Tagtigall

Nora Bossong

Die Lyrikkolumne.
17.08.2019. Ausgeraubt in Paris? Kein Problem mit einem Kursniveau von mindestens C1
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Wer sich wie ich gerne in Paris ausrauben lässt, wird sich über einige praktische Tipps freuen, mit denen man zwar nicht das Geraubte wiedererlangt, aber dank des Verlusts einen abwechslungsreichen Einblick in die französische Gesellschaft bekommt. Und weil Widersprüche (frz: contradictions) im eigentlichen Sinn poetisch sind, nimmt man gern in Kauf, dass hinlänglich ausgeraubt, Laptop- und Smartphonelos, Internetlinks nicht allzu viel bringen. Also los!

Zuerst sind da natürlich die Kommissariate, jedes Arrondissement hat eins und sie sind sehr unterschiedlich in Freundlichkeit, Kompetenz, Quietschen der Türen und surrealistischen Einlagen. Einen Überblick findet man bei der Préfecture de police und hier noch der Link zu den Sprachkursen des Institut Français, um sich ausreichend verständigen zu können. Es empfiehlt präventiv ein Kursniveau von mindestens C1 zu erreichen, sonst schafft man es im Kommissariat womöglich nicht mal durch die Eingangstür, geschweige denn ins Dienstzimmer, in dem auf einer aus dem letzten Jahrhundert stammenden computerähnlichen Rechenmaschine der Diebstahl protokolliert wird. Ist man nach erfolgter Anzeige wieder zu Hause, fällt einem möglicherweise ein, dass jeder Laptop eine eigene IP-Adresse hat und somit zu orten ist. Das kann man beispielsweise über IP Location machen.

Den Aufenthaltsort des Diebesgut erfolgreich erforscht, kann man entweder mit diesem Wissen noch einmal zur Polizei gehen, oder sich diesen Aufwand sparen und stattdessen, weil eh alles den Bach runter geht, Charles Aznavour ansehen, der mit einem weißen Taschentuch, das mal Veilchen, mal Staffelei darstellen soll, pantomimisch seine frühe Gentrifizierungskritik La Bohème unterlegt. Politisch stand Aznavour zuletzt dem Front National recht nahe. Wem das zu weit rechts ist, kann sich über die aktuelle Lage in Frankreich bei Le monde diplomatique oder bei Mediapart  oder, wem das jetzt wiederum zu weit links ist, beim Figaro ein wenig einlesen. Hören geht auch, zum Beispiel bei France Inter.

Aber zurück zum Diebstahl, denn ein Highlight auf der Odyssee durch die Verlustbürokratie wartet noch: das Fundbüro! Je nach Optimismusbegabung heißt es bureau des objets perdus oder bureau des objets trouvés. Das Glas ist eben immer entweder ganz leer oder ganz voll, und meistens ist das Wasser gerade in der Warteschleife. Eine davon erreicht man hier. Am Ende hilft nur noch beten. Oder eine Pilgerreise nach Lourdes, drei Tage mit Prozession und Messen, dort gibt es sowieso das beste Wasser der Welt. Wer braucht da noch Internet?

Nora Bossong