Claire Goll, Rainer Maria Rilke

Ich sehne mich sehr nach deinen blauen Briefen

Briefwechsel
Cover: Ich sehne mich sehr nach deinen blauen Briefen
Wallstein Verlag, Göttingen 2000
ISBN 9783892444046
Gebunden, 215 Seiten, 19,43 EUR

Klappentext

Die Korrespondenz zwischen Rainer Maria Rilke und Claire Goll aus den Jahren 1918-1925 wird zum ersten Mal aus den im Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar befindlichen Originalhandschriften veröffentlicht. Der Band enthält neben den Briefen sieben Gedichte Rilkes in französischer Sprache, die er im Februar 1924 als kleines handgebundenes Buch an Claire Goll gesandt hatte und die 1926 unter dem Titel "Verges" in der "Nouvelle Revue Francaise" gedruckt wurden. Ebenso wird das bisher unveröffentlichte und lange verschollen geglaubte Manuskript "`Gefühle` Verse von Claire Studer" hier erstmals gedruckt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.12.2000

Am vierten Dezember jährt sich der Geburtstag Rainer Maria Rilkes zum 125. Mal. Hansjörg Graf begrüßt das Erscheinen eines Tagebuches sowie zweier Bände mit Korrespondenzen, die Einblick geben in Entscheidungen Rilkes seine Kunst und sein Leben betreffend.
1) Rainer Maria Rilke/Magda von Hattingberg: "Benvenuta. Briefwechsel"
Was eignet sich besser als Kommentar zum Thema "Rilke und die Frauen" als seine Briefe an Frauen, fragt Graf, schließlich seien sie ein authentischer Kommentar. Wer sie liest und interpretiert, müsse jedoch in jedem Fall auch die Entstehungsbedingungen berücksichtigen - schließlich lebte und liebte es sich damals nicht immer einfach. Als "eine Geschichte der schönen Verzögerungen" bezeichnet Graf den Briefwechsel Rilkes mit der Wiener Konzertpianistin Magda von Hattingberg, der von Ängsten seinerseits und Ungestüm ihrerseits geprägt war. Ein Treffen verschoben die beiden immer wieder, als es dann stattfand, so Graf, begann sich auch die Beziehung zu normalisieren und das Ende der Korrespondenz einzuläuten. Literarisch seien die Briefe gleichbedeutend mit denen, die Rilke mit Lou Andreas-Salomé oder Marie von Thurn und Taxis wechselte, behauptet der Rezensent.
2) Rainer Maria Rilke/Claire Goll: "Ich sehne mich sehr nach deinen blauen Briefen". Briefwechsel.
Eher den "Charakter eines Nachspiels" trage hingegen der Briefwechsel Rilkes mit Claire Goll, behauptet Graf; die Briefe aus den sechs Jahren ihrer (Brief-)Freundschaft bezeugen weniger künstlerische Überlegungen, sondern geben Auskunft über Leben und Freunde des Dichters, informiert uns der Rezensent. Die Herausgeberin Barbara Glauert-Hesse habe die Briefe gehaltvoll kommentiert - manchmal ist im Kommentar gar mehr Gehalt als in den Briefen, gesteht Graf. Lobenswerterweise enthält der Band am Ende den Nachruf Claire Golls auf den 1926 verstorbenen Dichter, in dem sie auch sein Verhältnis zu Frauen beleuchtete. Graf zitiert: "... unfähig zu verlassen, hoffte er immer verlassen zu werden."
3) Rainer Maria Rilke: "Tagebuch Westerwede Paris. 1902". Taschenbuch Nr. 1
Ein Taschenkalender diente Rilke im Jahr 1902 zur Aufzeichnung seiner Notizen - daher der Untertitel "Taschenbuch". Ein Dokument, so Graf, das wichtige Weichenstellungen und viele krisenhafte Momente in Rilkes Leben einfängt. Graf zählt auf: das Scheitern der Ehe mit Clara Westerhoff, der Umzug von Westerwede nach Paris, Rilkes Beobachtungen in Paris, die man laut Graf sowohl Jahre später im "Malte Laurids Brigge" oder in Rilkes Rodin-Monografie wiederfinden kann. Die bibliophile Gestaltung des erstmals veröffentlichten Tagebuchs, bei der die Übereinstimmung von Form und Inhalt den Ausschlag gibt, findet großes Lob des Rezensenten. Ein schönes Geburtstagsgeschenk.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.08.2000

In einer Doppelrezension bespricht Hannelore Schlaffer die folgenden zwei Briefbände von Rainer-Maria Rilke:
1) "Benvenuta. Briefwechsel mit Magda von Hattingberg"
Das Briefeschreiben, so die Rezensentin, war für den Dichter in Krisenzeiten eine wichtige "Selbstvergewisserung", und diesen Teil daran findet Hannelore Schlaffer durchaus interessant. Was jedoch sichtbar wird als Beziehung zur Adressatin, kanzelt sie kühl ab mit dem Hinweis, dass für Rilke die ihm "in Scharen" zufliegenden Verehrerinnen als Personen selbst keine Rolle spielten. So auch die Konzertpianistin Magda von Hattingberg, die sich mit einem überschwänglichen Brief ihm genähert hatte. Der Ton der Briefe an sie ist der des Buches Malte Laurids Brigge, von dem er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelöst hatte, meint Schlaffer. Und die Haltung des Schreibers ist die des "Herzensbrechers", der sich "in die Gemüter seiner Verehrerinnen hineinlügt". Die von den Herausgeberinnen als Entdeckung angekündigten Äußerungen über Frau und Kind, so die Rezensentin, lassen sich "rücksichtsloser" auch in den Briefen an Lou-Andreas-Salomé finden, - übrigens die einzige, meint Schlaffer, "die ihn zu Verstand brachte".
2) "Ich sehne mich sehr nach Deinen blauen Briefen. Briefwechsel mit Claire Goll"
Claire Goll hat in ihrem Briefwechsel mit Rilke, der hier als Neuausgabe und mit einigen ihrer Gedichte versehen vorliegt, Rilke nicht nur als Mann und Dichter angeschwärmt, sondern auch als Kollegen und Meister um sein Urteil gebeten. Das allerdings fiel immer kühl und abweisend aus. Nur auf den schwärmenden Ton ließ er sich ein, aber Rilkes Verständnis von Liebe, so Schlaffer, hatte am wenigsten mit "körperlicher Nähe" zu tun, sondern war wie "Dichten: ein Spiel mit Worten". Der Dichter Rilke leistet sich "eine Peinlichkeit nach der anderen", schreibt die Rezensentin, und erst durch die Heirat mit Yvan Goll hat sich seine Briefpartnerin der "Blütenlese falscher Töne" entziehen können; die Briefe werden "lakonisch und geschäftlich". Interessant wäre dies alles dann, wenn man die Briefe Rilkes als Material nehmen und den Weg der "prosaischen Urgestalt der Gefühle" zur "gebundenen Fassung" des Gedichts beschreiben könnte, meint Schlaffer. Denn dann hätte man den "Schlüssel gefunden für Rilkes Fähigkeit, Kitsch brillant und zu einer ästhetischen Qualität zu machen".