Vorgeblättert

Leseprobe zu Gottfried Wagner: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Teil 1

08.04.2013.
5 DER FRAUENVERÄCHTER


Wagners Frauenbild war in höchstem Maße chauvinistischreaktionär. Von seinen Frauen erwartete er die völlige Unterordnung unter seine beruflichen und persönlichen Pläne. Seine zweite Frau Cosima erfüllte diese Rolle perfekt. Anders dagegen die wichtigste Frau seiner ersten Lebenshälfte: Minna Planer, mit der er dreißig Jahre lang verheiratet war. Dass sie, anders als Cosima, heutzutage fast nur Eingeweihten bekanntist, geht zum Großteil auf Wagner selbst zurück. Im Verein mit Cosima tat er später alles, um sie schlechtzureden und ihre Bedeutung für ihn herunterzuspielen. Wie schäbig er mit ihr umsprang, ist bezeichnend für seine generelle Haltung gegenüber Frauen.


Die Entsorgte: Minna Wagner

Wagner lernte Minna Planer im Sommer 1834 in Bad Lauchstädt, einem Kurort in der Nähe von Leipzig, kennen. Er hatte das Angebot erhalten, Musikdirektor der Magdeburger Theatergesellschaft zu werden, die sich dort gerade zu einem Gastspiel aufhielt. Also reiste er dorthin, um die Truppe kennenzulernen. igentlich hatte er den Posten schon abgelehnt, aber der Anblick Minnas - sie war eine der Hauptdarstellerinnen der Truppe - bewog ihn dazu, seine Entscheidung zu revidieren.
     Christiane Wilhelmine Planer, geboren am 5. September
1809, war eines von zehn Kindern, von denen die meisten schon als Säuglinge verstarben.(184) Die schmerzliche Erfahrung der Armut, die sie in ihrer Kindheit machen musste, hatte ihr Leben geprägt. Durch den Konkurs der Firma des Vaters, der Wollkrempel produzierte, geriet die Familie in bittere Not. So musste Minna als Zehnjährige beim Verkauf der Restbestände der Firma helfen, um die eigene Familie zu unterstützen.(185) Um der Misere zu entkommen, begann sie 1825 ein Verhältnis mit dem königlich-sächsischen Gardehauptmann Ernst Rudolph von Einsiedel. Doch der hatte keinerlei ehrliche Absichten und ließ sie mittellos und schwanger zurück. Die Tochter Natalie wurde später mit dem Einverständnis der Mutter als ihre Schwester registriert.
     Minna wollte sich eine eigene berufliche Existenz aufbauen. In Anbetracht ihrer gesellschaftlichen Situation blieben ihr nicht viele Möglichkeiten. Der Beruf der Schauspielerin war eine Option.(186) Sie erwies sich als begabt, und bald hatte sie ein Engagement am Dresdner Hoftheater. Mit den Einnahmen konnte sie nicht nur sich und ihre Tochter ernähren, sondern auch die Familie unterstützen.
     Wenn man diese Vorgeschichte kennt, ist es mehr als nachvollziehbar, dass sich Minna nach materieller Sicherheit und geordneten ehelichen Verhältnissen sehnte. Sie hatte die Hoffnung, dass Wagner derjenige war, der ihr diese Wünsche erfüllen konnte; ein folgenschwerer Trugschluss, wie sich bald herausstellen sollte.
     Als Wagner Minna in Bad Lauchstädt zum ersten Mal sah, war er auf der Stelle von ihr eingenommen. In seiner Autobiographie stilisierte er sie rückblickend zu einer Ikone der Reinheit inmitten einer "Staubwolke von Frivolität und Gemeinheit ":(187) "Ihre Erscheinung und Haltung stand in dem auffallendsten Gegensatz zu all den unangenehmen Eindrücken des Theaters […]; von sehr anmutigem und frischem Äußern, zeichnete die junge Schauspielerin sich durch eine große Gemessenheit und ernste Sicherheit der Bewegung und des Benehmens aus, welche der Freundlichkeit des Gesichtsausdruckes eine angenehm fesselnde Würde gaben; die sorgsam saubre und dezente Kleidung vollendete den überraschenden Eindruck der sehr unerwarteten Begegnung."(188)
