Im Kino

Die Wirtskörper sind glücklich

Die Filmkolumne. Von Benjamin Moldenhauer
27.03.2024. Menschliche Stümpfe statt Menschen prägen das Kino der Regisseurin Jessica Hausner, und auch ihren neuen Film "Club Zero". Es geht, in unterkühlten Bildern, um sektenartig organisierte Bulimie - im Hintergrund schwelt ein Generationenkonflikt, den der Film in keiner Richtung positiv auflöst.

Das Schönste an den Filmen der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner ist die in dieser Form und Temperatur recht einzigartige Inszenierung zwischenmenschlicher Verstopftheit. Die Menschen informieren einander über Ereignisse oder auch mal über eine innere Verfasstheit, aber ohne emotionalen Ausdruck. Die Tonalität der Stimmen ist gleichbleibend, ohne jede Betonung gehen die Figuren ihren Verrichtungen nach, die sie im exakt gleichen Modus erledigen wie ihre Leidenschaften. Es ist auch nicht so, als wären Affekte und Gefühle unter einer Oberfläche verborgen, um irgendwann hervorzubrechen. Die Figurenpsychologie ist nicht nach dem vulgärfreudianischen Dampfkochtopfprinzip strukturiert. Eher ist alles Körperliche auf einem Nebengleis abgestellt, ohne dass sich damit jemand groß unwohl fühlen würde.

Trotzdem stimulieren diese Bilder den routinierten gesellschaftskritischen Blick: Wir sehen keine Menschen, sondern menschliche Stümpfe. In Hausners letztem Film "Little Joe" züchtet eine Wissenschaftlerin eine Pflanze, die glücklich machende Düfte versprüht, ihre Opfer aber wie ein Parasit für ihre evolutionären Zwecke einspannt. Eine der vielen Pointen: Die Wirtskörper sind glücklich, aber nicht als Wirtskörper zu erkennen, da sie sich in nichts von den übrigen Menschen unterscheiden. Wo niemand mehr Gefühle zeigt, wird alles gleich.

In Hausners neuem Film "Club Zero", ihrer nach "Little Joe" zweiten englischsprachigen Produktion, arbeiten die Figuren gleich selbst an ihrer fortschreitenden Reduktion. An einem Elite-Internat, in das reiche Eltern ihre komplizierten Kinder abschieben, bietet die neue Lehrerin Miss Novak (Mia Wasikowska) einen Kurs zur achtsamen Ernährung an und baut sich schnell eine kleine Gruppe mehr und mehr ergebener Anhängerinnen und Anhänger auf. Reduzierung der Nahrungszufuhr und Monodiät werden von der unverhohlen manipulativen Lehrkraft zum Allheilmittel für einen Großteil der politischen und persönlichen Probleme und drohenden Katastrophen, die den wachen jungen Menschen aktuell umtreiben, erklärt: Klimawandel, Konsumgesellschaft, Kapitalismus, mangelnde Achtsamkeit. Außerdem soll das Ende der Zufuhr von Schrottessen zur ganzheitlichen Selbstoptimierung beitragen. Bald wird klar, dass Miss Novak Mitglied der titelgebenden Sekte ist, die ein Leben ohne Aufnahme von Nahrung postuliert. Man muss nur dran glauben.

Kein Film über forcierte Mangelernährung ohne Bulimie-Ästhetik. Nach etwa zehn Minuten Filmzeit wird zum ersten Mal gekotzt, nach knapp anderthalb Stunden frisst eine der Schülerinnen ihr eigenes Erbrochenes. Das Bild sticht als direkt-transgressives Ekelgemälde aus den ansonsten unterkühlten Bildern heraus. "Club Zero" entfaltet das Stumpfhafte nicht nur über die Figureninszenierung, sondern über die Räume. Die wirken in ihrer Kälte latent krankhaft, symmetrisch organisiert und aseptisch, in betont unnatürlichen Farben. Eine filmische Raumgestaltung, die Emotionalität nicht forciert, sondern allerlei Abwesenheiten betont. Der Soundtrack assistiert: Percussion-Gitarre-Sequenzen, die meist dann (und recht laut) eingespielt werden, wenn gerade etwas passiert ist und eine neue Sequenz beginnt. Filmmusik als Betonung von Pausen. Am Ende zwei Stücke, die ironieverstärkend wirken.


