Heiner Boehncke, Ferdinand Grimm, Hans Sarkowicz

Der fremde Ferdinand

Märchen und Sagen des unbekannten Grimm-Bruders
Cover: Der fremde Ferdinand
Die Andere Bibliothek, Berlin 2020
ISBN 9783847704287
Gebunden, 300 Seiten, 44,00 EUR

Klappentext

Von den Brüdern Grimm ist viel die Rede. Ihr Bruder Ferdinand, der ein eigenes Werk von Fabeln und Märchen zusammentrug, ist heute vergessen. Als "schwarzes Schaf" der Familie endete er als 55-Jähriger, elend und verlassen. Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz nehmen sich mit diesem Buch die unausgeleuchteten Winkel der Familie Grimm vor. Sie entdecken, nach dem "Malerbruder" Ludwig Emil, Ferdinand, den Unglücksraben der Märchen- und Sagensammlerfamilie. Ferdinand Grimm (geboren 1790 in Hanau und früh gestorben in Wolfenbüttel) war der bunte Vogel, ein scheckiger Unglücksrabe unter den sechs Geschwistern der Familie. Auf dem Gebiet der Literatur und Volkserzählungen zu reüssieren, war sein Wunsch und Ziel: Er sammelte und publizierte Märchen und Sagen, war ein großer Kenner der Schriftkultur seiner Zeit, schrieb wunderbare Briefe. Doch die "Brüder Grimm" blieben immer nur Jacob und Wilhelm. Ferdinand fehlte nicht nur der unbändige Lern- und Arbeitseifer seiner berühmten Brüder, ihm fehlte immer auch das Geld. Jacob und Wilhelm unterstützten ihn in einer Art repressiver Fürsorge. Sie gaben ihm Geld, aber ständig auch strenge, wenn nicht herablassende Ratschläge.
In seinem unglücklichen, eigenbrötlerischen Leben half er auch seinen Brüdern beim Zusammentragen von Sagen und Märchen. Er war ein umfassend orientierter Sammler, der auch - anders als seine Brüder - zu den Leuten ging und ihnen bei ausgedehnten Wanderungen zuhörte. Seine drei Anthologien veröffentlichte er unter verschiedenen Pseudonymen, wohl, um seinen Brüdern nicht ins Gehege zu kommen. So ist ein immenser, weitgehend unbekannter Schatz entstanden, aus dem in diesem Buch geschöpft wird. Es versammelt Sagen, Märchen, Briefe und andere Texte neben einem ausführlichen biografischen Essay, der dem "fremden Ferdinand" endlich Gerechtigkeit widerfahren lässt: Denn Ferdinand Philipp Grimm, der am Ende seines Lebens in die Bibliotheksstadt Wolfenbüttel gezogen war, brachte die Nähe der Bücher kein Glück.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 28.11.2020

Rezensent Matthias Heine findet die Familie Grimm noch interessanter seit Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz den wegen seiner Homosexualität und seines vermeintlichen Schlendrians von den "Übergeistern" Jacob und Wilhelm gescholtenen Bruder Ferdinand Grimm ins rechte Licht gesetzt haben. Vom Coming-out über Ferdinands literarisches Talent bis zu seinen Bemühungen um Sagen und Volkskunst klärt das Buch Heine auf, versammelt von Ferdinand auf Wanderungen durch Deutschland gesammelte Texte und lassen dieses unterdrückte Talent erkennen, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.10.2020

Eine sehr freundliche, freudige Besprechung widmet Jutta Person diesem Band, in dem die Arbeiten eines ebenfalls schriftstellernden Bruders der Brüder Grimm vorgestellt werden samt einer kundigen biografischen Skizze der Herausgeber. An beidem hat die Kritikerin sich ergötzt und bemerkt, dass der mit den älteren Brüdern Märchen sammelnde Ferdinand in seinen drei Märchenbänden mehr von der ursprünglichen Wildheit der Ur-Erzählungen vermittelte. Mit einigen Sprach-Kostproben aus dem vorliegenden Buch beglaubigt sie zudem die schriftstellerische Brillanz des Vogelkenners und -freundes, mit der er in einer Erzählung die biedermeierliche Familie Grimm satirisch aufs Korn nahm. Seinen Brüdern blieb er fremd, war vermutlich schwul, und die Kritikerin empört sich, wie ihm die älteren Brüder gönnerhaft und in kleinen Portionen sein Erbe auszahlten, und er verarmt in Wolfenbüttel starb. Sie wünscht sich dringend mehr biografische Forschung, denn vieles bleibt auch hier noch im Dunklen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2020

Rezensent Hubert Spiegel lernt den unbekannten der Grimm-Brüder kennen in Heiner Boehnckes und Hans Sarkowiczs Buch. Ferdinand Grimm, seine gesammelten Sagen und sein gespanntes Verhältnis zu den berühmten Brüdern kommen im Buch ausgiebig zur Sprache, so Spiegel, der nicht nur die Gestaltung des Buches schätzt, sondern auch die akribische Recherche- und Erläuterungsarbeit des Autorenduos, das Familienverflechtungen ebenso aufspürt wie vergessene Publikationen, Ergebnisse der Grimm-Forschung und die Familienkorrespondenz miteinbezieht und so das Porträt eines facettenreichen wie widersprüchlichen Träumers und Sammlers zeichnet.
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