     Wagner suchte in Minna auch die mütterliche Seite. Er litt damals an einem Anfall von Gesichtsrose, die ihn sein Leben lang plagte, und Minna pflegte ihn voller Anteilnahme. Er dachte zunächst gar nicht daran, sich zu binden - er war vor allem an seiner Karriere interessiert; außerdem hing er der Idee der freien Liebe an, wie sie in den Zirkeln des Jungen Deutschland kursierte. So bot er die eben erst Eroberte sogleich seinem Jugendfreund Theodor Apel als Trophäe an mit den Worten: "Du sollst auch die Planer haben, - sie hat mich ein paarmal recht sinnlich verklärt, - es war mir dabei prächtig zu Muthe."(189)
     Als er aber merkte, dass Minna auch von anderen Männern begehrt wurde, weckte dies - typisch für Wagner - seine Besitzansprüche. Kennzeichnend für seine Beziehung zu ihr waren von Beginn an die hysterische Eifersucht und das ständige Misstrauen, mit denen er ihr begegnete.(190) Sofort traten die sehr unterschiedlichen Charaktere der beiden zutage: Minna arbeitete als Schauspielerin, um Geld zu verdienen. Sie passte sich mit Würde der jeweiligen Lebenssituation an und hatte sich mit Begabung und Disziplin eine Existenz geschaffen. Ganz anders dagegen Wagner: Er dache nicht an morgen und lebte über seine Verhältnisse. In seinem weltfremden Eigensinn legte er sich immer wieder aufs Neue mit seiner Umwelt an und glaubte, auf diese Weise Karriere zu machen. Statt von Minnas Realitätssinn zu lernen, sah er in ihr bald eine Konkurrentin. Statt sich an ihrer Karriere zu freuen, beargwöhnte er sie neidisch. Wenn sie aufgrund eines beruflichen Engagements unterwegs war, bombardierte er sie mit Briefen, in denen er ihre sofortige Rückkehr forderte. Er beanspruchte sie ganz und gar für sich und setzte sie psychologisch unter Druck. Die Nachricht, dass Minna eine Anstellung am Königsberger Theater erhielt, erzeugte in ihm Angstzustände. Es kränkte ihn, dass er ihr als erfolg- und mittelloser Komponist keine soziale Sicherheit garantieren konnte.
     Minna wiederum war sich bald über Wagners Charakter im Klaren. Sie lernte seine Sex- und Zockerleidenschaft ebenso kennen wie seinen verschwenderischen Umgang mit Geld. Trotzdem gab sie seinem Wunsch nach, sie zu heiraten. Denn immer wieder versicherte er ihr in seinen Briefen, dass er fähig sei, für sie zu sorgen und ihr eine Existenz aufzubauen. Nachdem er die Aussicht auf eine Anstellung als Musikdirektor am Königsberger Theater erhalten hatte, heirateten die beiden am 24. November 1836 in Königsberg - heimlich und gegen den Willen beider Familien.
     Dreizehn Jahre später blickte Minna mit Verbitterung auf diese Entscheidung zurück, wie aus einem Brief vom 8. Mai 1850 hervorgeht: "Was warst Du denn als ich Dich heirathete? Du warst ein armer, verlassner, unbekannter, unan gestellter Musikdirector, und was standen mir damals für Aussichten bevor! Mein ganzes Thun und Schaffen in unserer Häuslichkeit war ja nur um Dir es recht zu machen, Dir zu gefallen und so von frühster Zeit an that ich ja Alles aus Liebe, sogar meine Selbstständigkeit die ich so hoch hielt, gab ich freudig auf, um Dir ganz angehören zu können."(191)
     Bereits wenige Monate nach der Hochzeit kam es zur ersten folgenschweren Ehekrise. Wagners Anstellung in Königsberg währte nur kurze Zeit, weil das Theater sich wegen Bankrotts der Direktion in Auflösung befand. Längst hatte er neue Schulden angesammelt. Statt dafür einzustehen und die Situation zu klären, entzog er sich der Verantwortung und überhäufte seine Frau mit Vorwürfen.(192) Für Minna war die existentielle Unsicherheit unerträglich. Sie wollte ausbrechen und ergriff schließlich mit einem jüdischen Kaufmann namens Dietrich die Flucht. Dennoch waren beide, Richard wie Minna, gewillt, ihre Ehe zu retten. Mit der Anstellung am Theater in Riga bot Wagner seiner Frau endlich die Aussicht auf eine bürgerliche Existenz. Minna ordnete sich sei einem Wunsch unter, ihre Karriere aufzugeben, und kehrte zu ihm zurück. Doch ihre Hoffnungen waren schon bald wieder zunichtegemacht, als der notorisch streitsüchtige Wagner im März 1839 seine Stellung in Riga durch anhaltende Querelen mit dem Theaterdirektor aufs Spiel gesetzt hatte.

