Helene Cixous

Meine Homère ist tot...

Cover: Meine Homère ist tot...
Passagen Verlag, Wien 2019
ISBN 9783709203248
Gebunden, 208 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Peter Engelmann. Aus dem Französischen von Claudia Simma. Bis zum letzten Wort hat Eve die Odyssee ihres Sterbens schon in die drei Hefte diktiert, aus denen H. dieses Epos hier abschreibt. Unverhoffte Hilfe findet sie dabei in Eves eigenen Heften aus ihrer Ausbildungszeit als Hebamme: Geburt ohne Schmerzen.Eve macht H. zur Mutter des 103 Jahre alten Kindes, das sie geworden ist. Nach dem entscheidenden Angriff der Armeen des Todes am 13. Januar ist medizinisch zum Leben nichts mehr da. Aber Eve ist das Leben selbst. Mit Hilfe der Hefte tastet sich das Buch durchs eisige Dunkel der geweiteten Zeit. Zu spät, durch das blinde Jenseits der überzähligen Wochen, lange nachdem die letzte Stunde eigentlich geschlagen hat. Eve auf dem Rücken, in ihrer Barke für immer, erfindet für H. ein Sterben, das ein Bleiben ist. H. auf den Knien, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite des Pflegebetts, treidelt im Schlamm der Zeit ohne Datum. Jeden der zahllosen Tode hebt sie auf, jedes Gesicht und jeden der letzten Momente, den letzten Schluck Wasser, das letzte Wort, den letzten Kuss. Wie hätte sie heute zu sprechen vermocht, hätte sie nicht die Spalte von Mamans noch lauen Lippen mit ihren Lippen versiegelt, hätte sie nicht ihren Mund auf Eves Mund gelegt um leidenschaftlich seine neue Kälte zu kosten?

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 02.11.2019

Barbara Vinken liest Hélène Cixous Bericht vom Sterben ihrer Mutter wie ein Tagebuch. Wie die Autorin mythische Epen wie die "Ilias" oder die "Odyssee" durch die Geschichte der Mutter neu erzählt, im hohen Ton, klagend, findet Vinken beeindruckend, zumal für sie so eine neue Sprache entsteht, die die Sprachlosigkeit der Mutter in ihrer Agonie ersetzt. Glanzvoll, wie das Leid der Mutter auf die Art wortgewaltig transzendiert wird, findet Vinken.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.09.2019

Rezensentin Verena Lueken unternimmt mit Helene Cixous eine dreijährige Odyssee zum Tod. Das Sterben der Mutter hat die dekonstruktivistisch geschulte Autorin dabei laut Lueken derart wuchtig und sprachlich gekonnt eingefangen, dass viel mehr dabei herauskommt als ein Sterbetagebuch: ein Abgesang, ein Bericht von den Rändern des Sagbaren. Der Verfall, das Bewusstsein davon und die Sprache dafür kommen auch nur nur zum Teil von der Autorin selbst, erklärt Lueken, vor allem aber ist es die Sterbende, die die Worte und Gedanken dafür findet, besser ergreift. Das geht bis in die Satzzeichen und ist für Lueken durchaus auch Zumutung in seiner Mischung aus Bildung und Bedeutung, Körperlichkeit und Theorie. Luekens besonderer Dank gilt daher der Übersetzerin Claudia Simmer dafür, den zeitlosen Raum des Sterbens auch im Deutschen vor dem Leser entstehen zu lassen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 31.08.2019

Rezensent Tobias Lehmkuhl liest vom Glück, eine Sterbende begleiten zu dürfen, in diesem Buch der französischen Autorin Helene Cixous. In einer Mischung aus Tagebuch, Trauergesang und "poetischem Text" erzählt ihm Cixous hier vom Sterben ihrer Mutter Eve, einer jüdischen Hebamme, die von Deutschland über London und Paris nach Algerien floh. Sie löst dabei die Rollen immer wieder auf, etwa wenn Cixous den assistierten Stuhlgang der Mutter wie eine Geburt schildert oder aus deren frühen Notizheften zitiert, erkennt der Kritiker. Auch wie die Autorin in Dialogen nach dem Tod der Mutter weiter mit dieser spricht, findet Lehmkuhl bemerkenswert. Vor allem aber bewundert er den "leichten und gesanglichen" Erzählton Cixous', den Claudia Simma mit viel Geschick ins Deutsche übertragen hat.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 15.07.2019

Maike Albath ist fasziniert von der Kraft, die Helene Cixous' Trauertagebuch prägt. Das Sterben ihrer Mutter beschreibt die Autorin laut Albath gedanken- und wortreich mit Geduld und Sinn für die Vielschichtigkeit der Erfahrung des Übergangs vom Leben zum Tod. Komische und tragische Momente, Erinnerungen und Passagen aus den Notizen der Mutter machen das Buch für Albath zu einem ergreifenden Zeugnis des eigentlich Unsagbaren.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.06.2019

Dieses Buch ist ein "kleines Wunder", jubelt ein gänzlich hingerissener Rezensent Joseph Hanimann, der sich trotz des traurigen Themas - Helene Cixous erzählt von den drei Jahren, die sie Verfall und Tod ihrer Mutter begleitete, nicht eine Seite von dem Buch lösen kann. Zum einen, weil Cixous in einer brillanten Mischung aus Schonungslosigkeit, "Intimität", Reflexion, Zartheit und Witz vom körperlichen Zerfall der Mutter, den Alltagssorgen, der Mutter-Tochter-Beziehung, aber auch den Gefühlen von Überdruss und Ungeduld zu erzählen weiß, dabei aber keinen "exhibitionistischen Leidensbericht" schreibt, wie der Kritiker vermerkt. Zum anderen, weil Cixous, in der Manier "dekonstruktivistischer" Gegenwartsliteratur, mit Referenzen spielt, "wortphonetische Nebenklänge" und "lexikalische Obertöne" mixt und auch die zeitliche Ebene im Roman so flirren lässt, dass der Rezensent unweigerlich an Marcel Proust denken muss. Und wie Claudia Simma den Text ins Deutsche bringt, etwa wenn sie Cixous' Sprachspielereien mit einer visuellen Träne im Text übersetzt, verschlägt dem Kritiker vollends den Atem.
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