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Keimfreie Gediegenheit

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
24.08.2022. Ein bisschen rätselhaft ist schon, wie Elina Brotherus mit ihren Selbstproträts, derzeit im Fotografie Forum Frankfurt zu besichtigen, so bekannt werden konnte. Geschätzt wird sie auch als feministisches Vorbild. Doch ihr Spiel mit Rollen - auch wenn es durchaus Witz hat - tut niemandem weh.
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Im Fotografie Forum Frankfurt gibt es noch bis 18. September die Retrospektive einer  der einflussreichsten Fotografinnen der letzten Dekade: Elina Brotherus. Halten wir uns nicht lange mit einführenden Worten auf, springen wir gleich mitten hinein in Brotherus's Bilderwelt.

© Elina Brotherus, Forum Fotografie Frankfurt


Rückenansicht von Brotherus in rotem Mantel, die auf eine diffuse Bläue vor sich schaut, in der Himmel und Meer konturlos ineinander übergehen. Rückenansicht von Brotherus in schwarzem Mantel, die sich in einer Ausstellung das historische Genrebild eines Malers ansieht, das genau jene von Felsen umrahmte Bucht zeigt, vor der sich Brotherus - Rückenansicht, roter Mantel, weißes Ruderboot mit lindgrün lackiertem Rand - selbst fotografiert.

Rückenansicht von Brotherus, die in beiger Hose mit nacktem Oberkörper und seitwärts ausgestrecktem linken Arm an einer grauen Betonwand steht, an der ein Quadrat befestigt ist, das dieselbe Farbe wie ihre Hose hat. Rückenansicht von Brotherus, die in beiger Hose mit nacktem Oberkörper und parallel in die Höhe gestreckten Armen an einer grauen Betonwand steht, an der ein Quadrat befestigt ist, das dieselbe Farbe wie ihre Hose hat.

Seitenansicht von Brotherus in grünem Kleid, die in einem weißen Liegestuhl mit blauer Auflage liegt, der am Rande eines heruntergekommenen Swimmingpools steht, in dem sich kein Wasser befindet. Vorderansicht von Brotherus in rotem Kleid, die am Rande eines heruntergekommenen Swimmingpools sitzt, in dem sich kein Wasser befindet.

Vorderansicht von Brotherus, die abends in grünweiß längsgestreiftem Kleid mit Kragen und Gürtel am Rand eines nicht heruntergekommenen Swimmingpools steht, in dem sich Wasser befindet, auf dem sich nicht nur Brotherus spiegelt, sondern auch die vier Deckenleuchten der Terrasse. Vorderansicht von Brotherus, die in die Kamera blickt, während sie abends in einem Kleid mit rosafarbenen Blüten auf grünem Untergrund ohne Kragen und Gürtel am Rande eines nicht heruntergekommenen Swimmingpools steht, in dem sich Wasser befindet, auf dem sich nicht nur Brotherus spiegelt, sondern auch die vier Deckenleuchten der Terrasse.

Alles in allem Fotografien, von denen trotz Nacktheit, intelligentem Spiel mit Rollen und Reflexionen zur Kunstgeschichte eine beachtliche Langeweile ausgeht, die wahrscheinlich nur noch von Candida Höfers Bildern von Museums- oder Bibliotheksräumen übertroffen wird. Verkopft, nicht ohne Witz und unterspült von einem pädagogischen Impetus, versinnbildlichen sie zugleich jene keimfreie Gediegenheit, wie sie sich bildredaktionell in gutbürgerlichen Medien von Zeit bis Brigitte großer Beliebtheit erfreut.

Wie konnten Brotherus' Arbeiten eine solche Bedeutung erlangen?

Brotherus war mit ihrem Ansatz schlicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort, nicht anders als etwa Jeff Wall vor ihr. Beide gehen konzeptuell vor, die Arbeiten sind überwiegend sorgsam inszeniert, Teil eines größeren Zusammenhangs. Beide stellen kritische - mal ironisierende, mal affirmierende - Bezüge zur Kunstgeschichte her und paraphrasieren konkrete Arbeiten anderer Künstler. Beide profitieren von der extensiven Auseinandersetzung von KunsthistorikerInnen und KuratorInnen mit ihrem Werk.

Walls beste Arbeiten überschreiten jedoch die Grenzen der mit dem Künstler verbundenen Konzeptualität, werden zu Schau-, manchmal Kampfplätzen gesellschaftlicher Verhältnisse. Im Unterschied zu Cindy Sherman wiederum fehlt Brotherus das Fluide und Dramatische der Verwandlung, das so unterschiedlichen Serien wie "Untitled Film Stills" und "History Portraits" bei aller Künstlichkeit eine große Lebendigkeit verleiht.
Bei Brotherus kommt noch etwas anderes hinzu: ihre Bedeutung als feministisches Role Model.

