Vorgeblättert

Leseprobe zu Unda Hörner: Berliner Luft - Pariser Leben. Teil 1

12.07.2012.
JAMES HOBRECHT, DER HAUSSMANN VON BERLIN

Die beiden Stadtbaumeister


Der Fußweg von der Place du Châtelet am rechten Seineufer über die Ile de la Cité zieht sich ewig hin an schier endlosen graubraunen Mauern aus behauenem Stein. Auf dem Boulevard du Palais, vor dem massigen Justizpalast und vor der Polizeipräfektur gleich gegenüber dösen uniformierte Wachtposten im Stehen vor sich hin. Auf dem großen Platz dahinter knipsen Touristen das Portal des riesigen alten Krankenhauses Hôtel Dieu und natürlich die Türme von Notre Dame. Kaum vorstellbar, dass hier, zu Füßen der Kathedrale auf der Seineinsel, noch im 19. Jahrhundert ein unübersichtliches Labyrinth aus mittelalterlichen Häusern gestanden hat, und dass rund 15.000 Menschen in diesen Häusern dicht gedrängt lebten. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts Baron Haussmann kam, um als Präfekt Ordnung in das städtebauliche Chaos zu bringen: "Der gesamte Mittelteil der Cité wurde neu geordnet und mit öffentlichen Bauwerken durchsetzt." Der Kahlschlag, den die Ile de la Cité erlebte, gehörte zu einem der radikalsten urbanen Erneuerungsprogramme, die jemals in einer Stadt verwirklicht wurden. Der Romancier Émile Zola gilt als Chronist des neuen, des Haussmannschen Paris. "Paris versank jetzt in einer Wolke von Gipsstaub. [...] Mit Säbelhieben zerteilte man die Stadt, und er war bei jedem Schnitt, bei jeder Verwundung dabei. [...] Trümmerstätten an allen Enden der Stadt." Zwischen 1853 und 1870 wurden intra muros mehr als 20.000 Häuser abgerissen und etwa 4000 neue gebaut, großzügige Boulevards breiteten sich bald sternförmig über dem alten Stadtgrundriss aus. In seinem Büro stand der Präfekt von Paris mit Zirkel und Zeichenstift vor einem Plan der Stadt wie ein Tyrann mit seinem Zepter und setzte sein Werk der Zerstörung alter Strukturen fort, indem er gleichzeitig jenes Stadtgebilde schuf, das Walter Benjamin als 'Hauptstadt des 19. Jahrhunderts' pries, jene Metropole, deren Anlage bis heute als glanzvolles Vorbild für eine moderne Stadt gilt. Paris, wie wir es heute sehen, ist das Werk dieses einzigen Mannes, Baron George-Eugène Haussmann. Er sorgte für die Aufteilung der Stadt in 20 Arrondissements und schuf den Typus des Pariser Immeuble, jene fünfstöckigen Mietshäuser mit Beletage, französischen Balkons vor den hohen Fenstern und den grauen Dächern aus Zinkblech, die die charakteristische Landschaft, das Häusermeer von Paris ausmachen. Insgesamt wurden Straßen von rund 150 Kilometer Länge neu gebaut, die vor allem eines zeigen: Haussmanns Sinn für urbane Kulissenschöpfungen; Paris wurde eine Stadt der Sichtachsen und theatralischen Perspektiven. Die Arbeiten konzentrierten sich im Wesentlichen auf die Areale des Louvre, des Tuilerienpalastes, die Gegend ums Hôtel de Ville, die Rue de Rivoli, das Quartier der Opéra, die Ile de la Cité, die Wege, die noch aus der Zeit des Sonnenkönigs stammten, und die Avenuen, die auf die Place de l'Étoile zulaufen. Unter seiner Ägide entstanden die Opéra de Paris, die Madeleine-Kirche, die Assemblée Nationale. Die neue Eisenbahn erforderte auch den Bau von Bahnhöfen und deren Anbindung an das Straßennetz. Wie Kirchen stehen die Pariser Kopfbahnhöfe unübersehbar an den Verkehrsachsen.

