Karl Schlögel

Das sowjetische Jahrhundert

Archäologie einer untergegangenen Welt
Cover: Das sowjetische Jahrhundert
C.H. Beck Verlag, München 2017
ISBN 9783406715112
Gebunden, 912 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Mit 86 Abbildungen. Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel lädt mit seiner Archäologie des Kommunismus zu einer Neuvermessung der sowjetischen Welt ein. Wir wussten immer schon viel darüber, wie "das System" funktioniert, weit weniger über die Routinen des Lebens in außer gewöhnlichen Zeiten. Aber jedes Imperium hat seinen Sound, seinen Duft, seinen Rhythmus, der auch dann noch fortlebt, wenn das Reich aufgehört hat zu existieren. So entsteht, hundert Jahre nach der Revolution von 1917 und ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion, das Panorama eines einzigartigen Imperiums, ohne das wir "die Zeit danach", in der wir heute leben, nicht verstehen können.
Karl Schlögel ist dabei, wenn die Megabauten des Kommunismus eingeweiht und die Massengräber des Stalin'schen Terrors freigelegt werden. Er interessiert sich für Paraden der Macht ebenso sehr wie für die Rituale des Alltags, er erkundet die Weite des Eisenbahnlandes und die Enge der Gemeinschaftswohnung, in der Generationen von Sowjetmenschen ihr Leben zubrachten. Die Orte des Glücks und der kleinen Freiheit fehlen nicht: der Kulturpark, die Datscha, die Ferien an der Roten Riviera. In allem - ob im Mobiliar, im Duft des Parfums oder der Stimme des Radiosprechers - hat das "Zeitalter der Extreme" seine Spur hinterlassen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.02.2018

Barbara Kerneck hofft, die Lektüre von Karl Schlögels Buch möge nie enden. Derart zieht sie Schlögels subjektives Staunen über sowjetische Verhältnisse rein. Was dem Osteuropa-Historiker seit den 60er Jahren in der Sowjetunion begegnet ist und was er hier unter der Rubrik "Sachkultur" versammelt, Überlegungen zu Müll, zu Toiletten, zur Moskauer Haute Couture, Eierspeisen, Wohnheimen, die Datscha, die Straflager verblüfft Kerneck durch die Akribie der Recherche und ihre Summe, die laut Kerneck nicht weniger als ein Museum der sowjetischen Zivilisation ergibt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.01.2018

Ulrich M. Schmid ist fasziniert von Karl Schlögels lyrischem Blick auf die Geschichte Osteuropas. Schlögels neues Buch sieht er als enzyklopädische Summe seiner Forschungsarbeit über das kommunistische Russland. Poetisch daran sind für ihn Schlögels persönliche Einlassungen zur russischen Festkultur, Architektur, Kohlsuppe. Sinnlich und über den Umweg der Biografie des Verfassers "höchste" Objektivität erlangend sind Schlögels Reisberichte für Schmid, ambivalent in ihrer Faszination für Land und Leute und der Darstellung gnadenloser Zwangsarbeit. Ein unerklärbarer Rest vom "sowjetischen Jahrhundert" bleibt auch nach dieser Lektüre, meint Schmid erschaudernd.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.2017

Kerstin Holm merkt, dass die Sowjetunion für den Autor eine "bittere" Herzensangelegenheit ist. Wie akribisch Karl Schlögel sammelt, was der Sowjetkommunismus übrigließ, erfüllt sie mit Rührung und Respekt. Spannend findet Holm Schlögels "archäologische Enzyklopädie" auch, durch die sie der Autor wie ein Vergil liebevoll und mit scharfem Kamerauge geleitet. Erdrückend wird die Totalität des Dargestellten für Holm nie, weil der Autor sein Wissen in Themenblöcke gliedert und weiterführende Lektüre empfiehlt, was das Buch laut Rezensenten zum Nachschlagewerk macht. Am charmantesten findet sie das Buch, wenn Schlögel mit Hilfe von Fotos und Grundrissen die untergegangene Alltags- und Konsumkultur der Sowjetunion rekapituliert.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2017

Rezensent Michael Thumann kann die Sowjetunion geradezu riechen und spüren in Karl Schlögels wie er findet brillantem Porträt einer untergegangenen Welt. Überhaupt scheint der Osteuropa-Historiker das Buch für "literarische Gourmets" geschrieben zu haben, fährt der Kritiker hymnisch fort: Fasziniert liest er sich immer wieder fest in dem keiner erkennbaren Ordnung folgenden Werk, nimmt Platz in der "Kommunalka", jener Gemeinschaftswohnung, in der verschiedene Familien in jeweils einem Zimmer lebten und meist wenig voneinander wussten, aber alles voneinander hörten, oder reist mit dem Autor an "Kultstätten" der sowjetischen Industrialisierung. So lernt Thumann etwa das Leben in der Industriestadt Magnitogorsk kennen, bewundert, wie geschickt Schlögel historische Analyse und Reisereportage verknüpft und lernt ganz nebenbei alles über die Bedeutung der Toilette oder des Telefons in dem repressiven System. Dass der Autor sein monumentales Werk nicht mit einem analytischen Fazit enden lässt, ist für Thumann ein Gewinn: Zumindest deutsche Leser werden in diesem Buch ein "imaginäres Museum" der Sowjetunion vorfinden, versichert er.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.10.2017

Rezensent Jens Bisky sieht in diesem gewaltigen Buch einen ersten Schritt hin zu einem "Museum der Sowjetzivilisation". Anders kann er nicht beschreiben, was der Historiker Karl Schlögel hier leistet. Denn Schlögel macht sich daran, das Bild der Sowjetunion neu zusammenzusetzen, erklärt Bisky, wobei er die Haupt- und Staatsaktionen als bekannt voraussetzt. Schögel schreibt über das Leben der Menschen, das Überleben. Er erzählt vom Gulag und vom Terror, natürlich, aber auch vom Parfüm "Rotes Moskau", vom Wohnen in der Kommunalka, vom Bau des Weißmeer-Otsee-Kanals. In sechzig einzelnen Studien widmet sich Schögel den Facetten des neuen sowjetischen Lebens, hoch reflektiert, wie Bisky versichert, mit "unsentimentaler Menschenliebe" und einem Sinn für das Konkrete und Anschauliche, der seinesgleichen sucht, wie der tief beeindruckte Rezensent erkennt.
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