Im Kino

Auf den Unterleib geschrieben

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
20.12.2023. Zack Snyder wandelt im ersten Teil seiner "Rebel Moon"-Saga auf den Spuren von "Star Wars". Dank konsequenter Sexualmetaphorik und direkt ins Lustzentrum knallender Panel-Ikonographie findet das Weltraumabenteuer gleichwohl rasch einen eigenen Groove.


Am Anfang war die Vulva. Oder jedenfalls öffnet sich zu Beginn des Films "Rebel Moon" ein vulvaförmiger Spalt im unendlichen Schwarz des Weltalls, durch den dann auch gleich ein klobig-phallisches Raumschiff schwebt - direkt auf uns, das Publikum, zu. Eine initiale, intergalaktische Penetration, an die die nächste (oder übernächste?) Szene motivisch anknüpft: auf Veldt, einem kleinen, unbedeutenden Mond fernab des Zentrums der Weltraummacht, feiert ein Bauerndorf ein Fruchtbarkeitsfest. Heute Nacht sollen, fordert der Anführer die Dorfbewohner unmissverständlich auf, in unseren Häusern die Betten wackeln.

Da es sich bei "Rebel Moon" um einen strikt jugendschutzkonformen Science-Fiction-(Streaming-)Blockbuster handelt, folgt der Film im Anschluss den spitzen Bauersleuten nicht in ihre Hütten, sondern bleibt bei Kora (Sofia Boutella), einer noch unverheirateten Außenseiterin in der Gemeinschaft. Seit ein paar Jahren erst lebt sie hier, erfahren wir, ein Geheimnis umflort ihre dunklen Augen. Es wundert uns nicht, dass sie die einzige ist, die nicht in Schockstarre verfällt, sondern die Initiative ergreift, als am nächsten Morgen das düstere Raumschiff aus der ersten Einstellung am Himmel erscheint. Kora wird nicht ruhen, ahnen wir, bis diesem Space-Phallus das Handwerk gelegt ist.

Bis die Erektion der Macht kollabiert, könnte man auch sagen, und würde damit die Sexualmetaphorik, die in Zack Snyders Film ziemlich durchweg angelegt ist, höchstens ein bisschen überstrapazieren. Es geht oft ziemlich toll glitschig und brünftig zu in "Rebel Moon", einem Film, den sein Regisseur ursprünglich als ein Teil des - von Jabba the Hutt und seinen Sexsklavinnen abgesehen - doch reichlich züchtigen "Star Wars"-Universums entworfen hatte. Gut, dass daraus nichts geworden ist: Zack Snyder kostet in seinem neuen Werk die Freiheit, ohne Rücksicht auf vorgängige intellectual properties eine neue Welt kreieren zu können, aus vollen Zügen aus.

Nicht, dass man dem Film die "Star Wars"-DNA, die in ihm steckt, nicht ansehen würde. Der rebellische Mond Veldt ist offensichtlich Tatooine, dem Heimatplanet Luke Skywalkers, nachempfunden, manche Figuren wecken überdeutliche Erinnerungen an George-Lucas-Kreationen wie Han Solo oder den Roboter C3PO, selbst die verrufene Weltraumbar, die im ersten "Star Wars"-Film Schauplatz einer bei Fans der Reihe besonders beliebten Szene war, taucht bei Snyder wieder auf - als Bordell allerdings; Kora muss hier ihre Begleitung, den gutaussehenden, moralisch nicht unbedingt standfesten Bauern Gunnar (Michiel Huisman) gegen aufdringliche Freier verteidigen.



In Interviews nennt Snyder als neben "Star Wars" weiteren wichtigen Einfluss für "Rebel Moon" das "Heavy Metal"-Comicmagazin. Dass die vollbusigen, dem jungmännlichen Zielpublikum auf den Unterleib geschriebenen "Heavy Metal"-Amazonen ein Kraftzentrum des Snyder'schen Werks bilden, dürfte nach Filmen wie "300" und "Sucker Punch" wenig überraschen. Den neuen Film könnte man dementsprechend rasch abhaken: Auch die Idee von Science Fiction, die "Rebel Moon" verkörpert, ist pubertären Kinderzimmerfantasien kaum entwachsen. Einerseits.

Andererseits: wenn schon pubertäre Kinderzimmerfantasien, dann bitte so. Denn dass Snyders Kino eines ist, das nicht erwachsen werden will, heißt vor allem, dass es sich nicht mit dem "vernünftigen" Normalmaß abspeisen lassen möchte, auf das das "erwachsene" Kino seine Bilder zurechtschneidet. Die Bilder sollen immer größer werden, immer verführerischer glänzen, sie sollen alle Grenzen sprengen und all die Versprechen, die die Filmposter an den Kinderzimmerwänden lediglich weckten, für einmal tatsächlich einlösen. Um diesem Versprechen, an dem das Kino nur scheitern - aber mitunter eben: grandios scheitern - kann, noch ein bisschen näher zu kommen, führt Snyder bei seinen Filmen inzwischen auch die Kamera selbst. Wie schon in der je nach Perspektive poly- oder kakophonen Zombie-Schlachtplatte "Army of the Dead" arbeitet er in "Rebel Moon" viel mit weit offener Blende und entsprechenden Unschärfeexzessen - eine Technik, die er inzwischen geschmeidiger zu handhaben versteht und immer wieder mit irrlichternd-psychedelischer Farbgebung kombiniert. Der Effekt ist, for better or worse, kinematografische Comic-Art, direkt ins Lustzentrum geknallte Panel-Ikonografie statt sauber durchkonstruierter Illusionsräume.

