Judith Hermann

Daheim

Roman
Cover: Daheim
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
ISBN 9783103970357
Gebunden, 192 Seiten, 21,00 EUR

Klappentext

Judith Hermann erzählt in ihrem neuen Roman "Daheim" von einem Aufbruch: Eine alte Welt geht verloren und eine neue entsteht.Sie hat ihr früheres Leben hinter sich gelassen, ist ans Meer gezogen, in ein Haus für sich. Ihrem Exmann schreibt sie kleine Briefe, in denen sie erzählt, wie es ihr geht, in diesem neuen Leben im Norden. Sie schließt vorsichtige Freundschaften, versucht eine Affaire, fragt sich, ob sie heimisch werden könnte oder ob sie weiterziehen soll. Judith Hermann erzählt von einer Frau, die vieles hinter sich lässt, Widerstandskraft entwickelt und in der intensiven Landschaft an der Küste eine andere wird. Sie erzählt von der Erinnerung. Und von der Geschichte des Augenblicks, in dem das Leben sich teilt, eine alte Welt verlorengeht und eine neue entsteht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.09.2021

Erst haben alle vom Großstadtleben geschrieben, jetzt sind Dorfromane das große Ding, meint Rezensentin Julia Encke mit Blick auf Juli Zeh, Judith Hermann und Angelika Klüssendorf. Doch egal ob Stadt oder Land, es scheint dabei immer um das eigene Leben zu gehen: von den Mittelstandsoasen in der Stadt zu den Mittelstandsoasen in der Provinz ist es ja eigentlich auch nur ein kleiner Schritt, denkt sich die Rezensentin und gähnt. Die Ur-Dorfbewohner sind dabei oft nur Staffage, klagt sie, wie bei Juli Zeh, die sie als herzerwärmende Exoten beschreibt. Die großstadtflüchtigen Protagonisten wiederum flüchten in die reine Innerlichkeit, wie bei Judith Hermann. Der Rest versinkt in "Dorfliteraturtopoi" wie bei Angelika Klüssendorf, so die angeödete Rezensentin, die sich endlich wieder mehr Welt wünscht in der deutschen Literatur. Vielleicht mal eine Reise?

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.05.2021

Für Rezensent Christoph Schröder zeigt sich Judith Hermann mit ihrem neuen Roman auf der Höhe ihres erzählerischen Schaffens und auf der Höhe der Zeit. Dafür steht für ihn nicht nur das Thema des Transits, das die Handlung durchzieht, sondern auch die Ambivalenz der Figuren und ihre Untergangsängste. Richtig gut gefallen Schröder die Leerstellen und Lücken im Text, in der Geschichte der Figuren und in der Handlung, die durch Zeiten und zwischen Orten springt. Ebenso spannend scheint ihm, dass in den Dialogen immer Ungesagtes mitschwingt und Hermann ein Netz webt zwischen "Landschaft, Figuren, Erinnerungen und Dingwelt". Die Atmosphäre im Buch und seine "hochinteressanten" Figuren und überraschenden Figurenkonstellationen nehmen Schröder durchweg gefangen und regen ihn an zu existenziellen Fragen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 30.04.2021

Judith Hermanns Roman ist weder so behaglich, wie er klingt, noch so simpel, wie er scheint, meint Rezensentin Judith von Sternburg. Er erzählt von einer 47-jährigen Frau, die ihren Mann verlassen hat und zu ihrem Bruder ans Meer zieht; dabei geht es um zu leere und zu volle Räume, um wenig entscheidungsfreudige Frauen und um noch weniger entscheidungsfreudige Männer, so von Sternburg. Dass die Autorin dabei den Ball stilistisch mit Hauptsätzen und "Wortaskese" sehr flach hält, täuscht, erkennt von Sternburg, denn unter der kargen Oberfläche habe der Roman es in sich: Lauter lakonischen "Knalleffekten" und aktuellen gesellschaftspolitischen und ökologischen Fragen begegnet die Kritikerin, wobei aber alles unbeantwortet bliebe und auf nichts Verlass sei - was die Kritikerin gleichermaßen "meisterlich" wie "kaum auszuhalten" findet. Wer klare Antworten sucht, soll lieber zu Juli Zehs "Über Menschen" greifen statt zu diesem Roman mit "fabelhaftem Auftakt" und "penetrant sinnigen" Ende, schließt die begeisterte Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.04.2021

Für Rezensentin Marie Schmidt findet Judith Hermanns Stil in diesem Roman nicht nur zu sich selbst, die Figuren sind auch endlich erwachsen und der literarische Existenzialismus der Autorin, die affektfreie Parataxe, ist so deutlich und präzise wie nie und zeigt sich als Stil der Stunde. Erkennbar ist das für Schmidt vor allem in der "Gewaltgeschichte" um Massentierhaltung und Klimawandel, die sich hinter der Leben-auf-dem-Lande-Geschichte im Buch zu erkennen gibt. Hier klingt Hermann wie ein Günter Eich der Gegenwart, stellt die Rezensentin durchaus begeistert fest.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.04.2021