     Haussmann, Jahrgang 1809, war ein Sohn der Stadt und stammte aus großbürgerlicher Familie. Als Präfekt von Bordeaux war er Napoleon III durch seine gute Arbeit aufgefallen. Der Kaiser hatte politische Hintergedanken bei seiner geplanten Aufräumaktion: In Zukunft sollte verhindert werden, dass Aufständische sich in einem unübersichtlichen Labyrinth aus engen Gässchen verschanzen konnten. So war es während der Julirevolution 1830 geschehen, als die Bourbonen vom Thron gestürzt wurden, das Ende der Ära der Restauration. Haussmann war ein Staatsdiener, der nicht lange fackelte, wenn es um die Umsetzung der Befehle seines Herrn ging. Die Umgestaltung von Paris war so aufsehenerregend, dass ein Paris-Reiseführer aus dem Jahr 1867 einen Spaziergang durch jene Gegend zum Thema machte, wo 1876 der Durchbruch der Avenue de l'Opéra fertig wurde: "Es wird schneller zerstört als wiederaufgebaut. Auf Ruinen spezialisierte Maurer sind besonders eifrig: sehen Sie ihnen nur einmal zu. Sie werden auf ihren staubbedeckten Gesichtern den Ausdruck von wildem Stolz und satanischer Freude entdecken. Sie schreien vor Vergnügen, wenn sie binnen einer Viertelminute wieder eine Hauswand einreißen, für deren Errichtung einmal zwei Monate nötig waren." Der Dichter Charles Cros (1842-1888) trauerte persönlichen Erinnerungsorten in Versen hinterher: "An Herrn Haussmann - Ex-Präfekt des Seine-Departements" heißt sein Gedicht:

Das Haus, zertrümmert, ist dahin,
Das Kuschelnest brutal zerstört ...
Mein Liebchen, einst hat mir darin
Dein Herz so wie dein Leib gehört.

Im Westen schimmert nach ein Licht -
Des Meteors so flücht'ger Schein.
Stürzt, Beton, Eisen, Stein um Stein!
Wer je geliebt, vergißt das nicht.

Reißt ruhig alle Häuser ein.
Herrscht über Regen, Sonnenschein,
Erstickt mich in Bequemlichkeit,

Die Spur ihr niemals löschen könnt
Der Küsse, die sie mir gegönnt.
Was ich mir denk', ist Wirklichkeit.


Und Zola wiederum entlarvte Haussmanns Paris als "ein einziges, ungeheures Blendwerk, die Lüge eines ins Riesenhafte gesteigerten Jesuitismus. [...] Die Plätze, die großen Parks mit ihren Blumenrabatten zeigen ein heuchlerisches Lächeln, um von den Rauchschwaden und dem pestilenzartigen Gestank abzulenken, der unablässig über die Stadt hinwegzieht." Die Radikalität des Stadtumbaus kostete vielen Leuten überdies ihr Dach über dem Kopf. Sie wurden aus der Stadt in die Banlieue verdrängt, ins Umland - wie heute die Leute, die die drastisch gestiegenen Mieten innerhalb des Boulevard Péripherique nicht mehr bezahlen, kein Eigentum kaufen können. Haussmanns Plan war aber auch die gut gemeinte Antwort auf die anwachsende Bevölkerung und deren veränderte Bedürfnisse. Ihr Trinkwasser schöpften die Pariser seit je aus der Seine. Das unübersichtliche Gedränge war getaucht in viel Lärm, Gestank und Dämmerlicht. Der Chronist des vorrevolutionären Paris, Louis Sébastien Mercier, beschreibt die Zustände: "Enge, schlecht angelegte Straßen, viel zu hohe Häuser, die der freien Zirkulation der Luft im Wege stehen, Schlächtereien, Fischmärkte, Jauchegräben und Friedhöfe - all dies trägt zum Verderb der Atmosphäre bei, sättigt sie mit schädlichen Partikeln und bewirkt damit, daß die Luft überall dort, wo sie eingeschlossen bleibt, dick und unbekömmlich wird." Noch zwischen 1832 und 1849 wüteten mehrfach Cholera-Epidemien in Paris, bei denen tausende von Menschen elendig starben. Haussmann trat denn auch als Pionier in Sachen Hygiene in Erscheinung; er initiierte den Bau der unterirdischen Kanalisation. Leitungen für Frisch- und Abwasser wurden separat gelegt, so dass nur gereinigtes Wasser wieder verwendet wurde, Wasserreservoirs regulierten den Wasserstand. An der Métro-Station Alma-Marceau steigen heute Touristen in festem Schuhwerk in die Tiefen des unterirdischen Systems von 2100 Kilometern Länge hinab. Im Zuge dieser Hygienemaßnahme entstanden auch die berühmten Katakomben von Paris, in einem alten Steinbruch an der Place Denfert-Rochereau als Ersatz für die heillos überbelegten und oft überschwemmten Friedhöfe, auch sie eine etwas morbide Pariser Attraktion.

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