Hermann Peter Piwitt

Jahre unter ihnen

Roman
Cover: Jahre unter ihnen
Wallstein Verlag, Göttingen 2006
ISBN 9783835300828
Gebunden, 126 Seiten, 16,00 EUR

Klappentext

Als Architekt hat der Bruder ein Leben lang gearbeitet, bevor er "auffällig" wird. Er fälscht Urkunden, überzieht Gerichte mit Klagen, veruntreut Gelder und vertreibt Gerichtsvollzieher mit dem Jagdgewehr. Und weder Banken, Versicherungen, Gläubiger und Behörden noch Richter und Staatsanwälte entnehmen seiner Post die einfache Botschaft, nämlich, dass er längst den Verstand verloren hat. Im Gegenteil, die Regeln, nach denen sie den Fall verwalten, tragen selbst Züge des Wahnsinns. Aus einem halben Dutzend Pappkisten mit Briefschaften rekonstruiert der Erzähler die letzten Lebensjahre des Mannes, der von Kindheit an ein glühender Verehrer Friedrichs des Großen von Preußen gewesen ist und bis zuletzt hofft, etwas Rettendes wie das "Mirakel des Hauses Brandenburg" von 1763 könne auch ihm widerfahren. Der Bruder stirbt an Alzheimer. Seine letzten Klagen gelten dem Staat, dem "kommunistischen" Pfleger, der Forstwirtschaft. In einem fremden Land lebt der Erzähler weiter. Hier ist Arbeit "Mangelware", und in hohem Ansehen steht, wer sie "schafft". Eine Architektin entscheidet sich für ein besseres Leben: als Taxifahrerin. Eine Liebe geht zu Ende und lässt den Erzähler verwüstet zurück. In einem Dorf im Süden freundet er sich mit einer geisteskranken Frau an. Es ist Sommer und Nacht, als auch er das Pferd umarmt. In der einen Welt kommt nur, wer Geld hat, überall hin, aber nicht mehr raus.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.03.2007

"Hellsichtig" wie kaum ein anderer in jüngster Zeit sei dieser Roman von Hermann Peter Piwitt, der sich erneut als "stilistischer" Meister der Ausweglosigkeit zeige. Rezensentin Katrin Hillgruber erinnert an die anderen Bücher des Autors, in denen sich die Helden ebenfalls mit einer "katastrophalen" Realität, die immer politisch verstanden sei, auseinander setzen müssten. Früher sei Realitätsverweigerung eine Antwort gewesen, dieses Mal die Flucht in den Wahn, Friedrich der Große zu sein. Der Erzähler, so die Rezensentin, berichte aber nicht allein von dem in diesem Wahn befangenen Bruder, er begegne bei seinen "Streifzügen" durch Hamburg auch anderen tragischen Gestalten zugleich mit eigenen Erinnerungen. Letztere seien für den "melancholischen Furor" verantwortlich, in dessen Zeichen der Roman geschrieben sei. "Jahre unter ihnen" versteht sie als eine "Anklageschrift" an die Gegenwart mit gelegentlichen tragikomischen "Glücksmomenten", auf den Leser jedenfalls warte eine intensive Erfahrung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2006

Höchstes Lob vergibt Hans Christoph Buch für das nur 126 Seiten zählende "Opus magnum" des 1935 geborenen Hamburgers Hermann Peter Piwitt, der in gebotener Kürze einen Romanessay als Quintessenz seines Lebens und Werkes geschrieben habe. Sprachlich an Beckett und Celine geschult, stelle Piwitts Kurzwerk auch eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, den Hierarchien der Gesellschaft und dem "so genannten Ernst des Lebens" dar. Dies alles nimmt der Autor aufs Korn oder zeige ihm die kalte Schulter. Ohne Illusionen endet das schmale Werk, fast wahnwitzig: ähnlich wie Nietzsche umarme der Erzähler ein weißes Pferd, oder suche nach einem ähnlich absurden Grund des Untergangs. Ein "kleines, großartiges Buch, das viele redselige Romane junger Autoren alt aussehen lässt", so der Rezensent.