Rezensent Adam Soboczynski feiert Judith Hermann als "große Schriftstellerin". Beim Lesen wird man den Eindruck nicht los, er verortet sie jenseits von Gut und Böse. Der neue Roman jedenfalls scheint ihm ganz undeutbar, ja unangreifbar in seiner arglos fragenden, poetischen, ganz und gar gesellschaftsunkritischen Art. Das Buch ist für ihn weder Sachbuch noch Schlüsselroman, hat fast keinen nennenswerten Plot und will nichts und niemand erlösen. Am ehesten ist es für ihn ein Metaroman, ganz leicht und ganz groß, aber auch von burlesker Komik, wenn es von Einfalt und Größe des Bauerndaseins erzählt. Eines ist Hermanns Erzählen laut Rezensent auf keinen Fall: schwermütig.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.04.2021

Rezensent Tilman Spreckelsen fühlt sich als Leser von Judith Hermanns neuem Roman mitunter ein bisschen für dumm verkauft. Allzu sehr stößt ihn die Autorin mit der Nase auf allerlei symbolische Ebenen des Erzählten. Ansonsten scheint Spreckelsen sich gut zu unterhalten mit der Geschichte um eine Aussteigerin irgendwo an der friesischen Küste, um Nixensagen und die Suche nach dem eigenen Raum im Leben. Vor allem wenn die Deutung des Erzählten ins Schlingern kommt, findet Spreckelsen das Buch stark.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.04.2021

Rezensent Roman Bucheli bewahrt sich mit Judith Hermann seinen Glauben an die Literatur, wie er in seiner Hymne auf ihren neuen Roman feinsinnig schreibt: Wenn die Magie auf uns nicht mehr wirke, liege es nicht an der schwindenen Kraft der Zauberer, sondern höchstens an dem Unwillen junger Assistentinnen, sich ein uns andere Mal in einer Holzkiste zersägen zu lassen. In "Daheim" erzählt Hermann von einer jungen Frau, die ihre Karriere als Zauberassistentin schon vor Jahrzehnten an den Nagel gehängt hat und nun mit Kind und etwas versponnenem Ex-Mann an der rauen Küste lebt. Bucheli liebt die Figuren, die Hermann in diesem wie in ihren anderen Romanen durch verborgenen Kräfte umeinander kreisen lässt, ihre leise Verzweiflung und ihre "unerschütterliche Tapferkeit". Die Kraft ihrer Sprache, glaubt der hingerissene Rezensent, zieht Hermann aus der Fähigkeit, das Interessen an den Menschen nicht zu verlieren.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.04.2021

"Was für ein schöner, in sich verschlungener Roman", jubelt Rezensent Carsten Otte. Der Kritiker sieht Hermann hier ganz auf der Höhe ihrer Kunst: Der Ton der "Dauermelancholie" ist einem gesunden Maß und einem Mix verschiedener Sounds gewichen, die einzelnen Handlungsstränge sind gekonnt gesponnen und die reduzierten Metaphern können ihre volle Wirkung entfalten, lobt er. Und so folgt Otte in diesem Familienroman nicht nur der Erzählerin, der ehemaligen Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik, die nach dem Auszug der Tochter ihren Mann zurücklässt, um in der norddeutschen Provinz Einsamkeit und sich selbst zu finden, sondern auch vielen anderen skurrilen Figuren, etwa Nike mit den schlechten Zähnen, die von ihren Eltern in Kisten gesperrt wurde. Hermann vermag es, alle Figuren, alle Fäden gekonnt zu verknüpfen und die verschiedenen Motive des Romans - die Suche nach Heimat oder das Verhältnis von Nähe und Distanz - herauszuarbeiten, versichert Otte. Und die Mischung aus Grusel, "Schockmomenten" und "Liebesvolten" haut den Rezensenten endgültig um.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 28.04.2021

"Betörend" nennt Rezensentin Maike Albath den neuen Roman von Judith Hermann, dem sie eine "hypnotische Wirkung" attestiert. Sie folgt hier einer 47-jährigen Ich-Erzählerin im "Verpuppungsstadium", die nach der Trennung von ihrem Mann in der ostfriesischen Einöde die Einsamkeit sucht, "Melancholie und Freiheitsrausch" erlebt und auf eine Vielzahl liebenswerter Figuren trifft. Wie Herrmann in knappen, präzisen Sätzen die "spröde Schönheit" der Landschaften, quiekende Schweine, tickende Uhren und schließlich den "Zustand des Dazwischen" einfängt, ringt der Kritikerin höchste Anerkennung ab.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.04.2021

Rezensent Tobias Rüther entdeckt im neuen Roman von Judith Hermann den guten alten Hermann-Sound, die exakte Lakonie und die fast nur skizzierten Figuren aus "Sommerhaus, später". Neben der Geschichte einer Frau um die 40 an der Küste, die auf ihr Leben zurückblickt, auf Versäumtes und Zufälle, stößt Rüther auf eine zweite Geschichte, in der es um den Konflikt des Menschen mit seiner Umwelt geht, um trockene Äcker und unglückliche Schweine. Für Rüther eine melancholische und beklemmende Lektüre.