1942-1948)

Gesamtausgabe, IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen. Band 97
Cover: Anmerkungen I-V (Schwarze Hefte 1942-1948)
Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2015
ISBN 9783465038696
Gebunden, 560 Seiten, 58 EUR

Klappentext

Die "Anmerkungen I-V" entstanden zwischen 1942 und 1948 (der Band enthält auch jenes "Schwarze Heft", das bis vor Kurzem noch als verschollen galt). Wie schon in den "Überlegungen" (GA 94-96) bieten sie ein einzigartiges Feld verschiedener Gedanken und Einsichten, die zuletzt ein eindrucksvolles Gewebe des Denkens ergeben. Heideggers Gedanke einer Geschichte des Seins beginnt zu verblassen zu Gunsten eines beruhigten Denkens des "Gevierts". Dennoch setzen sich die in den "Überlegungen" auftauchenden problematischen Deutungen des Judentums im Rahmen des geistigen Untergangs der Deutschen fort. Die Nachkriegszeit wird als Selbstverrat des deutschen Auftrags, den "anderen Anfang" der Seinsgeschichte zu stiften, erfahren. Damit verbunden beginnt Heidegger, nicht nur das Scheitern seines universitätspolitischen Vorhabens 1933/34, sondern auch das 1946 ausgesprochene Lehrverbot zu verarbeiten. Die Aufzeichnungen erlauben einen bisher unbekannten Einblick in die schmerzhafte Neuorientierung des Denkers.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.04.2015

Der Philosophie Professor Günter Figal erregte im Januar Aufsehen, als er seinen Austritt aus der Martin-Heidegger-Gesellschaft erklärte, deren Präsident er zuvor war. Grund waren natürlich die "Schwarzen Hefte", die es Figal laut Wikipedia unmöglich machten, "die Gesellschaft und damit die Person weiterhin zu repräsentieren". Figals Rezension des neuesten Bandes ist anzumerken, dass der Schock nach wie vor tief sitzt. Heideggers Antisemitismus ist nun gewissermaßen offiziell und so hässlich und infam, wie man es sich nur vorstellen kann. Das Wort Gaskammern setzt Heidegger in Anführungszeichen, und Figal spart auch nicht mit Heideggers unsäglich larmoyanten Anmerkungen zu den Nazis. Der Fall ist krass - aber für Figal dennoch nicht hoffnungslos. Nun kommt es drauf an, ob man noch zu "rettender Dekontextualisierung" schreiten kann, Heideggers Gedanken also aus dem Sumpf lösen kann, in dem sie entstanden, und es sei zu prüfen, ob diese Gedanken ohne Heideggers Geschichtsbild weiterhin denkbar bleiben. Figal will hier noch kein abschießendes Urteil fällen, ist aber guten Mutes und hofft etwa, dass Heideggers Überlegungen zu "Bauen und Wohnen" und zu "Denken und Dichten" die Prüfung überleben.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.04.2015

Rezensent Micha Brumlik lässt in seiner Kritik die krude Prosa Heideggers mehr oder weniger für sich sprechen. Ganz klar geht daraus hervor, dass Heidegger ein krasser Antisemit war, dass er aber das Christentum und die Demokratie mindestens ebenso verabscheute. Gleichzeitig macht Brumlik deutlich, dass Heidegger seine Begeisterung für die Nazis im nachhinein als misslich empfunden haben muss, denn in den Schwarzen Heften entwickelt der Philosoph Brumliks Auskunft nach vor allem Strategien, "seinen 'Irrtum' von 1933" als einen "nachsichtig zu behandelnden Schritt" darzustellen, etwa mit der Behauptung, die Deutschen seien nach dem Krieg Verfolgungen ausgesetzt, gegen die der Holocaust harmlos erscheine.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 01.04.2015

Bei den "Schwarzen Heften" handelt es sich nicht um eine historisch-kritische Edition, die jede Änderung oder Verwerfung festhalte, sondern um eine "Ausgabe letzter Hand", betont Dirk Pilz, Heidegger wollte diese Hefte genau so veröffentlicht sehen. Das ist dem Rezensenten wichtig, weil diese Hefte in seinen Augen deutlich machen, dass Heideggers Philosophie nicht von seinem antisemitischen Denken zu trennen ist: Die angebliche Fehlentwicklung der Menschheit zu einem technischen "Sein" ist bei Heidegger untrennbar verbunden mit dem "rechnenden Denken" der Juden, das nötige dynamische "Seyn" ist von den Nationalsozialisten leider nicht wie erhofft ins Werk gesetzt worden. Was Pilz aber wundert: Warum wurde bei den ersten Bänden dieser Ausgabe die Abkürzung "N.soz." von den Herausgebern als "Naturwisschenschaft" gelesen?

