Im Kino

Dinge, die alle angehen

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
21.02.2024. Das Forum Special der diesjährigen Berlinale präsentiert unter anderem einen Meilenstein des afrikanischen Filmschaffens: Safi Fayes "Kaddu beykat" war 1976 der erste kommerziell verliehene Film einer schwarzen Frau überhaupt. Eine dokumentarische, fiktionale und diskursive Impulse klug verbindende Reflexion über das Verhältnis von Tradition und Moderne, das nicht in simplen Oppositionen stillstellbar ist.


"Der Brief ist von mir, alles andere ist von meiner Familie. Ihr gilt mein Dank." So spricht am Ende von Safi Fayes "Kaddu beykat" ein Voice-over, der die Filmerzählung in Form eines Briefes begleitet. Eine Geste der Bescheidenheit ist das nur für jemanden, der das Schreiben von Briefen geringschätzt. Faye, eine Pionierin des subsaharischen afrikanischen Filmschaffens und die erste schwarze Frau überhaupt, die einen kommerziell verliehenen Film - eben "Kaddu beykat" - realisieren konnte, tut dies nicht. Einen Brief zu schreiben heißt, sich auf eine persönliche Perspektive auf die Welt festzulegen und eben diese jemandem mitzuteilen. Genau so versteht Faye ihr Filmschaffen.

Tatsächlich betonte die 2023 verstorbene Filmemacherin in Interviews stets, dass Filmemachen für sie nur als Medium eines individuellen künstlerischen Ausdrucks einen Wert hat. In "Kaddu beykat" schlägt sich Fayes Anspruch an das eigene Schaffen unter anderem darin nieder, wie der Ort der Handlung, ihr eigenes senegalesisches Heimatdorf Fad'jal, konstruiert wird; nämlich vermittels einer kleiner Anzahl in Variationen sich wiederholender Handlungen: ein Junge, der eine Ziege melkt, Mütter, die ihre Kinder stillen, Männer und Frauen jeden Alters bei der Feldarbeit, mit Spitzhacken den trockenen Boden bearbeitend. Sowie immer wieder: einzelne Menschen, die die von knapp mannshohen Palisaden gesäumten Dorfwege entlang gehen. Die Bilder und das soziale Handeln, das sie zeigen, stabilisieren sich, so der Eindruck, gegenseitig.

"Kaddu beykat" hat, seinem unbestreitbaren dokumentarischen Wert zum Trotz, einen fiktionalen Kern, erzählt eine Liebesgeschichte: Coumba und Ngor möchten heiraten, aber die ökonomischen Verhältnisse lassen es nicht zu. Coumbas stumme, sehnsüchtige Blicke in Richtung Ngor bilden zu der beobachtenden Beschreibung einer Gemeinschaft, die Fayes Film primär ist, einen Gegenpol der nicht kommunizierbaren Subjektivität. Die Macht der Fiktion liegt in diesem Film darin, dass sie in der Lage ist, die Aufmerksamkeit auf den Einzelnen zu lenken.



"Kaddu beykat" ist, wie um das vorherige, allzu lange Fehlen eines schwarzen weiblichen Blicks im Weltkino auszugleichen, alles auf einmal (ohne dabei, ein nicht kleines Wunder, jemals die Balance zu verlieren): Spielfilm, Dokumentarfilm, ethnografisch-soziologischer Essay. Die diskursiven Passagen haben im Film einen konkreten Ort, einen Baum mit weit ausladenden Ästen, unter dem die Männer des Dorfes zusammenkommen, um die Dinge, die alle angehen, zu besprechen. Bevor wir bei einer dieser Dorfversammlungen zugegen sind, filmt Faye allerdings, das passt zur freien, reflektierten Form ihres Films, wie eine Horde Kinder sich unter dem Baum versammelt. Sie spielen eine Szene nach, die sie bei den Erwachsenen abgeschaut haben: Steuereintreiber bedrängen einen Bauer.

Später reden die Männer. Beziehungsweise klagen sie vor allem und sehnen sich zurück in bessere Zeiten. Die Dürre, die das Dorf seit zwei Jahren plagt, ist ein Problem, aber das andere, größere, ist die senegalesische Agrarpolitik, die dazu geführt hat, dass auf den Äckern ums Dorf fast nur noch Erdnüsse für den Markt anstatt wie früher Hirse und Reis für den Eigenbedarf angebaut werden. Das Resultat ist gesteigerte Unsicherheit; die Abhängigkeit vom Wetter wird durch die Abhängigkeit vom Markt schließlich nicht ersetzt, sondern erweitert.

Der Film beschränkt sich in solchen Szenen strikt auf die Perspektive der Dorfbewohner, Fayes Voice-over gibt lediglich zu Beginn ein paar rahmende Hinweise, nimmt ansonsten keine Analyse vor. Wenn ein Bauer behauptet, früher hätten fünf Kühe genug Milch fürs ganze Dorf geliefert, heute hingegen reichten deren zehn nicht einmal für eine einzelne Familie aus - stimmt das wirklich? Oder ist es vielleicht doch eher eine typische gute-alte-Zeiten-Übertreibung? So oder so: Das Dorf ist an die moderne Welt angeschlossen worden und muss lernen, damit umzugehen. Die Veränderungen, von denen Faye in aller Seelenruhe erzählt, erfassen alle Lebensbereiche. Gerade auch die Liebe. Weil für unverheiratete Männer in Zeiten der Erdnusskrise kein Platz ist im Dorf, bricht Ngor in die Stadt auf. Coumbas bleibt zurück und kauert mit gesenktem Blick über dem Waschbasin.

Die Stadt bringt ein neues Regime der Bilder in den Film. Ngor durchstreift Straßen, Märkte und Läden, heuert bei einer reichen Frau an, die ihn ausnutzt und wieder rauswirft, kauert verloren und einsam im Dunkeln auf einer Matratze. Was hier fehlt, ist die selbstverständliche Solidarität auch über den engen Familienkreis heraus, die die gemeinsame Abhängigkeit vom Ertrag der Felder und damit auch von den Launen der Natur auf dem Dorf mit sich bringt. Faye filmt in der Stadt immer noch soziale Handlungen, aber sie geben den Bildern keinen Halt mehr.

Bei der bloßen Inkompatibilität von Stadt und Land, Altem und Neuem bleibt dieser kluge Film, dessen Regisseurin promovierte Ethnologin ist, freilich nicht stehen. Mit der Zeit lernt Ngor, vielleicht, worauf es in der Stadt ankommt: auf organisierte Autonomie. Und als er schließlich ins Dorf zurückkehrt, bringt er nicht nur, zur Verwunderung seiner Freunde, Zigaretten mit, sondern hat, vielleicht, auch eine Idee, wie die ökonomischen Probleme behoben werden können: durchs Vermeiden von Monokulturen.

Lukas Foerster

Kaddu beykat - Senegal 1976 - Regie: Safi Faye - Darsteller: Assane Faye, Maguette Gueye - Laufzeit: 98 Minuten.

"Kaddu beykat" ist Teil der Berlinale-Sektion Forum Special und wird am 22.02. um 20:30 Uhr im Haus der Kulturen der Welt als Gedenkscreening anlässlich des ersten Todestags der Regisseurin vorgeführt.