Anders als bei Wall, von dem es kaum Fotos gibt, die ihn selbst als Teil des Bildes zeigen, ist der Bezug auf das eigene Ich und den eigenen Körper neben der (natürlichen und gesellschaftlichen) Landschaft die entscheidende Bezugsgröße von Brotherus' Ansatz. Sie entreißt Motive wie "Reclining Figure" oder "Artist and Model" der historisch etablierten Deutungshoheit des männlichen Blicks, nimmt in der Art und Weise, wie sie sich inszeniert, den traditionellen Darstellungen von Frauen das für das männliche Interesse (vermeintlich ...) notwendige Aufreizende, zur Schau Stellende, Erotische. Selbst die von überwiegend männlicher Inbesitznahme und Kultivierung geprägte Landschaft (und damit verbundene Malerei und Fotografie) wird durch Lakonie dekonstruiert.

Das leistete Brotherus' Ansatz eine Zeitlang tatsächlich effektiv: Orientierungshilfe für angehende Künstlerinnen, um sich von traditionell männlichen Zuschreibungen und Überformungen sowohl formaler als auch inhaltlicher Art freizumachen. Nur wenigen gelang jedoch eine eigenständige Version, etwa Brotherus' gerade mal dreiundzwanzigjähriger Landsfrau Vilma Leino, deren Selbstporträts zudem ungleich verspielter sind.

© Elina Brotherus,Kehrer Verlag

Im Gegensatz dazu hat eine Generation von Studentinnen Brotherus' Vorgabe ästhetisch oft unreflektiert übernommen.

Jahrgangsausstellungen und Portfolios quellen über von Nackten, die sich Eimer, Plastiksäcke, Masken oder ausgestopfte Tiere über den Kopf gezogen haben oder sich Fotos von sich selbst und von anderen vors Gesicht halten; auch Rückenansichten boomen seit Mitte der Zehner Jahre ungemein; nackte Körper werden gern so beiläufig inszeniert, als handelte es sich um Schirmständer; Sexualität und Erotik zeigen sich sowieso nur dann, wenn ein gerade angesagtes Narrativ es begünstigt (feministisches Empowerment, Mutterschaft, Body Positivity). Alles in allem eine höchst überschaubare Angelegenheit, die nicht nur männliche Augenpaare wenig begeistert - weshalb man die mit Abstand meisten Frauen im Publikum auch nicht in der von einem aktivistisch-feministischen Frauenkollektiv geleiteten Kunsthalle Wien antrifft, sondern in der Berliner Helmut Newton Foundation.

Dass es auch anders geht, zeigt etwa Florentina Holtzinger mit ihren sinnlichen, kraftvollen Choreografien. Und bis heute einsam in der Landschaft dastehend und viel zu wenig abgefeiert: Nicolette Krebitz' Film "Wild" - der einzige, mir bekannte Film einer deutschen Regisseurin, der es vom rigorosen Anspruch her mit Agnès Vardas "Vogelfrei" aufnehmen kann. Die Szenen mit der von Lilith Stangenberg grandios verkörperten weiblichen Hauptfigur und dem Wolf, den sie einfängt und in ihrer Wohnung zu halten versucht, sind visuell und dramaturgisch beispiellos. Allein die Szene, als die Protagonistin ihre Regel bekommt und der Wolf das Blut, das auf die Badezimmerfliesen tropft, aufleckt - irre.

Ob man mit artverwandter, transgressiver Ästhetik und Kompromisslosigkeit als Studentin heute an einer deutschen Hochschule reüssieren kann, wage ich angesichts des hypersensiblen, empörungstrunkenen Zeitgeistes zu bezweifeln. Früher kamen innovative Ansätze dieser Art oft von Autodidakten oder von KünstlerInnen, die an vom Renommee her komplett irrelevanten Schulen gerade mal das handwerkliche Fundament ihres Berufs erlernt hatten. Heute soll man mit dreißig Jahren einen vor allseits bekannten Referenzen strotzenden Erfolgslebenslauf vorweisen können. Eine ungute Entwicklung, die sich angesichts der flächendeckenden Verbeamtung des Betriebs und der unsicherer werdenden Zeiten noch verschärfen wird. Auch wenn ich als älterer weißer Mann aktuell nicht gerade der Brüller bin, bin ich doch froh, dass ich in den achtziger und neunziger Jahren zur Kunst finden durfte, und nicht etwa heute.

© Cecily Brown, Neue Piinakothek München

Wer übrigens eine großartige Ausstellung einer bedeutenden Künstlerin sehen will, dem/der sei dringend der Besuch von Cecily Brown in der Neuen Pinakothek München empfohlen. Bis zum 4. September gibt es dort noch ihre Variationen zu Brueghel, Cezanne, Franz Marc und einigen anderen Jungs. Neben dem offiziellen Katalog gibt's ein perfekt zur Ausstellung passendes Buch, wie immer bei eichendorff21 zu beziehen.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de
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