Es sollte noch schlimmer kommen: Im Juli 1839 flohen beide ohne Pässe vor den Gläubigern aus Riga über die russischostpreußische Grenze. In der Nähe von Königsberg erlitt die schwangere Minna infolge eines Sturzes einen Abgang. Die Konsequenzen waren verheerend: Sie konnte keine Kinder mehr bekommen.(193) Diese Tragödie wurde von Wagner totgeschwiegen - und von den meisten Wagner-Biographen wird sie bis heute zu einer nebensächlichen Episode heruntergespielt, in der Minna als hysterische Ehefrau erscheint.
     In den folgenden zweieinhalb Jahren in Paris, die von Armut und Existenzangst gekennzeichnet waren, durchlitt Minna eine wahre Ehehölle, vor allem weil Wagner nicht bereit war, seinen opulenten Lebensstil zu ändern. Dennoch ging sie mit ihm durch dick und dünn, stellte sich den täglichen Sorgen und versuchte, so gut es ging, ihren Mann zu mäßigen. Die Tochter Natalie hat über diese Zeit der Pariser Misere Bericht erstattet. Über die Rolle, die Minna dabei spielte, schrieb sie: "Still und geräuschlos arbeitete sie gleich einer Magd, kehrte, wusch, kochte, putzte ihm seine Kleider und Stiefel, weil sie kein Geld hatten, diese niederen Arbeiten Dienstleuten zu überlassen; dabei sah sie immer rosig, frisch, nett und äußerst sauber aus, dass man nicht ahnen konnte, dass sie alle diese niedern Mägdedienste verrichtete."(194)
     Erst mit der Rückkehr nach Dresden 1842 und der Anstellung Wagners als Hofkapellmeister brachen für Minna ruhigere Zeiten an. Sie endeten abrupt, als Wagner sich 1848/49 kurzzeitig als Mitläufer auf die Seite der Revolution schlug. Minna flehte ihn an, von der Politik abzulassen - vergeblich. Wegen seiner Beteiligung am Dresdner Aufstand wurde er zur Fahndung ausgeschrieben und floh ins Schweizer Exil. Die dramatischen Briefe an Minna, ihn nicht alleinzulassen und nachzukommen, taten erneut ihre Wirkung. "O Minna", schrieb er ihr im Juni 1849 nach Dresden, "ich kann vor Thränen nichts erkennen, wenn ich daran denke, wenn ich das Glück mir vorstelle, Dich - Dich - meine alte, treue, liebe Frau, wieder in meine Arme schließen zu können, um mich nie wieder als höchstens nur auf die kürzeste Zeit von Dir zu trennen! Meine gute Minna, noch nie habe ich Dich so inständig um etwas gebeten: noch nie hat mein Glück, meine Gesundheit, meine Existenz so von der Erfüllung einer Bitte abgehangen, als jetzt, wo ich Dich bitte: sage ja! u. komme! komme so schnell als irgend möglich. Minna! ich bitte Dich um Alles, was Dir je theuer war, sage: ja! u. komme. Es soll Dir wohlgehen, gewiß! gewiß! ich habe Freunde, das habe ich jetzt erkannt! komme u. bleib' bei mir!"(195)
     Wagner wusste genau, was er an Minna hatte. Wenn sie nicht an seiner Seite war, litt er qualvoll. Sie war "das Salz seines Lebens", wie es der Wagner-Biograph Friedrich Herzfeld treffend formulierte.(196) Ohne Minna war er unfähig, etwas zustande zu bringen. "In Paris und ohne häuslichkeit - ich will sagen: herzens-ruhe", schrieb er im Juni 1849 an Liszt, "kann ich nichts arbeiten: ich muß einen neuen punkt gewinnen, wo ich daheim bin und mir vornehmen kann, daheim zu bleiben […] Habe ich dort meine frau wieder, so geht es frisch und froh an die arbeit."(197)
     "Der Mann der dreizehn gewaltigen Musikdramen ist an Minnas Seite gewachsen", schrieb Friedrich Herzfeld.(198) Fast alle zentralen Werke Wagners bis auf den Parsifal entstanden in ihrer Gegenwart oder wurden in ihrem Beisein konzipiert. Sie gab ihm künstlerische und geistige Anregun gen, und man kann - wie Eva Rieger es in ihrer wegweisenden Minna-Biographie getan hat - mit Recht sagen, dass sie seine Werke "mitgeschaffen" hat.199 Vor allem hat sie sich nicht gescheut, ihm ihre Meinung zu sagen, wenn ihr das, was er schrieb oder tat, gegen den Strich ging. Die wenigen Briefe, die von ihr erhalten geblieben sind, offenbaren eine bodenstän dige und lebenskluge Frau, etwa der folgende vom 8. Mai 1850:

