Tagtigall

Uljana Wolf

Die Lyrikkolumne.
17.08.2019. Dekolonisierende Sprachspiele: Squint when ya milk shake!
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Der Gedichtband Twerk (Belladonna* 2013) der US-amerikanischen Dichterin, Soundkünstlerin und DJane Latasha N. Nevada Diggs zeigt, wie aufregend mehrsprachige Lyrik sein kann. In diesem Video liest sie ihr Gedicht "damn right it's betta than yours" vor, eine Art brag-text, der in kurzen Schnitten karibischen Slang, jamaikanischen Dancehall, Beschimpfungen und Beschwörungen zu einem klangintensiven, deterritorialiserenden Amalgam mischt. Auch die klassische Prosodie der anglo-amerikanischen Lyrik kriegt ihr Fett weg, mit einer Referenz an den karibisch-amerikanischen Dichter Kamu Braithwaite, der den Pentameter als Stilmittel weißer Lyrik zurückweist: "erode di pentameter - blocka-blocka". 

Das Kollidieren von indigenen Sprachen mit Englisch ist für Diggs ein wichtiger Beitrag zur Dekolonisierung der Sprache, mit der sie aufwuchs - und zugleich die Flucht nach vorn in die vielversprechenden Unsicherheit des Nicht-Ganz-Verstanden-Werdens: "If I clutter my head enough with the variables of language, I can luxuriate in the confusion and immeasurable clarity of not being fully understood." So schrieb sie aus Anlass einer translingualen Lesung auf dem poesiefestival Berlin 2019, zu der wir sie einluden.

Ihren kurzen Essay und die Beiträge der anderen Autoren kann man bei hochroth nachlesen. Auf lyrikline wiederum kann man Latasha Diggs nachhören - mit deutschen Fassungen, in denen ich versucht habe, Anklänge des dekolonisierenden Sprachspiels, jetzt aufs Deutsche gewendet, beizubehalten. Unwahrscheinlich, dass es gelingen kann - aber der luxuriöse Übersetzungswiderstand mehrsprachiger Texte erzeugt immer eine Reibung, eine Auseinandersetzung mit den eigenen Sprachschichten und ihren Machtgefügen, dass einem im besten Falle - squint when ya milk shake - das angestammte Hören und Sehen vergeht.



Uljana Wolf
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