Klaus Bergdolt

Das Gewissen der Medizin

Ärztliche Moral von der Antike bis heute
Cover: Das Gewissen der Medizin
C.H. Beck Verlag, München 2004
ISBN 9783406521928
Gebunden, 377 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Fragen der Medizinethik rücken zunehmend in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Während Philosophen, Theologen, Politiker, Journalisten, Ärzte und Naturwissenschaftler den aktuellen Diskurs in der Bioethik nachhaltig beeinflussen, wurden medizin- und kulturhistorische Argumente bisher kaum berücksichtigt. Zwar war das Ethos der Ärzte und Naturforscher niemals einheitlich, doch lassen sich seit frühester Zeit, ungeachtet aller Diskontinuitäten und Brüche, charakteristische Argumentationsmuster aufzeigen. Auch wird die Brisanz mancher aktueller Probleme wie etwa der gesundheitsökonomischen Wertung von Lebensqualität oder der Diskussion über die Euthanasie in ihrer ganzen Dimension erst im Rückblick verständlich. Klaus Bergdolt ruft in Erinnerung, dass es für komplizierte medizinethische Fragestellungen kaum Lösungen ohne Widersprüche und legitime Gegenargumente geben kann. Oft genug war die Menschenwürde gerade dann in Gefahr, wenn Forscher, Politiker und wissenschaftlich geprägte Ethiker dem "gesunden Menschenverstand" folgten. Die Geschichte der medizinischen Ethik mahnt zur Toleranz, aber auch zu Vorsicht und Wachsamkeit.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.02.2005

Im 15. Jahrhunder entwarf der Medizinprofessor Gabriele Zerbi einen einflussreichen Wertekanon für Ärzte, der "solide Fachkenntnisse, ständige Weiterbildung und einen vorbildlichen, fast priesterlichen Lebenswandel" als Berufsbedingungen vorsah. Der Historiker Klaus Bergdolt zeigt in seiner Studie, wie der Ärztestand mal nach Verwirklichung solcher Ideale strebte, dann aber auch zum ausführenden Organ von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde. Dies war besonders dann der Fall, wenn nicht das Individuum, sondern das "Wohl des Staates im Vordergrund" stand: Eugenik, Euthanasie und andere Maßnahmen zur Herstellung der "Volksgesundheit" waren die Folgen. Redlich, weil populären Einseitigkeiten zuwider laufend, findet es der Rezensent Christian Weymayr, dass auch "Mahner und Zweifler" wie Georg Christoph Lichtenberg "zu Wort kommen". Kurzum: Es handelt sich um "ein verständlich geschriebenes Sachbuch, das dem Leser Informationen auf höchstem wissenschaftlichem Niveau bietet."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.01.2005

Der "gute Professor Brinkmann" aus der "Schwarzwaldklinik" ist in der Geschichte der Medizin eher die Ausnahme denn die Regel, stellt Rezensent Alexander Kissler nach der Lektüre des neuen Buches von Klaus Bergdolt fest und lobt die "klug geordnete", "flüssig referierte" Faktensammlung des Medizinhistorikers. "Gestützt auf ein kaum zu bändigendes" Detailwissen hat er die Heilkunst von Platon bis Peter Singer beschrieben und damit ein "herkulisches Werk" hervorgebracht, findet Kissler. Die "systematische Ermordung von Menschen, für die heute der Name Auschwitz steht", habe in "ärztliche geleiteten Pflegeheimen" begonnen, zitiert er einen zentralen Satz Bergdolts, der sich als "fundamentale Beunruhigung" und "Denkantrieb" durch das ganze Buch ziehe. Von Platons Philosophenstaat, der eine "Diktatur der Gesunden" bedeutet hätte, über Leibniz' Träume einer Gesundheitspolizei bis zu Luthers Ratschlag, geistig behinderte Babys zu ertränken, zeige Bergdolt, wie in der Theorie dem vorgearbeitet wurde, was unter den Nazis Praxis war. Dennoch spreche der Autor nicht von der Kontinuität einer "unheilvollen Tradition" und erliege somit nicht der Gefahr, "mit dem Finalismus auch den Fatalismus zu bedienen". Der eigentliche Bruch liege nach dieser Lesart vielmehr im 18. Jahrhundert, in dem eine "genuin naturwissenschaftliche Medizin" entstanden sei.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.01.2005

Der Rezensent mit dem Kürzel "upj" ist beeindruckt davon, welche Parallelen zur heutigen bioethischen Debatte sich in diesem historischen Abriss über das Image von Medizinern in der Öffentlichkeit entdecken lassen und fragt in diesem Zusammenhang, wieso in der gegenwärtigen Debatte die Geschichte nicht stärker reflektiert wird. Der Autor Klaus Bergdolt zeigt nach Meinung des Rezensenten "die ärztliche Moral nicht im Sonntagsgewand, sondern so, wie sie wohl war: reichlich besudelt, blutend und einer eigenen Standesethik bis ins 19. Jahrhundert vehement ausweichend". Die historische Literatur lässt jedenfalls nach Beobachtung des Rezensenten wenig Zweifel daran, dass der Blick auf den Stand der Mediziner schon immer von einer gewissen Skepsis begleitet war.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.10.2004

Dass sich Ärzte bisweilen in erster Linie als Unternehmer fühlen ist kein Phänomen der Gegenwart. Rezensent Robert Jütte berichtet in seiner Besprechung von Klaus Bergdolts Geschichte der ärztlichen Ethik, dass es in der Renaissance Stimmen im ärztlichen Lager gab, "die es nicht als ehrenrührig ansahen, wenn ein Arzt als Geschäftsmann handelte und sein Ethos am Erfolg orientierte". Bergdolt behandle aber nicht nur die pekuniäre Seite des Arztberufes und ihre ethische Problematik, er verdeutliche auch, dass viele der aktuellen medizinethischen Fragen, das Thema Sterbehilfe etwa, bereits früher diskutiert wurden. Verständlich findet es Jütte, dass die behandelten Zeitabschnitte umso kürzer werden, je weiter Bergdolt in der Geschichte der ärztlichen Moral voranschreitet. Schließlich ist über den Nürnberger Kodex von 1947 und seine Vorgeschichte bereits viel geschrieben worden, meint der Rezensent, "während die älteren, nicht weniger interessanten moralischen Grundsatzdebatten unter Ärzten es verdienten, wieder ins Bewusstsein gerufen zu werden."
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