"Du sprichst von früheren fortgesetzten bösen Auftritten, gestehst mir für dergleichen ein gut Gedächtnis zu, eben darum entsinne ich mich deren wohl, die Du, von schrecklicher Eifersucht getrieben, wiederholt herbeigeführt, nachdem diese überwunden, haben wir uns beide so gut verstanden, so glücklich miteinander gelebt, wie es wohl selten bei Eheleuten der Fall ist. Nur seit zwei Jahren, seitdem Du Dich der unglücklichen Politik zuwandtest, die schon so viele glückliche Verhältnisse zerstörte, hatte ich allerdings unklugerweise heftige Auftritte mit Dir nicht vermieden, ich konnte Dich nur darin nicht verstehen, nur so viel war mir mit meinem einfachen Verstande klar, daß Dir aus dem revolutionären Treiben kein Heil erblühen würde […] Was Dein geistiges Gedeihen betrifft, beglückt mich das Bewußstsein, daß Du alles, was Du Schönes geschaffen, nur in meiner Umgebung schufst, und darin verstand, begriff ich Dich vollkommen. Du machtest mich auch immer so glücklich, sangst und spieltest mir fast jede neue Szene vor. Nur wiederum seit zwei Jahren, als Du mir jenen Aufsatz vorlesen wolltest, worin Du ganze Geschlechter schmähtest, die Dir doch im Grunde Liebes getan, seit jener Zeit grolltest Du mir und straftest mich damit so hart, daß Du mir nie etwas allein von Deinen Arbeiten mehr zu hören gabst."(200)

