Im Kino

Multifunktionsmann im Horrorkloster

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
20.09.2023. Killernonnen grinsen Dich an: In Michael Chaves' Horrorfilmsequel "The Nun" ist jede Menge los. Sogar die Printkrise taugt zum Angsteinjagen.


Die Nonne taucht am liebsten am Ende düsterer Korridore auf. Ihr Gesicht ist zumeist von ihrer düsteren Haube verschattet, wenn es doch einmal sichtbar wird, grinst es einen ungesund an und spätestens dann sollte man schleunigst die Flucht ergreifen. Vor ein paar Jahren war der Nonne schon einmal ein leider zurecht ziemlich schlecht beleumundeter Horrorfilm gewidmet ("The Nun", 2018) und außerdem ist sie Teil des größeren "Conjuring-Universum" (siehe auch hier), was sich in ihrem zweiten Solofilm allerdings glücklicherweise nur in einer kurzen Mid-Credit-Sequenz (dass derart beknackte Begriffe Eingang ins Vokabular der Filmkritik genommen haben, werde ich dem Marvel Cinematic Universe ewig übel nehmen) niederschlägt.

Auch Schwester Irene (Taissa Farmiga) und Gärtner Maurice (Jonas Bloquet) kennen die Nonne schon aus dem ersten Teil. Irene war ihr damals mit Vorliebe mit weit aufgerissenen Augen entgegengestolpert, und im Großen und Ganzen belässt sie es auch im neuen Film dabei. Maurice hingegen hat diesmal deutlich mehr zu tun: War er im ersten Film noch fast ausschließlich damit beschäftigt gewesen, gut auszusehen und den anderen im Weg zu stehen, ist er diesmal der Dreh- und Angelpunkt des Drehbuchs. Ein Multifunktionsmann, der das sonst fast durchweg weibliche Personal beinahe im Alleingang auf Trab hält: Für die junge Klosterschülerin Sophie (Katelyn Rose Downey) ist er Vaterersatz, für Sophies Mutter Kate (Anna Popplewell) love interest, für Irene dämonischer Widersacher.

Dann wäre da außerdem eine Gruppe etwas älterer Klosterschülerinnen: biestige, durchweg blonde Gören, die es schon auch ein bisschen verdient haben, von einem dämonischen Ziegenbock durch ihren Schlafsaal gejagt zu werden. Und schließlich ist noch Schwester Debra mit von der Partie, eine schwarze Teenienonne; hauptsächlich aus Diversitygründen könnte man denken, ihre Darstellerin Storm Reid bringt aber tatsächlich einigen frischen Wind in den Film. Außerdem ist Debra die einzige Figur, die nicht ganz eins ist mit der unbedingten Religiosität, die den Film ansonsten fest im Griff hat. Die Handlung ist im Jahr 1956 und in einem bis ins Mark katholischen Fantasieeuropa angesiedelt - der erste Film soll in Rumänien, der zweite in Italien und Frankreich spielen; der Eiserne Vorhang, der beide trennen müsste, wird hier wie da mit keinem Wort erwähnt. Die Religion kennt kein Außen, bestimmt Denken und Handeln jeder einzelnen Figur - einzige Ausnahme, wie gesagt: Debra, zumindest zu Beginn. Sie würde ja auch gern einmal ein echtes Wunder erleben, meint sie zu Irene, dass der Messwein durch den Glauben ins Blut Christi verwandelt wird, ist ihr nicht genug. Selbstverständlich findet ihre Bitte Gehör.



Es ist jedenfalls einiges los. Anders als der Vorgängerfilm ist "The Nun II" nicht von den Bildern, sondern von der Erzählung her gedacht. In der Theorie ist das nicht unbedingt ein gutes Zeichen, schließlich enthält das Horrorkino auch immer das Versprechen, den primären Affekt des Visuellen aus den Fesseln der Narration zu befreien. Was allerdings nicht viel hilft, wenn die Bilder nichts hermachen. Verglichen mit dem nur in der Theorie entfesselten, in der Praxis bloß ermüdenden CGI-Effektmatsch von "The Nun" ist die sorgfältig gearbeitete Erzählwelt von "The Nun II" eine Wohltat. Insbesondere die Teeniesoap im Horrorkloster, die der Film zwischendurch leider nur ein bisschen ist, hätte gerne noch deutlich mehr Raum einnehmen dürfen.

Die Gruselszenen, die es natürlich trotzdem zur Genüge gibt, sind eher kurz und einigermaßen handfest - wer schon mehr als eine Handvoll aktueller Horrorfilme gesehen hat, dem stehen freilich eher keine schlaflosen Nächte bevor. Staubiges Katholikengerümpel, knarzende Treppenstufen, lieblich-abgründige Schallplattenmelodien… die Settings der Nonnenauftritte sind dem Fundus der (erweiterten) Gothic-Horror-Tradition entnommen und lediglich eine, allerdings wirklich ziemlich tolle Szene fügt dieser eine originelle Bildidee hinzu: Die Auslage eines altmodischen Zeitschriftenkiosk wird von einem Windstoß durchhaucht, Magazinseiten werden wie von Geisterhand umgeblättert, Gossip-Features und Vierfarbwerbestrecken fügen sich zu immer neuen, zunehmend groteskeren Collagen. Das Unbehagen in der Kultur, das sich selbst spricht? Printsterben als Instant-Hauntologie? Jedenfalls eine schöne, unerwartete Spitze in einem Film, der ein weiteres Mal beweist, dass das Horrorgenre nach wie vor der Ort ist, an dem sich die vielleicht größte Qualität des amerikanischen Kinos, seine lebendige Normalität, am besten bewahrt.

Lukas Foerster

The Nun II - USA 2023 - Regie: Michael Chaves - Darsteller: Taissa Farmiga, Jonas Bloquet, Storm Reid, Anna Popplewell, Bonnie Aarons - Laufzeit: 110 Minuten.