Irene Heidelberger-Leonard

Jean Amery

Revolte in der Resignation
Cover: Jean Amery
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004
ISBN 9783608935394
Gebunden, 408 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

"Dorfidylle (1912-1924)" und "Zirkusgasse 48 (1924-1935)", so beginnt dieser biographische Bericht, der sich dann dem früh berufenen Schriftsteller und später dem eminent produktiven Journalisten Amery zuwendet. Das Leben und die Schrift, erlebte und beschriebene Realität lagen bei Amery dichter zusammen als sonst. Und so werden die Stationen dieses Lebens auch in subtilem, unauflöslichem Ineinander von Fakten und Werkzitaten vorgestellt: Der Auschwitz-Häftling, der die Folter überlebt hatte. Die frühesten Bewältigungsversuche und die Herausbildung des glänzenden Stilisten. Und, 1966, der Durchbruch mit der Veröffentlichung der Essaysammlung "Jenseits von Schuld und Sühne", die sich später mit "Über das Altern " und den "Unmeisterlichen Wanderjahren " zu einer autobiografischen Trilogie erweiterte. In ihr verschmolzen dis kursive Strenge, Eleganz des Stils und das Insistieren auf persönlicher Erfahrung zu einer faszinierenden Form, die Amery zu einem der führenden Intellektuellen werden ließ.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.01.2005

Andreas Dorschel ist von der Biografie Jean Amerys, die Irene Heidelberger-Leonard vorgelegt hat, die "erste überhaupt" über diesen wichtigen Autor wie der Rezensent betont, ziemlich enttäuscht. Kenntnis über Amerys Leben und Werk könnte Verständnis für das Europa des 20. Jahrhunderts wecken, doch das ist der Autorin mit ihrer Biografie in keiner Weise geglückt, wie Dorschel unzufrieden bemerkt. Seiner Ansicht nach liegt die Crux in dem Bemühen Heidelberger-Leonards, sämtliches Material und wirklich alle Personen, die Amerys Leben berührt haben, in ihrem Buch zu erwähnen, was sich in 450 Namen im Register niederschlägt, so der Rezensent entnervt. Es "misslingt" der Autorin dabei gründlich, den "Denkweg" im Leben des Schriftstellers nachzuzeichnen, beschwert sich der Rezensent, der sich zudem über abgedroschene Kapitelüberschriften" im Stil von "Im Westen viel Neues" und einen ihm unverständlichen "munteren Ton" der Biografin ärgert. Dazu kommen noch Einschübe in "germanistischer Renommierprosa", die Dorschel vollends verstimmen. Diese Lebensbeschreibung Amerys wird einem der "großen Zeugen des 20. Jahrhunderts" nicht gerecht wird, resümiert er.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.01.2005

Ludger Lütkehaus ist von der Biografie, die Irene Heidelberger-Leonard von Jean Amery vorgelegt hat sehr angetan und sieht ihren besondereren Verdienst darin, den Schriftsteller und Philosophen in all seinen Widersprüchen und Dissonanzen darzu stellen. Gleichzeitig zeige die Autorin aber auch, welche "existenzielle und philosophische Logik" hinter dem Leben Amerys stand, das 1978 im Freitod endete, lobt der Rezensent beeindruckt. Das allgemein verbreitete Bild von Amery als "eindrucksvoll beredten Großessayisten" über Themen wie "Folter", das "Alter" und den "Freitod" versucht Heidelberger-Leonard zwar nicht zu "korrigieren", aber sie "vertieft" es nicht unerheblich, stellt der Rezensent zufrieden fest. Auch ihren Standpunkt, dass Amery sich das Leben nahm, weil er als "Dichter" gescheitert war, findet der Rezensent bedenkenswert und er meint, dass die Autorin zu Recht die "immense Bedeutung der Literatur" neben der Philosophie für Amery betont.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.07.2004