Bei dem erwähnten Aufsatz, in dem Wagner "ganze Geschlechter schmähte", die ihm "doch im Grunde Liebes getan", muss es sich um einen Entwurf seiner berüchtigten Hass schrift Das Judenthum in der Musik gehandelt haben, 1850 erstmals publiziert. Minna kritisierte also - ganz anders als später Cosima - ihren Mann für dessen Antisemitismus.
     Wagners politische Radikalisierung 1848/49 und in den
darauffolgenden Jahren des Exils war Sprengstoff für das Zusammenleben
mit Minna. Sie konnte und wollte diesen Weg nicht mitgehen. Dennoch begab sie sich später auf Reisen nach Dresden, Weimar und Berlin, um sich für die Rehabilitierung ihres steckbrieflich gesuchten Gatten einzusetzen. An König Johann von Sachsen richtete sie ein Gnadengesuch, das ihm die Rückkehr nach Dresden ermöglichen sollte. Alle diese Bemühungen blieben allerdings vergeblich.
     Wagner hat seiner Frau, die ihm zwanzig Jahre lang in zumeist schlechten Zeiten zur Seite stand, ihre Treue und Hingabe nicht gedankt, im Gegenteil. Immer wieder quälte er sie mit seinen Affären. Besonders seine Beziehung zu Mathilde Wesendonck - der Ehefrau des Kaufmanns Otto Wesendonck, der Wagner maßgeblich finanziell unterstützte - traf Minna ins Herz. Kein Wunder, fand sie doch direkt vor ihren Augen statt. Im Frühjahr 1857 hatte Wesendonck das Ehepaar Wagner eingeladen, das Haus auf dem Nachbargrundstück seiner Zürcher Villa zu beziehen. Die Umstände, die zur Offenlegung der Affäre und zum Eklat führten, sind bekannt: Am 7. April 1858 gelangte ein Brief Wagners an Mathilde, versteckt in einer Notenrolle mit der Bleistiftskizze des Tristan-Vorspiels, in Minnas Hände. Die Schlusszeilen lauteten: "Nimm meine ganze Seele zum Morgengruße!"(201) Minna, die zu dieser Zeit bereits herzleidend war, verließ Zürich. Im Jahr darauf folgte in Paris einer der letzten - vergeblichen - Versuche, die Ehe zu kitten, mit der Vereinbarung, keine sexuelle Beziehung mehr zu führen.(202)
     Wagner verlangte nach einer anderen, ihm hörigen Frau, die widerspruchslos die Rolle spielte, die er ihr zumaß. An Mathilde Maier, eine seiner Geliebten jener Tage, schrieb er 1863: "Mir fehlt ein weibliches Wesen, das sich entschlösse, trotz allem und jedem" - also trotz seiner Schuldenberge und trotz seines fragwürdigen Frauenbildes - "mir das zu sein, was unter so jämmerlichen Umständen ein Weib mir sein kann und - muß, sage ich, wenn ich ferner gedeihen soll."(203) Die Frau, die diese Rolle mustergültig spielen sollte, stand ihm bereits vor Augen: Cosima von Bülow. Noch im selben Jahr, im November 1863, gestanden sich Richard und Cosima "unter Tränen und Schluchzen" ihre gegenseitige Liebe.(204)
     Die Wagner-Literatur will dem Komponisten zugutehalten, dass er Minna und ihre Tochter Natalie bis zum Tode Minnas - sie erlag am 25. Januar 1866 im Alter von fünfundfünfzig Jahren in Dresden ihrem Herzleiden - finanziell unterstützt habe. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Die permanente materielle Notlage, in die Wagner sich und seine Frau durch seinen Hang zur Verschwendung und zum Schuldenmachen versetzte, hatte Minna zermürbt und krank gemacht. Und als sich mit der Rehabilitierung Wagners in Deutschland und der unverhofften Protektion durch Ludwig II. tatsächlich die Möglichkeit einer materiell und gesellschaftlich abgesicherten Existenz abzeichnete, wurde sie endgültig verstoßen. Die ideale Nachfolgerin stand ja schon bereit. Wenigstens war jetzt für eine angemessene finanzielle Unterstützung Minnas gesorgt; vorausgehende Scheidungsverhandlungen waren stets daran gescheitert, dass Wagner ihr keine materiellen Sicherheiten bieten konnte. Als Minna starb, hielt er es nicht für nötig, zu ihrer Beerdigung zu gehen.
     Mit Hilfe seiner zweiten Frau Cosima hat Wagner später die Bedeutung Minnas für sich und sein Werk gezielt verfälscht - vor allem in seiner Autobiographie Mein Leben, die er Cosima diktierte. Ganz aus seinem Leben herausstreichen konnte er sie nicht, schließlich musste er erklären, was ihn gegen den Willen seiner Familie bewogen hatte, sie zu heiraten. Also zeichnete er ein höchst widersprüchliches Bild von ihr.(205) Er spielte seine Abhängigkeit von ihr herunter und beschrieb sie als naive, ihrem Gatten nicht annähernd ebenbürtige Person. Auch vor persönlichen Diffamierungen schreckte er nicht zurück, wenn es etwa um ihr Talent als Schauspielerin und ihren Kunstsinn ging: "Ohne jede Leidenschaft für das Theater […] ersah sie in der theatralischen Laufbahn eben nur das Mittel zu einer schnellen, möglicherweise sogar reichlichen Versorgung. Ohne irgendwelche Bildung zur Kunstempfänglichkeit vorbereitet, erblickte sie im Theater nur die Schauspielergesellschaft. Gefallen und Nichtgefallen
war ihr von Wert für die Behauptung einer guten bürgerlichen Selbständigkeit."(206)

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