Der erste "Rebel Moon"-Film - mindestens ein zweiter wird noch folgen, im April nächsten Jahres - findet rasch seinen eigenen Groove, jenseits von "Star Wars" und durchaus auch jenseits von "Heavy Metal". Und zwar spätestens in dem Moment, in dem Balisarius (Ed Skrein) dem Veldt heimsuchenden Space-Phallus entsteigt. Balisarius ist der Bösewicht der Geschichte: ein psychotischer Space-Nazi, wie er im Buche steht, gekleidet in einer SS-Gedächtnisuniform, in der Hand einen - wiederum, Snyder kann's nicht lassen, äußerst phallischen - Prügelknochen, im hageren Gesicht ein maliziöses aber auch sehnsuchtsvolles Grinsen. Kein kalter Technokrat der Macht ist das, stellt sich bald heraus, sondern einer, der die Gewalt um ihrer selbst willen liebt. Bösewichter kann Snyder wie kein zweiter im Mainstream: siehe auch Xerxes in "300" und Steppenwolf im "Justice League" Director's Cut. Wie diese ist Balisarius eine polymorphe Exzessfigur, um die herum letztlich der ganze Bildersturm inszeniert ist.

Eng verbunden war dieser Balisarius einst mit Kora, offenbaren Rückblenden, und in diesen Abstechern in andere, noch einmal deutlich abgründigere Regionen des "Rebel Moon"-Universums offenbart sich erst die ganze Wucht der Snyder'schen Bildermaschine. Mit aufregendem Kurzhaarschnitt kämpfte sich Kora einst auf Seiten der imperialistischen Zentralmacht als Elitesoldatin durch in allen Farben des Regenbogens gleißende Schlachtfelder. Von lens flares umflort, in gelatinierende Zeitlupenaufnahmen - seit langem ein Markenzeichen Snyders, aber nie zuvor derart formvollendet eingesetzt - gebettet. Ein weltverlorenes Fascho-Girl, das nun auf die gute, die helle Seite der Macht gewechselt ist, und doch nie ganz eins werden wird mit der heilen, schollenverbundenen Bauernwelt auf Veldt. (Dass immer noch die ewig gleiche Vulgärimperialismuskritik in Gestalt des Kampfes "authentischer" Naturwesen gegen eine anonym-technokratische Zentralmacht als Master Plot des Hollywood-Blockbusterkinos herhalten muss, kann einen durchaus verdrießen; Zack Snyder, den an beiden Polen dieser Erzählung vor allem der libidinöse Überschuss interessiert, lassen wir es noch einmal durchgehen.)

Kora und Balisarius, das Duell zweier Besessenen, die im jeweils anderen vor allem das eigene Spiegelbild vernichten wollen: Das ist der Kern des ersten "Rebel Moon"-Films. Dass die meisten anderen Figuren, insbesondere auch die Sternenkriegertruppe, die Cora und Gunnar in "Die Sieben Samurai"-Manier mit Vorliebe in den verrufeneren Ecken des Weltalls rekrutieren, im Vergleich konturlos bleiben und der Schlenker zurück zum "Star Wars"-Gedächtnisfinale eher ungelenk anmutet, fällt dagegen kaum ins Gewicht. Zack Snyder ist nunmal auch ein Sägschneider, ein Schrägschleifer, rund und harmonisch, sowas lassen die Obsessionen nicht zu, psychologische Tiefendimensionen und feinsinnige Eleganz sind seine Sachen nicht. Es wird schließlich, nur darum geht es, weitergehen, noch mindestens einen fiebrig flirrenden Film lang, in dieser Welt aus Licht und Sex und adoleszenten Weltraumträumen und letztlich nicht viel mehr. Aber das reicht ja. Zack hat endlich sein Snyderverse.

Lukas Foerster

Rebel Moon Teil 1: Kind des Feuers - USA 2023 - OT: Rebel Moon Part One: A Child of Fire - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Sofia Boutella, Charlie Hunnam, Ed Skrein, Jena Malone, Michiel Huisman, Cleopatra Coleman, Djimon Hounsou - Laufzeit: 133 Minuten.

"Rebel Moon Teil 1" erscheint am 22.12. auf netflix. Im Kino ist der Film nur in wenigen Sondervorführungen zu sehen.