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.03.2015

Auf die im vergangenen Jahr erschienenen "Schwarzen Hefte" Martin Heideggers aus den Jahren 1931 bis 1941 folgen nun unter dem Titel "Anmerkungen" jene aus den Jahren 1942 bis 1948, verkündet Rezensent Thomas Meyer und rät, diese in ihrer chronologischen Abfolge zu lesen. In den nun vorliegenden Aufzeichnungen lässt sich der Rezensent von Heidegger ganz in "Hölderlin-Stimmung" versetzen und folgt der direkten Linie, die der Philosoph zwischen sich und dem romantischen Dichter zeichnet und liest. Vor allem aber lernt der Kritiker in diesem ganz auf Bezüge zu anderen Schriften verzichtenden Band den Heidegger kennen, der im Nachkriegsdeutschland Erfolge feiern konnte, den Heidegger, der die Sanfheit des "Seynsdenkens" feiert, und den Heidegger, der ein Jenseits der Wahrheit findet, an dem auch dem deutschen Publikum jener Zeit gelegen gewesen sein mag. Und Meyer warnt: Nichts in dem Buch ist zufällig. "Nein, Heidegger hat sich gerade dort unter Kontrolle, wo er Perversitäten mit der Lockerheit des Denkers ausspricht."
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 21.03.2015

Mit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte kann die kritische Heideggerforschung im Grunde jetzt erst in die Vollen gehen, weiß Markus Gabriel, und angesichts der Aussagen, die der Rezensent in den "Anmerkungen I-V" gefunden hat, sollten auch jene Schulen, die seitdem stark von Heideggers Denken beeinflusst wurden, noch einmal genau den Zusammenhang zwischen dem philosophischen und dem politischen Denken in Augenschein nehmen, findet Gabriel. Denn für Heidegger führten sich die Nationalsozialisten unter Hitler nur "alsbald kleinbürgerlich als verunglückte Cäsaren" auf und verrieten damit jene "Weltmacht des Denkens", die der eigentliche Nationalsozialismus anstrebe, erklärt der Rezensent. Die auf den Krieg folgende Begrenzung der "Offenheit der Welt fürs Nachdenken" sei in Heideggers Augen ein größeres Verbrechen gewesen als die Konzentrationslager, womit er kein eigentlich moralisches Urteil fällen wollte, weil die Moral ohnehin überholt sei, wo es um das "Un-menschliche" und das "Geschick" gehe, fasst Gabriel irritiert zusammen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.03.2015

Brutalität geht oft mit Larmoyanz einher - hierüber weiß Jürgen Kaube einiges zu berichten, nachdem er sich durch den vierten Band der "Schwarzen Hefte" gequält hat. Sein Schluss ist vernichtend: "Komplette Unfähigkeit zur Reflexion" diagnostiziert er bei Heidegger, sowie "kompletten Verlust seiner philosophischen Urteilskraft". Liest man Kaubes Ausführungen, wird man nicht umhin können, dem harten Urteil zuzustimmen. Nachdem Heidegger von den KZs erfahren hat, dichtet er nicht nur selbstverliebten Quatsch von dem "Schied als der fügenden Fuge der äußersten Freye zur Innigkeit des Selben Selber". Er beklagt auch den "Lärm um das Umkommen der vielen" und redet sich den Holocaust in einer obszönen Wendung als den Kampf des "wesenhaft Jüdischen" (nämlich der technischen Moderne) gegen das Jüdische schön. Bleibt eigentlich nur noch Kaubes Eingangsfrage: "Heidegger und kein Ende?"
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