Zeitlebens hat sich Jean Amery, in Wien als Hans Mayer geboren, nur zum Teil verstanden gefühlt, erzählt Rezensent Karl-Markus Gauß. Nach langen Jahren der journalistischen Tagesarbeit gelangte Amery mit seinem Essayband "Jenseits von Schuld und Sühne", der sich als "Phänomenologie der Opfer-Existenz" begreift - und insbesondere mit dem Aufsatz zur "Folter" Furore machte - zu Ruhm. Fortan wurde er freilich vor allem als der Autor gesehen, der Auschwitz und Bergen-Belsen entkommen war. Dass Amery, der sich zu Recht als sehr viel weiter ausgreifender Denker, aber auch als literarischer Autor verstand, unter dieser einseitigen Sichtweise litt, das macht, so Gauß, diese Biografie sehr deutlich. Die Autorin, die auch die im Entstehen begriffene Werkausgabe herausgibt, nähere sich Amery mit "Geduld" und "Intelligenz". Das von ihr gesammelte Material aus den letzten Lebensjahren ermöglicht es zudem, so Gauß, den stets als Spätwirkung von Auschwitz verstandenen Freitod in etwas anderem Licht zu sehen. Kurz gesagt: Eine "überzeugende" Biografie.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.06.2004

Erstmals liegt eine umfassende und, wie Jan Süselbeck schreibt, wunderbare Biografie des Publizisten Jean Améry vor, dessen autobiografischer Essay "Jenseits von Schuld und Sühne" aus dem Jahr 1966 ihn über Nacht berühmt und zu seinem Leidweisen zum "Parade-Opfer" und "Berufs-Auschwitzer" machte. Die Verfasserin ist Literaturprofessorin in Brüssel und betreut zugleich die laufende Werkausgabe der Schriften Jean Amérys, teilt Süselbeck mit. Ihre Biografie zeichne die Geschichte eines Außenseiters nach, der sich nach dem Krieg als Journalist zu etablieren versuchte. Erst nach Beginn des Auschwitz-Prozesses habe Améry seine politische Zurückhaltung aufgegeben und sich offen zu seinem Ressentiment bekannt, das ihm eine Aussöhnung unmöglich gemacht hätte, so Süselbeck. Damit gehörte er zu den schärfsten Kritikern der These Hannah Arendts von der "Banalität des Bösen", erläutert der Rezensent weiter, auch die um Verständnis ringende Position Primo Levis habe Améry abgelehnt. Gerade seine unversöhnliche Haltung prädestinierte Améry zum Garanten politischer Correctness, schreibt Süselbeck, eine Rolle, die ihm gar nicht lieb gewesen sei. So schaffte er zwar den Sprung in die Medien als politischer Essayist, wurde aber als Prosaautor und Romancier weitgehend ignoriert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.05.2004

Horst Maier bemerkt zunächst, dass es "noch nie so still" um den Schriftsteller Jean Amery gewesen ist wie zur Zeit und er begrüßt deshalb nachdrücklich die Biografie von Irene Heidelberger-Leonard, die er als große Kennerin Amerys preist. Eingehend referiert er die Lebensgeschichte des Schriftstellers, der nach Gestapo-Folter und Auschwitzhaft zeitlebens unter den Folgen litt. Dennoch mache die Autorin in ihrer Biografie unmissverständlich deutlich, dass "Tod und Selbstmord" auch vorher schon das Schreiben Amerys beherrscht haben, hebt Meier zustimmend hervor, der damit mit einem bekannten "Kurzschluss" in der Rezeption von Amerys Werken aufgeräumt sieht. Er lobt die Biografie als "sorgfältig recherchiert" und stellt angetan fest, dass durch die Auswertung bisher nicht gesichteter Quellen neue Erkenntnisse möglich werden, die selbst eingeschworenen Amery-Begeisterten noch Neues zu bieten haben. Wenn die in der Lebensbeschreibung immer wieder eingeschobenen Textinterpretationen auch mitunter etwas "seminaristisch" daherkommen, wie der Rezensent sanft kritisiert, so sind sie dennoch "stets erhellend" und dem Autor angemessen. Bei aller "Bewunderung" für Amery gelingt es Heidelberger-Leonard dennoch stets, die "Distanz" zu wahren, bemerkt der Rezensent eingenommen. Er preist das Buch als regelrechten "Glücksfall" und hofft, dass es dazu führt, diesen Schriftsteller wieder zu lesen oder sogar "ganz neu zu entdecken".