Die Fallhöhe ist natürlich enorm. Hausners Filme handeln im Kern von großen Gefühlen: "Amour Fou" hatte die Leidenschaft schon im Titel, "Little Joe" erzählt von Mutter- und romantischer Liebe und von Glücksmöglichkeiten, "Club Zero" nun von adoleszenter Unzufriedenheit und der Leidenschaft der Weltveränderung. Aber eben immer im filmästhetischen Modus der Negation. Der, nicht zuletzt, auf eine ungreifbare Weise komisch ist. Jessica Hausner ist eine der wenigen Komödienregisseurinnen, die die Komik zuallererst von der formalen Ebene und nicht von den Figurenkörpern ausgehen lässt.

Dadurch entsteht, unter anderem, eine kalte Ironie, die auch in "Club Zero" in einen sehr sezierenden und damit immer von oben kommenden Blick kippen kann. Die Eltern sind unfreiwillig komische, hilflose Figuren, die ihre Kinder nicht verstehen; den Kindern wiederum lässt die Kamera ihre Würde auch auf ihren Irrwegen, beim Kotzefressen und in ihren alterstypischen Omnipotenzfantasien. "Durch die Kraft meines Geistes ändere ich die Wirklichkeit", antwortet Elsa (Ksenia Devriendt) ihren Eltern, die sie darauf hinweisen, dass der Mensch nun einmal essen muss. Und wenn sie sich wünschen würde, dass ihre Mutter Krebs bekommt, dann bekäme ihre Mutter eben Krebs. Der Vater interveniert mit aller Leidenschaft, die in der Welt der Filme von Hausner in solchen Fällen abrufbar ist: "Sag das nicht. Das ist nicht nett."

"Club Zero" ist kein Film über Bulimie oder Essstörungen, sondern handelt von etwas anderem: Die Kinder allzu satter Eltern verweigern die Nahrungsaufnahme und wollen die Welt, die sie vorfinden, nicht mehr (in dem Wissen, dass diese Welt keinen Bestand haben, sondern bald brennen wird). Ein denkbar einfaches Bild für den Generationenbruch: Man nimmt nicht mehr in sich auf, was die Alten einem geben wollen. Und radikalisiert sich. Diese Radikalisierung aber ironisiert der Film, als Ergebnis der Sektenbildung durch die nächste Autoritätsperson, gleich mit. In den Filmen Jessica Hausners bleibt nichts Positives, und die Radikalisierung ist kein Ausweg. "Ich bin selbst ein Mensch, der nicht so leicht zu einer klaren Aussage kommt, weil ich immer auch das Gegenteil in Erwägung ziehe", hat Jessica Hausner im Interview mit dem Standard erzählt. Das wäre erst einmal nicht weiter interessant, weil es am Ende ja nicht entscheidend ist, was Filmemacher:innen über ihre Bilder sagen. Hier passt es aber, weil es die Perspektive der Kamera auf die Welt sehr schön beschreibt. "Für mich ist der Zweifel das eigentlich Interessante."

Zu einer, wenn man so will, Message oder gar einer Lösung kommt der Film damit zum Glück nicht. Und so bleiben am Ende von "Club Zero", wie schon im Falle von Hausners Horrorfilm "Hotel", nur ein offenes Ende und ein Verschwinden, dieses Mal nicht im Wald, sondern in einem Bild.

Benjamin Moldenhauer

Club Zero - Österreich, Großbritannien 2023 - Regie: Jessica Hausner - Darsteller: Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen, Camilla Rutherford, Amir El-Masry, Amanda Lawrence - Laufzeit: 110 Minuten.